Strafprozessrecht

Ausführungsgefahr


Erforderlich ist beim Haftgrund der Ausführungsgefahr als reiner Präventivhaft eine sehr ungünstige Kriminalprognose. Besonders bei drohenden schweren Gewaltverbrechen ist dabei auch dem psychischen Zustand des Betroffenen bzw. seiner Unberechenbarkeit oder Aggressivität Rechnung zu tragen (Art. 221 Abs. 2 StPO; E. 2.5).


Untersuchungs- und Sicherheitshaft darf nur als ultima ratio angeordnet und aufrechterhalten werden. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von der Anordnung oder Fortdauer der Haft abgesehen und an ihrer Stelle zu einer Ersatzmassnahme gegriffen werden (Art. 197 Abs. 1 lit. c StPO i.V.m. Art. 237 Abs. 1 StPO; E. 2.10).


Die Lehrmeinung, wonach für die Anordnung von Ersatzmassnahmen die gleichen Anforderungen wie an die Haft zu stellen seien, ist abzulehnen. Dies liefe praktisch darauf hinaus, dass beim Vorliegen eines Haftgrundes keine milderen Ersatzmassnahmen mehr verfügt werden könnten. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung bezüglich der Anordnung von Ersatzmassnahmen beim Haftgrund der Fluchtgefahr, gemäss welcher ein mit Untersuchungshaft verbundener Freiheitsentzug eine deutlich schärfere Zwangsmassnahme darstellt, für deren Erlass schon unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit in der Regel höhere Anforderungen zu gelten hätten als z.B. für die Anordnung einer blossen Ausweis- und Schriftensperre oder einer Meldepflicht, erweist sich auch unter Geltung der Schweizerischen Strafprozessordnung als zutreffend. Des Weiteren können die vom Bundesgericht zum Haftgrund der Fluchtgefahr angestellten Überlegungen in analoger Anwendung auf den Haftgrund der Ausführungsgefahr übertragen werden. Dies erscheint umso mehr als angezeigt, da beim Haftgrund der Ausführungsgefahr der Schutz potenzieller Opfer in ungleich grösserem Masse mitzuberücksichtigen ist (Art. 237 Abs. 1 StPO; E. 2.11).


Die vorliegend anzuordnenden Ersatzmassnahmen sind in ihrer Verbindung geeignet, die bestehende, aber reduzierte Ausführungsgefahr hinreichend zu bannen und somit die Unsicherheiten hinsichtlich der Situation nach der Haftentlassung des Beschwerdeführers zu beseitigen (Art. 237 Abs. 1 StPO; E. 2.15).



Sachverhalt

A. Mit Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 26. August 2011 wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verlängerung der Untersuchungshaft von A. N. gutgeheissen und die Untersuchungshaft vorläufig für die Dauer von 3 Monaten bis zum 23. November 2011 verlängert (Ziff. 1 des Dispositivs).


(…)


B. Gegen obgenannten Entscheid erhob A. N., vertreten durch Advokat Dr. T. T., mit Datum vom 5. September 2011 Beschwerde und beantragte unter o/e-Kostenfolge, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und der Beschwerdeführer umgehend aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter seien geeignete Ersatzmassnahmen anzuordnen. Zudem sei dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege für die ordentlichen und ausserordentlichen Kosten zu bewilligen.


C. Die Staatsanwaltschaft beantragte in ihrer Stellungnahme vom 19. September 2011, die Haftbeschwerde sei unter o/e-Kostenfolge vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Eventualiter stellte sie das Begehren, anstelle der Untersuchungshaft kumulativ die folgenden Ersatzmassnahmen anzuordnen:


"a. Es sei der beschuldigten Person zu verbieten, sich K. E. näher als 500 Meter anzunähern oder sich im Umkreis von mindestens 500 Meter ihrer Wohnung sowie ihres Arbeitsortes, (…), aufzuhalten.


b. Es sei der beschuldigten Person zu verbieten, mit K. E. auf jedwelche Art Kontakt aufzunehmen, namentlich auf telefonischem, schriftlichem oder elektronischem Weg oder sie auf andere Weise zu belästigen.


c.-d. (…)


e. Es sei die beschuldigte Person zu verpflichten, unverzüglich eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung aufzunehmen.


f. Es sei die beschuldigte Person zu verpflichten, unverzüglich am Lernprogramm für häusliche Gewalt teilzunehmen."


D. Das Zwangsmassnahmengericht seinerseits stellte in seiner Stellungnahme vom 15. September 2011 den Antrag, die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen, unter o/e-Kostenfolge.



Erwägungen

1.1-2.3 (…)


2.3 Zur Begründung des Haftgrunds der Ausführungsgefahr macht die Vorinstanz im Wesentlichen geltend, der Beschwerdeführer habe gemäss den glaubhaften Aussagen seiner ehemaligen Partnerin K. E., Todesdrohungen ihr gegenüber ausgesprochen sowie gedroht, er werde die gemeinsamen Kinder entführen. In seinen Einvernahmen habe der Beschwerdeführer die Drohungen und Beschimpfungen gegenüber K. E. zwar abgestritten, jedoch zugestanden, dass er sie über Gebühr in missbräuchlicher Weise kontaktiert und sich somit nicht an das Urteil des Bezirksgerichts X. vom 16. Mai 2011 gehalten habe. Im vorliegenden Fall sei, gestützt auf das 26-seitige forensisch-psychiatrische Vorabgutachten vom 5. August 2011 (im Folgenden: Vorabgutachten) von Dr. med. C. B. (im Folgenden: Gutachterin), ernsthaft zu befürchten, dass die angedrohten Tötungs- und Entführungsdrohungen ausgeführt werden könnten. Es bestehe somit eine erhebliche Ausführungsgefahr. Ersatzmassnahmen zur Beseitigung seien keine ersichtlich. Zudem erscheine die Haft noch als verhältnismässig.


2.4 Der Beschwerdeführer bringt zusammengefasst vor, die Vorinstanz habe den Haftgrund der Ausführungsgefahr zu Unrecht bejaht, da eine reine Präventivhaft gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts nur mit grosser Zurückhaltung anzuordnen sei. Im vorliegenden Fall fehle es nicht nur an einer ausgesprochenen Drohung, sondern auch an der Gefahr, dass der Beschwerdeführer in Freiheit jemanden töten oder die gemeinsamen Kinder entführen könnte. Gestützt auf das Vorabgutachten vom 5. August 2011, lasse sich klarerweise nicht mehr begründen, es bestehe diesbezüglich eine sehr hohe Gefahr. Insbesondere halte das Vorabgutachten fest, dass wenn die inzwischen zwischen K. E. und dem Beschwerdeführer eingetretene emotionale Distanz aufrechterhalten werden könne, das Risiko einer Umsetzung der Gewaltandrohungen eher gering einzuschätzen sei. Schliesslich gäbe es, selbst wenn man die Ausführungsgefahr noch bejahen würde, geeignete Ersatzmassnahmen, mit welchen der Beschwerdeführer sich eventualiter einverstanden erklärt habe.


2.5 Der Haftgrund der Ausführungsgefahr gemäss Art. 221 Abs. 2 StPO setzt voraus, dass ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen zu begehen, wahrmachen. Die Untersuchungshaft wegen Ausführungsgefahr kann ohne besonderen Konnex zu einer laufenden Strafuntersuchung angeordnet werden. Sie erstreckt sich auf "Personen" und nicht etwa "beschuldigte Personen", und ein Tatverdacht ist nicht erforderlich. Immerhin verlangt das Gesetz, dass vorgängig eine "Drohung" ausgesprochen wurde, welche selbst strafbar sein kann, aber nicht muss (vgl. Markus Hug, in: Andreas Donatsch/Thomas Hansjakob/Viktor Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, Art. 221 N 41 f.). Die Notwendigkeit, Personen an der Begehung strafbarer Handlungen zu hindern, wird in Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich als Haftgrund anerkannt (BGE 133 I 270 E. 2.1 S. 275). Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung von Delikten sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen allerdings nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62 mit Hinweis). Bei der Annahme, dass die beschuldigte Person eine schwere Straftat begehen könnte, ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Zurückhaltung geboten. Erforderlich ist bei Ausführungsgefahr als reiner Präventivhaft eine sehr ungünstige Kriminalprognose (vgl. BGE 137 IV 122 E. 5.2, BSK-StPO-Marc Forster, Art. 221 N 17). Nicht Voraussetzung ist hingegen, dass die verdächtige Person bereits konkrete Anstalten getroffen hat, um die befürchtete Tat zu vollenden (vgl. Markus Hug, a.a.O., Art. 221 N 44). Vielmehr genügt es, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Ausführung aufgrund einer Gesamtbewertung der persönlichen Verhältnisse sowie der Umstände als sehr hoch erscheint (BGE 125 I 361 E. 5 S. 366 f.). Besonders bei drohenden schweren Gewaltverbrechen ist dabei auch dem psychischen Zustand der verdächtigen Person bzw. ihrer Unberechenbarkeit oder Aggressivität Rechnung zu tragen (vgl. BGE 123 I 268 E. 2e S. 271 f.). Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. BGE 137 IV 122 E. 5.2) ist grundsätzlich auch nach Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung an dieser bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, wobei nunmehr Art. 221 Abs. 2 StPO ausdrücklich verlangt, dass die Verwirklichung eines "schweren Verbrechens" drohen muss. Je schwerer die angedrohte Straftat ist, desto eher rechtfertigt sich aber eine Inhaftierung, wenn die vorhandenen Fakten keine genaue Risikoabschätzung erlauben. Bei Gewalttaten von der Schwere einer Tötung darf an die Annahme von Ausführungsgefahr kein allzu hoher Massstab gelegt werden. Besonders bei drohenden schweren Gewaltverbrechen ist dabei auch dem psychischen Zustand des Betroffenen bzw. seiner Unberechenbarkeit oder Aggressivität Rechnung zu tragen (vgl. Markus Hug, a.a.O., Art. 221 N 44). Die Abschätzung des Ausführungsrisikos hat nach Massgabe der konkreten Umstände des Einzelfalls zu erfolgen (vgl. BSK-StPO-Marc Forster, Art. 221 N 17).


2.6 Der Beschwerdeführer bestreitet bereits das Vorliegen einer Drohung, welche als erste Voraussetzung gemäss Art. 221 Abs. 2 StPO verlangt wird. Er bringt vor, ob der Beschwerdeführer die von K. E. behaupteten Drohungen tatsächlich ausgesprochen hat, sei Gegenstand laufender Ermittlungen. Es würden keine Beweise oder auch nur Indizien für die behaupteten Drohungen vorliegen. Lediglich ein Verdacht der Drohung genüge gemäss dem Wortlaut von Art. 221 Abs. 2 StPO nicht.


Die einlässliche Würdigung der Aussagen der Beteiligten wird Sache des urteilenden Gerichts sein. Gestützt auf eine summarische Beweiswürdigung sind die Aussagen des Opfers jedoch als glaubhafter als jene des Beschwerdeführers einzustufen. In diesem Zusammenhang gilt es auch das massiv belästigende Verhalten des Beschwerdeführers zu würdigen, welcher zwischen dem 5. April 2011 und dem 7. Juli 2011 K. E. an zahlreichen Tagen jeweils zwischen 20- und 30-mal anrief, woraus sich durchaus ein Kontrollverlust des Beschwerdeführers ableiten lässt. Im Einzelnen kann bezüglich der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Drohungen auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz in den Erwägungen 2.1.3 bis 2.1.5 verwiesen werden. Eine Drohung i.S.v. Art. 221 Abs. 2 StPO liegt somit in casu vor.


2.7 Weiter müssen die befürchteten Verbrechen von schwerer Natur sein (Art. 221 Abs. 2 StPO). Art. 10 Abs. 2 StGB enthält allerdings kein klares Abgrenzungskriterium für "schwere" und "minder schwere" Verbrechen (vgl. zum Ganzen BSK-StPO-Marc Forster, Art. 221 N 18). Bei der Grenzziehung dürfte es aber Sinn machen, auf die Voraussetzungen für die Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB abzustellen, also auf angedrohte Taten gegen die physische, psychische oder sexuelle Integrität wie Mord, vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung, Raub, Geiselnahme, Brandstiftung, Gefährdung des Lebens oder gegen diese Rechtsgüter gerichtete und mit einer Höchststrafe von 5 oder mehr Jahren bedrohte Taten (vgl. Markus Hug, a.a.O., Art. 221 N 43). Jedenfalls aber entfällt die Möglichkeit der Anordnung von Präventivhaft, wenn sich die Drohung auf die Ausführung eines Vergehens im Sinne von Art. 10 Abs. 3 StGB bezieht (vgl. BGE 137 IV 122 E. 5.2). Das vorliegend befürchtete Tötungsdelikt resp. die angedrohte Entführung der gemeinsamen Kinder weisen aufgrund der angedrohten Strafandrohung von über 5 Jahren Freiheitsstrafe gemäss Art. 111 StGB resp. bis zu 5 Jahren gemäss Art. 183 Abs. 1 StGB ohne Zweifel die von Art. 221 Abs. 2 StPO notwendige schwere Natur auf.


2.8 Der Haftgrund der Ausführungsgefahr setzt voraus, dass eine sehr ungünstige Kriminalpronose vorliegt (vgl. BGE 137 IV 122 E. 5.2, BSK-StPO-Marc Forster, Art. 221 N 17). Zur Beurteilung der Kriminalprognose ist das Vorabgutachten vom 5. August 2011 von entscheidender Bedeutung. Es führt aus, dass der Beschwerdeführer zahlreiche Faktoren aufweise, die sich häufig bei Personen finden, die nach einer Drohung Gewalt gegen die (Ex-) Partnerin anwenden. Von daher sei bei ihm grundsätzlich von einem erhöhten Risiko, dass er die von ihm angedrohten Straftaten begehe, auszugehen. Zu beachten sei aber, dass er sich - als Folge der Inhaftierung - in der Zwischenzeit emotional deutlich von der konflikthaften Trennungssituation distanziert habe. Eine für den Tatzeitraum anzunehmende "Anpassungsstörung mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens" (ICD-10 F43.24) sei heute nicht mehr zu diagnostizieren. Dies vermindere das Risiko, dass Gewaltandrohungen umgesetzt würden. Wenn die inzwischen eingetretene emotionale Distanz aufrechterhalten werden könne, dann sei das Risiko, dass die Gewaltandrohungen umgesetzt werden, eher gering einzuschätzen. Das Risiko, dass erneut ein Stalking-Verhalten (Drohungen, Missbrauch einer Fernmeldeanlage) auftrete, sei im Vergleich dazu etwas höher. Sollte nach Entlassung aus der Untersuchungshaft aber - als Folge der absehbaren psychosozialen Probleme - die emotionale Belastung des Beschwerdeführers wieder zunehmen, dann wäre auch von einem deutlich höheren Risiko für Stalking-Verhalten auszugehen; auch das Risiko, dass die Gewaltandrohungen umgesetzt werden, würde dann wieder ansteigen (vgl. Vorabgutachten, S. 24 f.).


In Würdigung dieser Kernaussagen des Vorabgutachtens und unter Beachtung der gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gebotenen Zurückhaltung kann - wie dies auch der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht - vorliegend nicht von einer sehr grossen Ausführungsgefahr ausgegangen werden. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist zudem zu beachten, dass der Beschwerdeführer nicht vorbestraft ist, wobei eine frühere Anzeige von K. E. betreffend Tätlichkeiten und Drohung mit Verfügung bzw. Beschluss der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft in Anwendung von Art. 55a StGB am 18. August 2009 vorläufig und am 11. Mai 2010 definitiv eingestellt wurde. Dieses Verfahren hatte im Übrigen nicht massive Gewaltanwendungen zum Gegenstand. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer offenbar eine neue Beziehung eingegangen ist, was voraussichtlich seine Fokussierung auf den Konflikt mit K. E. abschwächen wird. Aufgrund der Schlussfolgerungen der Gutachterin, der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sowie der übrigen Sachlage ergibt sich, dass die Wahrscheinlichkeit der Begehung der gemäss den Aussagen der Ex-Partnerin angedrohten Straftaten nicht als sehr hoch zu erachten ist. Allerdings besteht ein Unsicherheitsfaktor, was die Aufrechterhaltung der emotionalen Distanz zwischen dem Beschwerdeführer und K. E. nach einer allfälligen Entlassung aus der Untersuchungshaft betrifft. Es kann festgehalten werden, dass zwar noch eine gewisse, aber doch deutlich reduzierte Ausführungsgefahr besteht, welche erst bei einem erneuten Ausbruch des Konflikts mit K. E. zu erhöhten Risiken führen würde.


2.9 (…)


2.10 Nach Art. 237 Abs. 1 StPO ordnet das zuständige Gericht anstelle der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen. Als Ersatzmassnahmen kommen gemäss Art. 237 Abs. 2 StPO namentlich in Frage: a. die Sicherheitsleistung; b. die Ausweis- und Schriftensperre; c. die Auflage, sich nur oder sich nicht an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Haus aufzuhalten; d. die Auflage, sich regelmässig bei einer Amtsstelle zu melden; e. die Auflage, einer geregelten Arbeit nachzugehen; f. die Auflage, sich einer ärztlichen Behandlung oder einer Kontrolle zu unterziehen; g. das Verbot, mit bestimmten Personen Kontakte zu pflegen. Die Strafprozessordnung sieht damit die vorliegend ausgesprochenen Ersatzmassnahmen der Aufenthaltsbeschränkung (Art. 237 Abs. 2 lit. c StPO), der Meldepflicht (Art. 237 Abs. 2 lit. d StPO) und des Kontaktverbots (Art. 237 Abs. 2 lit. g StPO) ausdrücklich vor. Bei der Frage, ob und gegebenenfalls welche Ersatzmassnahme zur Erreichung des Haftzwecks ausreichen, steht dem Gericht ein Ermessensspielraum zu (vgl. BSK-StPO-Matthias Härri, Art. 237 N 6). Untersuchungs- und Sicherheitshaft darf nur als ultima ratio angeordnet und aufrechterhalten werden. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von der Anordnung oder Fortdauer der Haft abgesehen und an ihrer Stelle zu einer Ersatzmassnahme gegriffen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 124 I 208 E. 5 S. 213; 123 I 268 E. 2c S. 270 f.). Dies ergibt sich aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 BV und Art. 36 Abs. 3 BV), namentlich aus dem Grundsatz der Subsidiarität (vgl. Art. 197 Abs. 1 lit. c StPO).


2.11 In der Lehre wird teilweise vertreten, da die Ersatzmassnahmen an Stelle der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft treten, dass für die Anordnung von Ersatzmassnahmen die gleichen Anforderungen wie an die Haft zu stellen seien (so BSK-StPO-Matthias Härri, Art. 237 N 2). Das Bundesgericht ist allerdings der Auffassung, ein mit Untersuchungshaft verbundener Freiheitsentzug stelle eine deutlich schärfere Zwangsmassnahme dar, für deren Erlass schon unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit in der Regel höhere Anforderungen zu gelten hätten als z.B. für die Anordnung einer blossen Ausweis- und Schriftensperre oder einer Meldepflicht (BGE 133 I 31, Urteil des Bundesgerichts 1B_162/2009 vom 10. November 2009 E. 5). Für die Anordnung einer Ersatzmassnahme müsse keine Fluchtgefahr vorliegen, da eine Fluchteignung ausreiche. Markus Hug erachtet diese bundesgerichtliche Rechsprechung als einleuchtend, denn eine Ausweis- und Schriftensperre könne z.B. bei offenkundiger Fluchtgefahr die Untersuchungshaft nie ersetzen (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1B_49/2007 vom 11. April 2007 E. 2.6). Sie könne lediglich dann zum Zug kommen, wenn die Fluchtgefahr als relativ geringfügig eingestuft werde, indessen noch Restzweifel beseitigt werden müssen (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1B_288/2008 vom 28. November 2008 E. 2.5.2, wo das Bundesgericht angenommen hat, die drei verschiedenen Ersatzmassnahmen - nämlich Kaution, Passsperre und Meldepflicht - seien jedenfalls in ihrer Verbindung geeignet, die bestehende, aber reduzierte Fluchtgefahr hinreichend zu bannen). Die in der Lehre vertretene Gegenansicht liefe praktisch darauf hinaus, dass bei Fluchtgefahr keine milderen Ersatzmassnahmen mehr verfügt werden könnten (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_162/2009 vom 10. November 2009 E. 5; Markus Hug, a.a.O., Art. 237 N 2).


Die bundesgerichtlichen Überlegungen hinsichtlich des Haftgrundes der Fluchtgefahr erweisen sich nach Ansicht der strafrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts auch unter Geltung der Schweizerischen Strafprozessordnung als zutreffend. Des Weiteren können sie in analoger Anwendung auf den Haftgrund der Ausführungsgefahr übertragen werden. Dies erscheint umso mehr als angezeigt, da beim Haftgrund der Ausführungsgefahr der Schutz potenzieller Opfer in ungleich grösserem Masse mitzuberücksichtigen ist. Demnach ist nachfolgend zu prüfen, ob eine bestehende, aber reduzierte Ausführungsgefahr durch Ersatzmassnahmen hinreichend gebannt werden kann, sodass der Beschwerdeführer aus der Untersuchungshaft entlassen werden kann.


2.12-2.14 (…)


2.15 Die strafrechtliche Abteilung des Kantonsgerichts ist der Ansicht, dass die obenerwähnten Ersatzmassnahmen in ihrer Verbindung geeignet sind, die bestehende, aber reduzierte Ausführungsgefahr hinreichend zu bannen und somit die Unsicherheiten hinsichtlich der Situation nach der Haftentlassung zu beseitigen, weswegen die Beschwerde gutzuheissen und der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts Basel-Landschaft vom 26. August 2011 aufzuheben ist. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 226 Abs. 5 StPO unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.


3. (…)


Beschluss der Dreierkammer des Kantonsgerichts, Abteilung Strafrecht, vom 11. Oktober 2011 (470 11 147/VOM)



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