Strafprozessrecht

Entschädigung der Wahlverteidigung (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO)


An der unter altem Recht entwickelten Rechtsprechung betreffend die Voraussetzungen der Entschädigung einer Wahlverteidigung ist auch unter der Schweizerischen Strafprozessordnung festzuhalten (E. 2.2)


Bei der Beurteilung der Frage der Schwere des Tatvorwurfs sind die konkreten Umstände des Sachverhalts zu berücksichtigen. Der gegen einen Polizisten im Dienst erhobene Vorwurf der Tätlichkeit gegen einen Wehrlosen ist als schwerwiegend zu beurteilen. Trotz der relativ ge-ringen Komplexität des Sachverhalts und ungeachtet dessen, dass in formeller Hinsicht nur eine Übertretung in Frage steht, erweist sich der konkrete Tatvorwurf nicht als Bagatellfall im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, weshalb der betroffene Polizist objektiv begründeten Anlass hatte, eine Verteidigung beizuziehen (E. 2.3).



Sachverhalt

A. Als Angehöriger der Polizei Basel-Landschaft war X. am 29. Januar 2010 an der Anhaltung von Y. in A. beteiligt. Anlässlich seiner Einvernahme in der Haft durch das Bezirksstatthalteramt B. am folgenden Tag sagte Y. aus, X. habe ihn im Verlauf der Festnahme mit der Faust ins Gesicht geschlagen, als er, Y., bereits mit Handschellen gefesselt gewesen sei. Das Bezirksstatthalteramt B. eröffnete gleichentags ein Untersuchungsverfahren gegen unbekannte Täterschaft ("Mitarbeiter Polizei BL") wegen Tätlichkeiten zum Nachteil von Y. Am 9. Februar 2010 stellte Y. Strafantrag gegen X.


B. (…) Mit Beschluss vom 30. November 2010 stellte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft das Verfahren gegen X. ein, da dem Angeschuldigten der Tatbestand nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden könne, zumal Aussage gegen Aussage stehe und keine genügend objektiven Zeugen vorhanden seien, so dass ein Freispruch vor Strafgericht angesichts der konkreten Sach- und Beweislage mit Sicherheit zu erwarten sei.


C. Vom 6. Oktober 2010 bis zum 12. Januar 2011 liess sich X. in dieser Angelegenheit von Advokat Z. anwaltlich vertreten. Mit Honorarnote vom 12. Januar 2011 machte Z. eine Aufwandsentschädigung für die Verteidigung von X. in Höhe von CHF 1'254.45 geltend. Mit Entschädigungsverfügung vom 8. Februar 2011 wies die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Hauptabteilung C., das Begehren um Entrichtung einer Parteientschädigung gemäss Art. 430 in Verbindung mit Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO ab.



Erwägungen

1. (…)


2.1 Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO regelt die Grundvoraussetzungen einer Entschädigung für die Aufwendungen einer Wahlverteidigung: Das Strafverfahren gegen die in diesem Verfahren beschuldigte Person muss eingestellt oder die beschuldigte Person muss ganz oder teilweise freigesprochen worden sein. Der Entschädigungsanspruch besteht unabhängig von der Widerrechtlichkeit der Verfahrenshandlungen und von einem Verschulden der Behörden. Der geltend gemachte Schaden muss jedoch in einem Kausalzusammenhang zum Strafverfahren stehen (vgl. Wehrenberg/Bernhard, Art. 429 N 8 ff., in: Niggli/Heer/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar Schweizerische Strafprozessordnung, 2011). Die Betrachtung des vorliegenden Falls ergibt, dass diese Voraussetzungen klarerweise gegeben sind. Es darf sodann kein Ausschluss- oder Herabsetzungsgrund gemäss Art. 430 StPO vorliegen: Das Verfahren darf nicht aufgrund eines Verschuldens des Beschuldigten ausgelöst oder verlängert worden sein, die beschuldigte Person darf nicht Anspruch auf eine Entschädigung durch die Privatklägerschaft haben und die Aufwendungen der beschuldigten Person dürfen nicht bloss geringfügig sein. Im Rechtsmittelverfahren dürfen zudem die Voraussetzungen für das Obsiegen der beschuldigten Person nicht erst in diesem Verfahren geschaffen worden und der angefochtene Entscheid darf nicht nur unwesentlich abgeändert worden sein. Auch diese Voraussetzungen sind hier erfüllt; insbesondere macht der Beschwerdeführer mit einem Betrag von CHF 1'254.45 nicht bloss geringe Aufwendungen geltend.


2.2 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist der Ersatz der Anwaltskosten indessen nur dann zuzusprechen, wenn die angeschuldigte Person nach der Schwere des Tatvorwurfs und nach dem Grad der Komplexität des Sachverhaltes sowie nach ihren persönlichen Verhältnissen objektiv begründeten Anlass hatte, einen Anwalt beizuziehen (BGE 110 Ia 156, E. 1b). Liegt ein Bagatellfall vor, der von den polizeilichen Behörden ohne Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Natur untersucht und in der Folge eingestellt werden kann, gebietet die Rechtsordnung nicht, dass die Öffentlichkeit die Kosten der anwaltlichen Bemühungen trägt (Urteil des Bundesgerichts 1P.341/2004 vom 27. Juli 2004, E. 3.3). Fraglich ist, ob die vor Einführung der Schweizerischen Strafprozessordnung entstandene Praxis unter neuem Recht beizubehalten ist, oder ob es Gründe für eine Änderung der Rechtsprechung gibt.


2.2.1 Hierzu macht der Beschwerdeführer geltend, die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft berufe sich auf eine bundesgerichtliche Praxis, die auf einen gut 27 Jahre alten Entscheid zurückgehe, der damit deutlich vor dem Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung ergangen sei. Massgeblich sei aber die heutige Rechtsprechung. Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft stellt sich in ihrer Stellungnahme demgegenüber auf den Standpunkt, BGE 110 Ia 156 sei weiterhin als Entscheidgrundlage heranzuziehen.


2.2.2 Der Wortlaut von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO besagt, dass ein Anspruch auf eine Entschädigung für die angemessene Ausübung der Verfahrensrechte geschuldet ist. Demnach besteht kein Entschädigungsanspruch für Aufwendungen, die ohne objektiven Grund getätigt wurden.


2.2.3 Die Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts erläutert, die Bestimmung von Art. 437 des Entwurfs zur StPO (entspricht Art. 429 StPO) setze die Rechtsprechung um, wonach der Staat die Kosten der gewählten Verteidigung nur übernehme, wenn der Beistand angesichts der tatsächlichen oder der rechtlichen Komplexität notwendig gewesen sei und wenn der Arbeitsaufwand und somit das Honorar des Anwalts gerechtfertigt gewesen seien (BBl 2005 1329). Da in der parlamentarischen Beratung nicht von der vorgeschlagenen Regelung abgewichen wurde, ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber die vormalige bundesgerichtliche Rechtsprechung bestätigen wollte.


2.2.4 In der Lehre zur neuen Schweizerischen Strafprozessordnung wird einhellig festgestellt, die Regelung des Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO knüpfe an die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtes an (vgl. Griesser, Art. 429 N 4, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010; Wehrenberg/Bernhard, a.a.O., Art. 429 N 13). Dabei wird betont, dass die vom Bundesgericht aufgestellten Grundsätze auch bei Übertretungen Anwendung finden sollten, zumindest, wenn es zu einem gerichtlichen Verfahren komme (Griesser, a.a.O.; Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2009, 831).


2.2.5 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sowohl aufgrund des Wortlauts wie auch der Materialien und der einschlägigen Literatur an der in BGE 110 Ia 156 begründeten Praxis festzuhalten ist.


2.3 Somit bleibt zu prüfen, ob es sich bei den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Kosten um zu entschädigende Aufwendungen im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung handelt, oder ob kein Entschädigungsanspruch besteht. Gemäss BGE 110 Ia 156 ist eine beschuldigte Person im Falle des Obsiegens für die Aufwendungen ihrer Wahlverteidigung zu entschädigen, wenn sie nach der Schwere des Tatvorwurfs und nach dem Grad der Komplexität des Sachverhaltes sowie nach ihren persönlichen Verhältnissen objektiv begründeten Anlass hatte, einen Anwalt beizuziehen.


2.3.1 Die Staatsanwaltschaft führte in ihrer Entschädigungsverfügung vom 8. Februar 2011 dazu aus, der vorliegende Übertretungstatbestand habe weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten geboten, die auszufällende Strafe wäre eine Busse gewesen und die beschuldigte Person hätte angesichts ihres Berufs als Polizist und des erhobenen Vorwurfs Kenntnis vom Bagatellcharakter des Strafverfahrens gehabt. Daher habe X. keinen objektiv begründeten Anlass gehabt, einen Anwalt beizuziehen. Demzufolge werde keine Entschädigung entrichtet.


2.3.2 (…)


2.3.3 (…)


2.3.4 Bezüglich der Schwere des Tatvorwurfs ist der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft insofern zuzustimmen, als der Vorwurf einer Übertretung im Allgemeinen als geringfügig zu betrachten ist. In der Literatur werden Übertretungen teilweise generell als Bagatelldelikte bezeichnet. Andererseits wird mit Recht angeführt, der generell-abstrakten Einteilung der Tatbestände in Übertretungen einerseits sowie Vergehen und Verbrechen andererseits hafte etwas Willkürliches an. Unter Umständen könne eine konkrete Übertretung als schwerer wiegender Eingriff in ein Rechtsgut erscheinen als ein leichtes Vergehen (BSK-StGB I-Heimgartner, vor Art. 103 N 12). Im vorliegenden Fall sind zwei Elemente des konkreten Tatvorwurfs besonders in Rechnung zu stellen: Erstens, dass der Beschuldigte Polizist ist und ihm die Ausführung der Tat in Ausübung seiner Dienstpflicht vorgehalten wurde, und zweitens der Vorwurf eines Faustschlags zu einem Zeitpunkt, da das vermeintliche Opfer bereits gefesselt und folglich offensichtlich wehrlos war. Diese spezifischen Umstände machen eine besondere Beurteilung des Tatvorwurfs nötig. Mag ein Faustschlag einer nicht mit einem öffentlichen Amt ausgestatteten Person als Bagatelle erscheinen, so wiegt derselbe Vorwurf gegen einen Polizisten sehr viel schwerer: Im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung hätte der Beschwerdeführer mit gravierenden dienstlichen Konsequenzen zu rechnen gehabt. Diese hätten, wie in der Beschwerde zu Recht bemerkt wird, von der Versetzung über Nichtbeförderung und Degradierung bis hin zur Entlassung aus dem Polizeidienst reichen können. Daneben drohten dem Beschwerdeführer durch ein mögliches Strafverfahren aufgrund seiner exponierten Stellung als Polizist aber auch gewichtige Nachteile durch die allfällige Publizität des Falles. Beanzeigte Gewalttaten durch Polizisten sind bekanntermassen Delikte, die regelmässig auf ein besonders intensives Echo bei den Medien, politisch involvierten Personen oder etwa die Polizeiarbeit kritisch beobachtenden Drittorganisationen stossen. Eine Berichterstattung über einen solchen Sachverhalt kann dem Beschuldigten, unabhängig von einer allfälligen späteren strafrechtlichen Verurteilung, empfindlichen und häufig irreversiblen Schaden in seinem privaten, öffentlichen und dienstlichen Ansehen zufügen. Hinzu kommt, dass dem Beschuldigten vorgeworfen wurde, die Tat ausgeführt zu haben, als das vermeintliche Opfer bereits mit Handschellen gefesselt und mithin vollständig wehrlos war. Mit dieser Anschuldigung wurde dem Beschwerdeführer ein gravierender Machtmissbrauch vorgehalten. Die vorgeworfene Tat erscheint dadurch als eigentliche Misshandlung und würde strafrechtlich mitunter den Tatbestand des Amtsmissbrauchs erfüllen (vgl. zur bundesgerichtlichen Praxis BGE 127 IV 209, E. 1). Somit ist festzustellen, dass der vorliegende Tatvorwurf sich für den Beschwerdeführer als konkret angeschuldigte Person nicht als geringfügig, sondern für einen Übertretungstatbestand als ausserordentlich schwerwiegend erweist.


2.3.5 (…)


2.3.6 Bezüglich der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten kann festgestellt werden, dass diesem im Falle einer Verurteilung weit mehr als die gesetzlich vorgesehene Busse gedroht hätte. Die dargestellten möglichen dienstlichen Folgen hätten seine persönliche wirtschaftliche Lage real und gravierend bedrohen können. Eine allfällige öffentliche Darstellung und Kommentierung des Falles hätten zudem unabsehbare Folgen für den Beschuldigten haben und seinem gesamten Ansehen einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen können. Im Übrigen ist festzuhalten, dass der personalrechtliche Rechtsschutz gemäss § 35 Abs. 1 des Gesetzes vom 25. September 1997 über die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kantons (Personalgesetz) dem Beschwerdeführer in casu keine genügende Unterstützung geboten hätte, da öffentlicher Rechtsschutz nur bei Eröffnung eines gerichtlichen Verfahrens vorgesehen ist.


2.3.7 Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich trotz der relativ geringen Komplexität des Sachverhalts der konkrete Tatvorwurf als schwerwiegend darstellt, obwohl er sich in formeller Hinsicht nur auf eine Übertretung bezieht. Die strafrechtliche Bewertung dieses Vorwurfs kann nicht losgelöst von den weiteren Konsequenzen einer möglichen Verurteilung vorgenommen werden. Somit stellt sich der zu behandelnde Tatvorwurf nicht als Bagatellfall im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dar, und der Beschwerdeführer hatte objektiv begründeten Anlass, einen Verteidiger beizuziehen. Die Beschwerde ist daher im Grundsatz gutzuheissen, und Ziff. 1 der Entschädigungsverfügung der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Hauptabteilung C., vom 8. Februar 2011 ist aufzuheben. Dem Beschwerdeführer ist in Anwendung von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO eine angemessene Entschädigung für die Aufwendungen seiner Verteidigung zuzusprechen.


Entscheid des Präsidenten des Kantonsgerichts, Abteilung Strafrecht, vom 18. April 2011 (470 11 13/VO2)


Entschädigung


Entschädigung der Wahlverteidigung


SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007


Art. 429 Abs. 1 lit. a Entschädigungsanspruch für Aufwendungen für die Ausübung der Verfahrensrechte (Wahlverteidigung)



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