Internationales Privatrecht

Annerkennung eines ausländischen Gerichtsurteils (Art. 27 Ziff. 2 aLugÜ)


Die Anerkennung eines ausländischen Erkenntnisurteils setzt gemäss Art. 27 Ziff. 2 Lugano-Übereinkommen voraus, dass dem Beklagten das das Erkenntnisverfahren einleitende Schriftstück ordnungsgemäss und rechtzeitig zugestellt wurde. Dies hat das mit der Frage der Anerkennung eines ausländischen Entscheids befasste Gericht selbständig und von Amtes wegen anhand der ausländischen Zivilprozessordnung zu prüfen. Die sich einer Anerkennung widersetzende Partei trägt jedoch die Beweislast für den entsprechenden Versagungsgrund (E. 3-3.3).


Umfang der Begründungspflicht im Beschwerdeverfahren (E. 5).



Erwägungen

1. ( … )


2. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet die Vollstreckung eines deutschen Gerichtsurteils in der Schweiz. Nachdem sowohl Deutschland als auch die Schweiz Vertragsstaaten des Lugano-Übereinkommens (LugÜ) sind, finden im vorliegenden Vollstreckungsverfahren die Bestimmungen des LugÜ Anwendung, wobei - wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat - die altrechtlichen Bestimmungen des Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (aLugÜ) beachtlich sind, da es um die Vollstreckung eines Urteils geht, das vor Inkrafttreten der revidierten Bestimmungen des LugÜ, d.h. vor dem 1. Januar 2011, ergangen ist.


3. Der Beschwerdeführer rügt in erster Linie, der Bezirksgerichtspräsident Liestal habe den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt und eine Rechtsverletzung begangen, indem er den Nachweis der ordnungsgemässen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks zu Unrecht als erbracht beurteilt habe. Bis heute sei ihm die Klage der Beschwerdegegner jedoch nicht zugestellt worden. Die relevanten Schriftstücke seien in einem Briefkasten hinterlegt worden, der in keinem Zusammenhang zu ihm stehe, da er zu dem Zeitraum unter dieser Adresse nachweislich keine Geschäftsräume gemietet habe.


3.1 Das Lugano-Übereinkommen setzt in verfahrensrechtlicher Hinsicht voraus, dass der Beklagte sich im Erkenntnisverfahren verteidigen konnte, was wiederum bedingt, dass diesem das das Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück ordnungsgemäss und rechtzeitig zugestellt worden ist. Das verfahrenseinleitende Schriftstück im Sinne von Art. 27 Ziff. 2 aLugÜ ist die vom Recht des Urteilsstaates vorgesehene Urkunde, durch deren Zustellung der Beklagte erstmals von dem der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren Kenntnis erlangt und in die Lage versetzt wird, seine Rechte vor Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung im Urteilsstaat geltend zu machen. Das mit der Frage der Anerkennung eines ausländischen Entscheids befasste Gericht muss sowohl die ordnungsgemässe als auch die rechtzeitige Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks selbständig und von Amtes wegen überprüfen (Fridolin Walter, in: Felix Dasser/Paul Oberhammer [Hrsg.], Kommentar zum Lugano-Übereinkommen, Bern 2008, Art. 27 Rz. 38 ff.). Dieser Umstand befreit jedoch diejenige Partei, welche sich einer Anerkennung widersetzt, nicht von der Beweislast für den entsprechenden Versagungsgrund (BGE 129 I 110, nicht publ. E. 3.1).


3.2 Die sich vorliegend stellende Frage der ordnungsgemässen Zustellung ist von den schweizerischen Gerichten autonom anhand der deutschen Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 (dZPO, FNA 310-4) zu beantworten. Für den Fall, dass die Person, der ein Schriftstück zugestellt werden soll, nicht angetroffen wird, sieht die Zivilprozessordnung eine Ersatzzustellung nach den §§ 178-181 dZPO vor. Diese Vorschriften bezwecken zu verhindern, dass sich jemand den Rechtswirkungen einer Zustellung entzieht. Es gilt sicherzustellen, dass sich ein Prozess nicht durch endlose Fahndung nach dem zur üblichen Zustellzeit immer abwesenden Adressaten ungebührlich verzögert (Adolf Baumbach/Wolfgang Lauterbach/Jan Albers/Peter Hartmann, Beck'scher Kurzkommentar, Zivilprozessordnung, 65. Aufl., München 2007, Einf. §§ 178-181, Rz. 2). Ist die Zustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Adressaten nicht ausführbar, so kann das Schriftstück dementsprechend in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 dZPO).


3.3 Der Bezirksgerichtspräsident Liestal kam im angefochtenen Entscheid zum Schluss, dass die Verfügung des Landgerichts Stade vom 22. Januar 2010 - das verfahrenseinleitende Schriftstück - gemäss beglaubigter Abschrift der Zustellungsurkunde am 15. Februar 2010 durch den Postboten in den zu einem Geschäftsraum des Beschwerdeführers gehörenden Briefkasten eingelegt worden sei. Dadurch habe das Schriftstück gemäss der deutschen Zivilprozessordnung als ordnungsgemäss zugestellt zu gelten und die Zustellung erfülle auch die Anforderungen, welche das Lugano-Übereinkommen in den Art. 27 Ziff. 2 aLugÜ sowie Art. 46 Ziff. 2 aLugÜ für eine Anerkennung in der Schweiz aufstelle.


Was der Beschwerdeführer gegen diese Schlussfolgerung vorbringt, ist unbehelflich. Aufgrund der oben erwähnten Beweislastverteilung (vgl. E. 3.1 in fine) obliegt ihm der Beweis dafür, dass er zum Zeitpunkt der Zustellung an der Zustelladresse keinen Geschäftsraum resp. einen dazugehörigen Briefkasten oder ähnliche Vorrichtung unterhielt. Zu diesem Beweisthema reichte er keinerlei Unterlagen ein. Entgegen seiner Darstellung in der Beschwerdeschrift ist es ihm deshalb auch nicht ansatzweise gelungen, den Nachweis für die Behauptung zu erbringen, dass er im Februar 2010 nicht mehr unter dieser Zustelladresse erreichbar war. Vielmehr legen die im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Kopien der Briefumschläge sowie der Rückscheine der Deutschen Post nahe, dass die in den Briefkasten eingelegten Schriftstücke des Landgerichts Stade sehr wohl in seinen Empfangsbereich gelangten. Dabei ist ungeachtet der vom Beschwerdeführer offenbar vertretenen Auffassung nicht relevant, ob es sich um seine Privatadresse oder die Geschäftsadresse einer seiner Firmen handelt. Wie der Bezirksgerichtspräsident in seinem Entscheid weiter richtig ausführte, bewirkt bereits die Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten die Fiktion des Zugangs. Dies gilt unabhängig davon, ob und wann der Adressat tatsächlich vom Inhalt Kenntnis nimmt (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 180 Rz. 7). Das Schriftstück gilt somit selbst dann als ordnungsgemäss zugestellt, wenn es ungeöffnet an den Absender zurückgeschickt wird. Der Entscheid des Bezirksgerichtspräsidenten Liestal erweist sich demgemäss als rechtmässig und die Beschwerde ist in diesem Punkt unbegründet.


4. Der Beschwerdeführer wendet sich im Weiteren dagegen, dass der Bezirksgerichtspräsident Liestal die Entscheidung des Landgerichts Stade entgegen seiner Anträge inhaltlich nicht überprüfte. Dies dürfe kaum richtig sein.


Art. 29 aLugÜ lautet wörtlich: "Die ausländische Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden." Das Vorgehen des Bezirksgerichtspräsidenten war damit offensichtlich rechtmässig.


5. Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, der Bezirksgerichtspräsident Liestal habe die meisten seiner Einwendungen und Nachweise nicht berücksichtigt. Er geht jedoch nicht näher darauf ein, welche für den Entscheid relevanten Einwendungen und Nachweise inwiefern unberücksichtigt geblieben sein sollen.


In der Beschwerdebegründung ist darzulegen, an welchen Mängeln der angefochtene Entscheid leidet. Es besteht somit im Beschwerdeverfahren eine Rügepflicht (Dieter Freiburghaus/Susanne Afheldt, in: Thomas Sutter-Somm/Franz Hasenböhler/Christoph Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich 2010, Art. 321 Rz. 15). Es ist deshalb in der Beschwerdeschrift substantiiert vorzutragen, aus welchen Gründen der angefochtene Entscheid falsch sei und weshalb er geändert werden müsse. Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerdeschrift im Rahmen der Begründung die Umstände genau zu bezeichnen, aus denen er seine Kritik ableitet bzw. eine von der Vorinstanz abweichende Rechtsfindung resultieren soll. Diesen minimalen Anforderungen an eine rechtsgenügliche Rüge genügt die pauschal vorgetragene Kritik des Beschwerdeführers offenkundig nicht, zumal der angefochtene Entscheid entgegen der Darstellung in der Beschwerdeschrift durchaus auf die entscheidwesentlichen Vorbringen des Beschwerdeführers eingeht. Auf die entsprechende Rüge kann folglich nicht eingetreten werden.


6. Im Übrigen kann auch nicht weiter auf die als "Beschwerde gegen die Verfügung der Kantonsgerichtspräsidentin vom 13. Oktober 2011" bezeichnete Eingabe des Beschwerdeführers vom 21. Oktober 2011 eingegangen werden, da die schweizerische Zivilprozessordnung gegen Entscheide und Verfügungen des oberen kantonalen Gerichts keine Beschwerdemöglichkeit vorsieht. Ohnehin ist nicht ersichtlich, welcher Nachteil dem Beschwerdeführer durch die Verfügung erwachsen sein soll, hatte er doch die in der Eingabe vom 21. Oktober 2011 vorgebrachten Rügen bereits vor der ersten Instanz resp. in der Beschwerdeschrift erhoben.


7. - 8. ( … )


KGE ZR vom 19. Dezember 2011 i.S. H.M. gegen J. und E.M. (410 2011 305/SUS)



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