Erziehung und Kultur

Parallelversetzung eines Primarschülers


Eine gegen den Willen des Schülers bzw. seiner Eltern angeordnete Parallelversetzung ist als konkretisierende Einschränkung des Anspruchs auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht im Sinne von Art. 19 BV zu qualifizieren (E. 4.3).


Die Parallelversetzung ist im basellandschaftlichen Recht einzig als Sanktion bei schweren Disziplinarverstössen ausdrücklich vorgesehen (E. 5.5).


Soweit Eltern ihren Pflichten gegenüber der Schule nicht nachkommen, kann dies einzig mittels der in § 69 Abs. 2 Bildungsgesetz vorgesehenen Massnahmen der förmlichen Ermahnung oder der Busse sanktioniert werden (E. 7.4).


Eine Parallelversetzung aus Gründen des Kindeswohls ist nur unter einschränkenden Voraussetzungen im Sinne einer ultima ratio zulässig. Entsprechend müssen klare Anhaltspunkte vorhanden sein, dass sie im Interesse des Kindeswohls geboten ist (E. 7.7).



Sachverhalt

Mit Schreiben vom 1. Februar 2010 wandten sich die Lehrkräfte der Klasse X. der Primarschule Y. in Z. an die Schulleitung Kindergarten und Primarschule der Einwohnergemeinde Z. (Schulleitung) und beantragten die sofortige Parallelversetzung von A. in eine andere Klasse. Sie begründeten ihren Antrag einerseits mit dem Verhalten der Mutter von A., welche sich über geltende Regeln hinwegsetze und die Lehrkräfte mit Misstrauen behandle. Anderseits zeige sich A. in letzter Zeit bei allen Lehrkräften auffällig und frech. Er lasse sich von den anderen Schulkindern regelmässig provozieren und reagiere mit Gewalt. Nach Durchführung eines Gesprächs mit den Eltern von A. beschloss die Schulleitung am 9. Februar 2010, diesen von der Klasse X. im Schulhaus Y. in die Klasse Q. im Schulhaus R. zu versetzen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass zwischen den Eltern und den Lehrpersonen seit längerer Zeit ein Konflikt bestehe. A. könne sich unter den vorherrschenden Umständen nicht altersgemäss und seiner eigenen Persönlichkeit entsprechend entfalten und entwickeln. In einem neuen Umfeld bzw. einem anderen Schulhaus mit anderen Lehrpersonen und neuen Klassenkameraden könne er seine Chancen besser wahrnehmen. Die von den Eltern von A. gegen die Parallelversetzung erhobene Beschwerde wurde mit Entscheid des Schulrats Kindergarten und Primarschule der Einwohnergemeinde Z. (Schulrat) vom 8. März 2010 sowie mit Entscheid des Regierungsrats vom 7. September 2010 abgewiesen. Dagegen erhoben die Eltern von A. am 20. September 2010 Beschwerde beim Kantonsgericht, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht (Kantonsgericht).



Erwägungen

(…)


4.1 Nach Art. 19 BV ist der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht gewährleistet. Dieses soziale Grundrecht verleiht einen individuellen subjektiven Anspruch auf eine staatliche Leistung, nämlich auf eine grundlegende Ausbildung. Die Anforderungen, die Art. 19 BV an den obligatorischen Grundschulunterricht stellt, belässt den Kantonen bei der Regelung des Grundschulwesens einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Aus Art. 19 BV ergibt sich ein Anspruch auf eine den individuellen Fähigkeiten des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung entsprechende, unentgeltliche Grundschulausbildung (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 16. September 2010, 2C_446/2010, E. 5.2 mit Hinweisen). Die Ausbildung muss für den Einzelnen angemessen und geeignet sein. Das Element des "ausreichenden" Unterrichts ist somit jeweils in Bezug auf den spezifischen Einzelfall zu konkretisieren (vgl. BGE 129 I 12 E. 4.2; Regula Kägi-Diener, in: Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender, Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, Zürich 2008, N 33 zu Art. 19 BV; Jörg Paul Müller/Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz, Bern 2008, S. 790; Ulrich Häfelin/Walter Haller/Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 2008, S. 272). Im Bereich der Bildung kann sich ein staatlicher Eingriff unter Umständen auch als solcher in den Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung und damit das Recht auf persönliche Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV auswirken. Für die Bestimmung des Schutzbereichs ist dabei die Abgrenzung zu Art. 19 BV zu beachten, da das Grundrecht der persönlichen Freiheit gegenüber den speziellen Verfassungsrechten zurücktritt (vgl. BGE 117 Ia 27 E. 5b).


4.2 Die in Art. 36 BV aufgezählten kumulativ erforderlichen Voraussetzungen für die Einschränkung von Grundrechten sind im Wesentlichen auf Freiheitsrechte zugeschnitten. Bei den Sozialrechten kommen nach der neueren Lehre die Bestimmungen über die Einschränkung von Grundrechten nicht zur Anwendung. Rechtliche Einschränkungen sozialer Grundrechte als Mindeststandards und damit auch des Anspruchs auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht sind somit grundsätzlich ausgeschlossen. Soziale Grundrechte bedürfen jedoch regelmässig der Konkretisierung durch den Gesetzgeber und den Richter. Solche Konkretisierungen schliessen zwangsläufig auch gewisse Einschränkungen mit ein. Dabei ist im Einzelfall in sinngemässer Anwendung von Art. 36 BV zu prüfen, ob die Erfordernisse der gesetzlichen Basis (Art. 36 Abs. 1 BV), des überwiegenden öffentlichen oder privaten Interesses (Abs. 2) sowie der Verhältnismässigkeit (Abs. 3) erfüllt sind, wobei - analog zu den Freiheitsrechten - der Kernbereich des Verfassungsanspruches in jedem Fall gewahrt bleiben muss (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 16. September 2010, 2C_446/2010, E. 5.3; BGE 129 I 35 E. 8.2; BGE 129 I 12 E. 6.2 f.).


4.3 Bei der Versetzung eines Schülers in ein anderes Schulhaus aus disziplinarischen Gründen handelt es sich nach der Rechtsprechung des Kantonsgerichts um eine konkretisierende Einschränkung von Art. 19 BV (vgl. Urteil des Kantonsgerichts [KGEVV] vom 14. November 2007 [810 07 276], E. 4.2). Das Bundesgericht hat sich mit Einschränkungen von Art. 19 BV bis anhin insbesondere im Zusammenhang mit disziplinarischen Schulausschlüssen befasst (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 16. September 2010, 2C_446/2010; Urteil des Bundesgerichts vom 7. November 2002, 2P.81/2002; BGE 129 I 12). Die vorliegend umstrittene Parallelversetzung wurde ausdrücklich nicht im Sinne einer Disziplinarmassnahme angeordnet. Sie ist jedoch insofern, als sie gegen den Willen des Schülers bzw. seiner Eltern angeordnet wurde, in ihren Auswirkungen einer disziplinarischen Versetzung gleichzusetzen. Die im obgenannten Urteil des Kantonsgerichts gemachten Ausführungen sind damit auf den vorliegenden Fall übertragbar und die in Frage stehende Parallelversetzung ist als konkretisierende Einschränkung von Art. 19 BV zu qualifizieren. Selbst wenn im Übrigen nicht von einem Eingriff in den Schutzbereich von Art. 19 BV oder Art. 10 Abs. 2 BV auszugehen wäre, bedürfte es für die angeordnete Massnahme einer gesetzlichen Grundlage und es wären, wie der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid zutreffend festhält, die allgemeinen verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Grundsätze, namentlich das öffentliche Interesse und die Verhältnismässigkeit, zu berücksichtigen (Art. 5 Abs. 2 BV).


5.1 Umstritten ist zunächst das Vorliegen einer genügenden gesetzlichen Grundlage für die angeordnete Massnahme.


5.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, dass eine Parallelversetzung, welche mit angeblichem Fehlverhalten der Eltern und mangelhafter Vertrauensbasis zwischen Eltern und Lehrer begründet werde, entgegen den Erwägungen des angefochtenen Entscheids nicht als organisatorische Massnahme qualifiziert werden könne. Anders als die erstmalige Zuteilung eines Kindes zu Beginn der Schulpflicht stelle die zwangsweise Versetzung nach mehreren Jahren in derselben Klasse einen massiven Einschnitt dar. Das Kind habe während dieser Zeit Kontakte aufgebaut, Freundschaften geschlossen, Beziehungen zu Lehrpersonen geknüpft und seinen Platz in der Gemeinschaft der Klasse gefunden. Ein derart schwerwiegender Eingriff wie die zwangsweise Versetzung in eine andere Klasse könne nur aufgrund einer klaren gesetzlichen Grundlage vorgenommen werden. Es sei denn auch nicht einsichtig, weshalb eine Parallelversetzung aufgrund von angeblich ordnungswidrigem Verhalten der Eltern ohne Weiteres gestützt auf die generelle Organisationskompetenz der Schule zulässig sein solle, wohingegen die disziplinarische Versetzung von Schulkindern einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfe.


5.3 Die Schulleitung machte in ihrem Beschluss vom 9. Februar 2010 keine Angaben zur gesetzlichen Grundlage für die angeordnete Parallelversetzung. Dasselbe gilt bezüglich des Entscheids des Schulrats vom 8. März 2010, mit dem die Beschwerde der Eltern von A. abgewiesen wurde. Im Verfahren vor Regierungsrat führte der Schulrat die Bestimmungen der Bildungsgesetzgebung zum Disziplinarwesen als gesetzliche Grundlage an und wies in diesem Zusammenhang auf die unentschuldigten Versäumnisse von A. und ordnungswidriges Verhalten der Mutter hin.


5.4 Der Regierungsrat erwog im angefochtenen Entscheid, dass es sich bei der angeordneten Parallelversetzung um eine organisatorische Massnahme gemäss § 77 Abs. 1 lit. a des Bildungsgesetzes (BildG) vom 6. Juni 2002 handle. Zu den organisatorischen Massnahmen im Sinne dieser Bestimmung gehörten insbesondere die Klassenbildung sowie die Zuteilung der Schülerinnen und Schüler zu den einzelnen Schulhäusern und Klassen. Die Schulhaus- und Klassenzuteilung sei bei den organisatorischen Massnahmen anzusiedeln, weil sie grundsätzlich nicht in die Rechtsstellung der Schülerinnen und Schüler eingreife. Vielmehr handle es sich um eine notwendige Massnahme, um die Umsetzung der Schulpflicht sicherzustellen. Dies gelte für die erstmalige Klassenzuteilung beim Übertritt in die Primarschule, welche in § 12 der Verordnung für den Kindergarten und die Primarschule (Vo KG/PS) vom 13. Mai 2003 ausdrücklich festgelegt sei. Die erstmalige Einteilung sei jedoch nicht unabänderlich. Aus der Bildungsgesetzgebung ergebe sich kein Anspruch, die Primarschulzeit in derselben Schule oder Klasse zu beenden. Vielmehr seien Situationen denkbar, aufgrund derer eine Parallelversetzung notwendig werde, obwohl kein disziplinarisches Fehlverhalten der Schülerin oder des Schülers vorliege. In seiner Vernehmlassung vom 23. November 2010 führt der Regierungsrat aus, dass eine Parallelversetzung auch aus Gründen des Kindswohls indiziert sein könne. Der Schulleitung müsse die Kompetenz zukommen, eine solche unter dem Aspekt einer organisatorischen Massnahme anzuordnen.


5.5 Gemäss § 77 Abs. 1 lit. a BildG führt die Schulleitung die Schule in pädagogischer, personeller, organisatorischer und administrativer Hinsicht, wobei die Verordnung das Nähere regelt (§ 77 Abs. 2 BildG). In § 65 Abs. 1 Vo KG/PS werden in Konkretisierung dieser Bestimmung die Aufgaben der Schulleitung in einem Pflichtenheft aufgelistet. Die Parallelversetzung von Schülerinnen und Schülern aus Gründen des Kindeswohls ist darin nicht aufgeführt. Sie ist auch nicht an anderer Stelle im Bildungsgesetz oder der Verordnung für den Kindergarten und die Primarschule explizit vorgesehen. Demgegenüber ist die Zuständigkeit der Schulleitung zur erstmaligen Klassenzuteilung der Kinder beim Übertritt in die Primarschule ausdrücklich geregelt (§ 12 Vo KG/PS). Die Schulleitung ist ausserdem ausdrücklich befugt, die Parallelversetzung als Sanktion bei schweren Disziplinarverstössen anzuordnen (§ 72 Abs. 1 lit. d Vo KG/PS). Vor dem Hintergrund dieser expliziten Regelungen ist nicht ohne Weiteres einzusehen, weshalb die zwangsweise Parallelversetzung aus Gründen des Kindeswohls alleine gestützt auf die allgemeine Kompetenznorm von § 77 Abs. 1 lit. a BildG zulässig sein sollte. Fraglich erscheint zudem, ob die Parallelversetzung aus Gründen des Kindeswohls entsprechend der Argumentation des Regierungsrats als "organisatorische" Massnahme bezeichnet werden kann. Als organisatorische Massnahmen werden in der Literatur die Bildung der Klassen, die Zuweisung der Klassen an die Lehrer und auf die einzelnen Schulhäuser sowie die Einteilung der Schüler auf die Schulhäuser und Klassen genannt (vgl. Herbert Plotke, Schweizerisches Schulrecht, Bern 2003, S. 309). Das vom Regierungsrat angeführte Urteil des Bundesgerichts nennt die "Zuweisung in eine andere Klasse an der gleichen Schule" zwar als "übliche organisatorische Anordnung" (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 28. März 2002, 2P.324/2001, E. 3.4). Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob sich diese Erwägung auch auf die zwangsweise Versetzung eines Schülers aus Gründen des Kindeswohls erstreckt. Der genannte Entscheid betrifft eine erstmalige Primarschulhauszuteilung und die zitierte Stelle des Urteils dürfte sich somit auf die erstmalige Klassenzuteilung beziehen. Insgesamt erscheint fraglich, ob § 77 Abs. 1 lit. a BildG im vorliegenden Fall als genügende gesetzliche Grundlage dienen kann.


5.6 Unabhängig vom Gesagten sind - wie der Regierungsrat zutreffend ausführt - Situationen denkbar, in denen die Versetzung eines Schülers in eine andere Klasse im Interesse des Kindeswohles, namentlich der Gesundheit des Kindes, geboten sein kann. Das Argument lässt sich nicht von der Hand weisen, dass der Schulleitung in einer solchen Situation die Befugnis zukommen muss, diese Massnahme notfalls auch gegen den Willen des Kindes bzw. der Eltern anzuordnen. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat in einem vergleichbaren Fall ausgeführt, dass die Versetzung eines Schülers in eine andere Klasse im Schulrecht des Kantons Schaffhausen nicht ausdrücklich geregelt sei. Wenn eine solche Versetzung im Interesse der Gesundheit des Kindes dringend geboten sei, so habe die Schulbehörde sie jedoch in sinngemässer Anwendung der Regeln über erziehende und disziplinarische Massnahmen vorzunehmen (vgl. Urteil des Obergerichts Schaffhausen vom 25. April 2003, in: ABSH 2003 S. 141 E. 3a). Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhält, kann letztlich offen gelassen werden, da sich die umstrittene Parallelversetzung unabhängig von der Frage der gesetzlichen Grundlage als unzulässig erweist.


6. Der Regierungsrat erachtet die strittige Parallelversetzung als im öffentlichen Interesse der Beschulung in einem möglichst förderlichen Umfeld und der dafür notwendigen Aufrechterhaltung eines geordneten Schulbetriebs geboten. Dass die genannten Ziele im öffentlichen Interesse liegen, ergibt sich bereits aus dem Anspruch auf eine den individuellen Fähigkeiten des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung entsprechende Grundschulausbildung im Sinne von Art. 19 BV.


7.1 Das verfassungsmässige Gebot der Verhältnismässigkeit verlangt, dass eine behördliche Massnahme für das Erreichen eines im übergeordneten öffentlichen (oder privaten) Interesse liegenden Zieles geeignet, erforderlich und für den Betroffenen zumutbar ist. Erforderlich ist eine vernünftige Zweck-Mittel-Relation. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Eingriff bzw. die Leistungsbeschränkung geeignet ist, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Sodann muss der Eingriff möglichst schonend erfolgen und sich in jedem Fall innerhalb des für den Betroffenen Zumutbaren halten (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 7. November 2002, 2P.81/2002, E. 10.2; Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli/Markus Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, Bern 2009, S. 152 ff.).


7.2 Der Regierungsrat führte im angefochtenen Entscheid aus, dass die Kindsmutter durch überraschende und unangekündigte Besuche sowie Telefonate den Unterrichtsbeginn und damit den Schulbetrieb regelmässig massiv gestört habe. Das Verhalten der Mutter sei auf ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis zwischen den jetzigen Lehrpersonen und den Eltern zurückzuführen. Die Parallelversetzung von A. sei eine geeignete Massnahme, um das Verhalten der Mutter zu ändern und ein neues und intaktes Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Lehrpersonen aufzubauen, was sich mit grosser Wahrscheinlichkeit positiv auf die Beschulung von A. auswirken werde. Zwar habe A. ein grosses Interesse an einer Beschulung in einer möglichst beständigen Situation und eine Parallelversetzung brächte verschiedene Veränderungen und Belastungen mit sich. Aus einem nachträglich eingeholten ärztlichen Bericht gehe zudem hervor, dass A. ein sensibler und psychisch labiler Junge sei, der unter Stress mit Rückzug, Depression und Krankheitssymptomen wie Abgeschlagenheit reagiere. Eine Parallelversetzung stelle jedoch trotz dieser medizinischen Situation für A. keine stärkere Belastung dar als für ein durchschnittlich gesundes Kind, da auch in der neuen Klasse auf der Grundlage unveränderter gesetzlicher Rahmenbedingungen die erforderlichen individuellen Absprachen und Vereinbarungen zu treffen seien. Auch wenn ein Wechsel zu einem früheren Zeitpunkt zweifellos günstiger gewesen wäre, sei die Parallelversetzung insgesamt sowohl im Zeitpunkt des Entscheids des Schulrats als auch in der heutigen Situation als verhältnismässig anzusehen.


7.3 Die Beschwerdeführer machen geltend, dass die angeordnete Massnahme ungeeignet sei, weil sie nicht gegen die angebliche Verursacherin der Schwierigkeiten, die Kindsmutter, gerichtet sei, sondern gegen das Kind. Erziehungsberechtigte, welche ihren Pflichten der Schule gegenüber nicht nachkommen würden, könnten jedoch vom Schulrat ermahnt oder mit einer Busse bis Fr. 5'000.-- bestraft werden. Vorliegend hätten somit vor einer Parallelversetzung zunächst diese milderen Massnahmen ausgeschöpft werden müssen. Die Zwangsversetzung von A., dessen Wohl angeblich geschützt bzw. gefördert werden solle, schiesse zudem über das Ziel hinaus. So sei unbestritten, dass A. am Zerwürfnis zwischen Eltern und Lehrerschaft keinerlei Anteil trage. Dieser Konflikt solle nun gewissermassen auf seinem Rücken ausgetragen werden. Die Folgen dieser Versetzung seien nicht absehbar. Gesundheitliche Probleme seien nach ärztlicher Auffassung wahrscheinlich. Nicht nachvollziehbar sei deshalb, dass die Vorinstanz den von ihr eingeholten ärztlichen Bericht von Dr. med. H. vom 2. September 2010, in welchem von einer Versetzung ausdrücklich abgeraten werde, ignoriert habe. Rechtsanwendende Behörden hätten Gutachten externer Fachspezialisten den vollen Beweiswert zuzuerkennen, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprächen. Schliesslich bestehe zumindest im aktuellen Zeitpunkt keinerlei Rechtfertigung mehr für die Parallelversetzung, zumal sich die Verhältnisse selbst nach Auffassung der Schulleitung massgeblich gebessert hätten.


7.4 Vorab ist festzuhalten, dass eine Parallelversetzung, welche wie im vorliegenden Fall im Interesse des Kindeswohls angeordnet wird, nicht dazu dienen kann, ordnungswidriges Verhalten der Eltern zu sanktionieren. Mit anderen Worten darf eine Parallelversetzung eines Kindes nicht mit dem Ziel angeordnet werden, bei dessen Eltern eine positive Verhaltensänderung zu bewirken. Soweit der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid die Parallelversetzung von A. daraufhin untersucht, ob sie geeignet ist, die Störungen des Unterrichts durch die Kindsmutter zu unterbinden, kann ihm deshalb nicht gefolgt werden. Soweit Eltern den Unterricht stören oder anderweitig ihren Pflichten gegenüber der Schule nicht nachkommen, kann dies einzig mittels der in § 69 Abs. 2 BildG vorgesehenen Massnahmen der förmlichen Ermahnung oder der Busse sanktioniert werden.


7.5 Die Parallelversetzung stellt, wie die Beschwerdeführer zu Recht feststellen, einen erheblichen Einschnitt für das Kind dar. Auch wenn eine solche Versetzung im Interesse des Kindeswohls angeordnet wird, kommt ihr bis zu einem gewissen Grad Sanktionscharakter zu, wenn sie gegen den Willen des Kindes erfolgt. Dem entspricht, dass die Parallelversetzung in § 72 Abs. 1 lit. d Vo KG/PS ausdrücklich als Disziplinarmassnahme vorgesehen ist. Der Eingriff ist dabei naturgemäss umso schwerer, je länger die Zugehörigkeit eines Kindes im bisherigen Klassenverband gedauert hat. Der Regierungsrat weist zu Recht darauf hin, dass jedem Kind ein grosses Interesse zukommt, in einer möglichst beständigen Situation beschult zu werden. Vorliegend befand sich A. im Zeitpunkt der Anordnung der Parallelversetzung in der zweiten Hälfte der vierten Klasse der Primarschule. Im Zeitpunkt des Entscheids des Regierungsrats besuchte er die fünfte und damit letzte Klasse der Primarschule. Unter diesen Umständen - d.h. im letzten Quartal der Primarschulzeit - bedarf es gewichtiger Gründe, damit eine Versetzung im Interesse des Kindeswohls gerechtfertigt ist.


7.6 Der behandelnde Arzt von A., Dr. med. H., Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, hielt mit ärztlichem Bericht vom 28. Mai 2010 fest, dass A. offenbar bis heute an den Folgen eines Morbus Pfeiffer leide und deshalb immer wieder im Unterricht fehle. Wegen der seit langem bekannten Entwicklungsretardierungen im Bereich der grob-, fein- und graphomotorischen Koordination bekunde A. zudem in verschiedenen Schulfächern Mühe. Eine Versetzung in eine andere Klasse oder in ein anderes Schulhaus erachte er aufgrund der bekannten Probleme von A. aus medizinischen Gründen als ungünstig. Am 27. Juli 2010 ersuchte die instruierende Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) Dr. H. um eine Konkretisierung seines Berichts im Hinblick auf die verfügte Parallelversetzung. Sie ersuchte insbesondere um Beantwortung der Frage, ob bei einer Versetzung von A. in eine andere Klasse eine konkrete Gefährdung der Gesundheit zu befürchten wäre. Mit ärztlichem Bericht vom 2. September 2010 hielt Dr. H. fest, dass A. momentan psychisch labil sei und einen Schulwechsel seelisch nicht verkraften würde. Unter Stress reagiere A. mit Rückzug, Depression und Krankheitssymptomen wie Abgeschlagenheit. Ein Schulwechsel würde den momentan ordentlichen, aber labil-stabilen Gesundheitszustand von A. wieder aus dem Gleichgewicht bringen. A. sei ein sehr sensibler Junge, der mit solchen Wechseln nicht zurecht komme. Sein Gesundheitszustand sei seit dem Sommer deutlich stabiler geworden, dies vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, dass er in seiner angestammten Klassen- und Schulumgebung bleiben konnte.


7.7 Die Einschätzung des Regierungsrats, wonach eine Parallelversetzung trotz dieser medizinischen Situation für A. keine grössere Belastung darstelle als für ein durchschnittlich gesundes Kind, da auch in der neuen Klasse auf der Grundlage unveränderter gesetzlicher Rahmenbedingungen die erforderlichen individuellen Absprachen und Vereinbarungen zu treffen seien, kann nicht geteilt werden. Dass eine Parallelversetzung gegenüber einem Verbleib im bisherigen Umfeld eine erhebliche Zusatzbelastung darstellt, wurde bereits dargelegt. Es lässt sich nicht ernsthaft bestreiten, dass diese Belastung bei einem psychisch labilen Kind umso schwerer ist. Die entgegenstehenden Ausführungen des Regierungsrats widersprechen denn auch dem Schreiben der BKSD an die Beschwerdeführer vom 5. August 2010 betreffend Entbindung vom Arztgeheimnis, wonach die Einschätzung von Dr. H. für die Beurteilung der Auswirkungen einer allfälligen Parallelversetzung ausschlaggebend sei. Soweit der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung vom 23. November 2010 geltend macht, dass er den Bericht von Dr. H. von einer anderen Seite her betrachte und anders interpretiere, kann ihm nicht gefolgt werden. Die Aussagen im Bericht von Dr. H. sind eindeutig und bedürfen keinerlei Interpretation. In den Akten finden sich auch keine anderslautenden Beurteilungen, beispielsweise des Schulpsychologischen Dienstes, welche von den Vorinstanzen zulässigerweise angeführt werden könnten. Eine Parallelversetzung aus Gründen des Kindeswohls ist jedoch nur unter einschränkenden Voraussetzungen im Sinne einer ultima ratio zulässig. Entsprechend müssen klare Anhaltspunkte vorhanden sein, dass sie im Kindeswohl geboten ist. Dabei sind noch vor Anordnung dieser Massnahme, zumindest aber im Rahmen eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens, die erforderlichen Abklärungen in medizinischer und psychologischer Hinsicht vorzunehmen, sofern dies - wie im Fall der Beschwerdeführer - von den Betroffenen ausdrücklich beantragt wird. Davon hat der Schulrat vorliegend in unzulässiger Weise abgesehen. Der Regierungsrat hat seinerseits den nachträglich eingeholten medizinischen Bericht von Dr. H. nicht in rechtsgenüglicher Weise berücksichtigt. Die für A. angeordnete Parallelversetzung erweist sich gestützt darauf als unverhältnismässig und die Beschwerde ist demnach gutzuheissen.


(…)


KGE VV vom 12. Januar 2011 i. S. R. (810 10 448/WEM)



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