Zivilgesetzbuch

Regelung der Benützung der ehelichen Wohnung


Es liegt im weiten Ermessen des Eheschutzgerichts, wem es im Streitfall die eheliche Wohnung und den Hausrat zur Benützung zuweist. Führt die Interessenabwägung zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist im Zweifel den Eigentums- oder anderen rechtlich geordneten Nutzungsverhältnissen Rechnung zu tragen (Art. 176 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB; E. 3).



Erwägungen

1. ( … )


2. ( … )


3.1 Im Berufungsverfahren ist die Zuweisung der ehelichen Wohnung am F. in B nach wie vor streitig. Die Bezirksgerichtspräsidentin Arlesheim wies die eheliche Liegenschaft während der Dauer des Getrenntlebens der Ehefrau zum alleinigen Gebrauch zu und untersagte dem Ehemann, die Liegenschaft inklusive Garten gegen den Willen der Ehefrau zu betreten. Sie erwog in diesem Zusammenhang, im Eheschutzverfahren habe die vorübergehende Zuteilung der ehelichen Liegenschaft an eine Partei nach Zweckmässigkeit und unabhängig von den Eigentumsverhältnissen zu erfolgen. Zu berücksichtigen seien berufliche Gründe und nur bei einem unausweichlich notwendigen Verkauf in offensichtlichen Mängelfällen könnten finanzielle Gründe ein Kriterium für die Zuteilung sein. Der Ehemann sei aus der Liegenschaft F. in B ausgezogen und erhebe keinen Anspruch, persönlich in derselben zu wohnen. Er habe in Anbetracht seiner komfortablen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht, die genannte Liegenschaft sei finanziell nicht mehr tragbar. So dürften auch für eine zumutbare Ersatzwohnung für die Ehefrau Wohnkosten von rund CHF 30'000.00 pro Jahr anfallen und der Ehemann habe ihr eine Wohnung in B zu einem monatlichen Mietzins von CHF 2'700.00 pro Monat angeboten, was zu noch höheren Wohnkosten geführt hätte. Der Ehemann habe schliesslich den angeblichen Renovationsbedarf der Liegenschaft weder substantiiert behauptet noch glaubhaft gemacht.


3.2 In seiner Berufungsschrift lässt der Ehemann im Wesentlichen monieren, es könne nicht angehen, dass die Ehefrau die fragliche Liegenschaft unbefristet für die gesamte Dauer des Scheidungsverfahrens zugewiesen erhalte. Die Wohnberechtigung der Ehefrau sei unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte längstens bis 31. März 2012 zu befristen. Die Ehefrau weise keine komplizierten Verhältnisse auf, welche einen Wohnungswechsel zu gegebener Zeit als unzumutbar erscheinen liessen. Die Ehefrau habe keine Kinder, so dass bei der Wohnungssuche nicht auf nahegelegene Schulen oder ähnliches Rücksicht zu nehmen sei. Als Einzelperson sei ein Umzug ohne weiteres zumutbar. Die Befürchtungen der Ehefrau um ihre güterrechtlichen Ansprüche könnten zu keiner unbefristeten Wohnungszuteilung führen. Auch der Umstand, dass die Ehefrau als Pianistin mehrere Stunden pro Tag Klavier spiele, rechtfertige keine unbefristete Zuteilung des Herrschaftshauses. Einerseits werde die Ehefrau das Eigengut des Ehemannes ohnehin früher oder später verlassen und in eine Wohnung ziehen müssen. Andererseits habe sich der Ehemann bereit erklärt, allenfalls notwendige Kosten für eine schalldichte Isolation eines Musikzimmers bis zum Betrag von CHF 10'000.00 zu übernehmen. Der Ehemann habe in den letzten Jahren seinen Geschäftsbetrieb im Zuge der Unternehmungsnachfolge auf seine Söhne übertragen und sich im Sommer mit 75 Jahren pensionieren lassen. Sein Einkommen sei deswegen massiv gesunken und lasse mittelfristig die Beibehaltung der besagten Liegenschaft nicht mehr zu. Ohnehin seien die Wohnkosten für einen 2-Personen-Haushalt hoch gewesen. Schliesslich befinde sich die Liegenschaft in einem stark renovationsbedürftigen Zustand, weshalb jederzeit mit hohen Sanierungskosten gerechnet werden müsse. Die Ehefrau wisse seit längerem, dass das Wohnen in der Villa F. in naher Zukunft ein Ende haben werde. Die Berufungsbeklagte hält dagegen, ihre aktuellen finanziellen Mittel würden ihr den Umzug in eine andere Wohnung oder ein anderes Haus nicht erlauben. Ein Umzug - insbesondere ihres Flügels - wäre mit nicht aufzubringenden Kostenfolgen verbunden. Zudem habe sie sehr schlechte Karten auf dem Wohnungsmarkt mit ihrem monatlichen Einkommen von rund CHF 1'253.00. Obendrein habe sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Eine Befristung ergebe sich von der Sache her durch das Scheidungsverfahren. Weiter sei sie als Pianistin darauf angewiesen, dass sie weiterhin während mehreren Stunden pro Tag Klavier spielen könne. Die Suche nach einer anderen Wohnung gestalte sich daher nicht so einfach. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass der Ehemann selbst nie einen Bedarf an der ehelichen Liegenschaft geltend gemacht habe. Seine eigene Wohnsituation sei zudem so, dass er seinen Hauptwohnsitz bei seiner neuen Freundin in der eigenen Liegenschaft in Basel habe.


3.3 Gemäss Art. 176 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB muss das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Benützung der Wohnung und des Hausrates regeln, soweit die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes begründet ist. Es liegt im weiten Ermessen des Eheschutzgerichts, wem es im Streitfall die eheliche Wohnung und den Hausrat zur Benützung zuweist. Kann nicht eindeutig ausgemacht werden, wem das Haus oder die Wohnung den grösseren Nutzen bringt, so hat derjenige auszuziehen, dem es unter Würdigung aller Umstände eher zuzumuten ist (BGE 120 II 1). Was unter "Zweckmässigkeit" und "grösserem Nutzen" im Einzelnen zu verstehen ist, haben Gerichtspraxis und Lehre verdeutlicht. Im Vordergrund der Beurteilung stehen das Interesse der Kinder, in der gewohnten und vertrauten Umgebung bleiben zu dürfen, und die Erfahrungstatsache, dass der alleinstehende Ehegatte als Einzelperson rascher eine Wohnung findet als der andere Ehegatte mit den Kindern, sowie Gründe beruflicher und gesundheitlicher Art, wenn ein Ehegatte in der ehelichen Liegenschaft seinen Beruf ausübt oder ein Geschäft betreibt oder wenn die Wohnverhältnisse auf besondere Bedürfnisse eines gebrechlichen oder invaliden Familienmitglieds zugeschnitten sind. In zweiter Linie werden Affektionsinteressen berücksichtigt wie z.B. die Beziehungsnähe zur ehelichen Liegenschaft, deren höherer zeitlicher Nutzungswert oder die Möglichkeit für einen Ehegatten, den Unterhalt persönlich zu besorgen. Führt die Interessenabwägung zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist schliesslich im Zweifel den Eigentums- oder anderen rechtlich geordneten Nutzungsverhältnissen Rechnung zu tragen, denen auch bei voraussehbarer längerer Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes ein zusätzliches Gewicht beigemessen wird (vgl. BSK ZGB I-Schwander, Art. 176 N 7). Es steht ausser Frage, dass das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivilrecht, die Ermessensausübung der Vorinstanz bei der Zuweisung der ehelichen Liegenschaft überprüfen darf. Der Berufungsinstanz kommt somit die Befugnis zu, Ermessensentscheide frei bzw. umfassend und namentlich auch deren Angemessenheit zu überprüfen. Dies ergibt sich daraus, dass die Berufung ein ordentliches und vollkommenes Rechtsmittel darstellt, mit welchem der gesamte Prozessstoff des vorinstanzlichen Verfahrens überprüft werden kann (Botschaft ZPO, S. 7372; Gasser/Rickli, ZPO Kurzkommentar, N 3 zu Art. 310 ZPO). In casu finden sich keine der "klassischen" Zuteilungskriterien wie ein Interesse der Kinder, in der vertrauten Umgebung zu bleiben, oder eine berufliche oder gesundheitliche Situation, die ein gesteigertes Interesse an der Beibehaltung der Wohnung ausweisen. Vor diesem Hintergrund rückt die dingliche Berechtigung des Berufungsklägers an der Liegenschaft und dessen Interesse, noch zu Lebzeiten die Verhältnisse im Zusammenhang mit seinem Haus zu bereinigen, entscheidend in den Vordergrund. Im Gegensatz zum Ehemann kann die Ehefrau auch kein gesteigertes affektives Interesse bezüglich der Liegenschaft beanspruchen. Sie verkennt dazu, dass die Zuweisung der ehelichen Liegenschaft an den Ehemann ihre allfälligen güterrechtlichen Ansprüche im Falle einer Scheidung nicht beeinträchtigen. Der Berufungskläger lässt sich heute dabei behaften, der Ehefrau rückwirkend seit 1. April 2011 monatliche Unterhaltsbeiträge von CHF 4'500.00 zu bezahlen. Dieser Geldbeitrag eröffnet der Ehefrau - selbst unter Berücksichtigung eines geringen Eigenverdienstes - allemal einen ausreichenden Spielraum auf dem Wohnungsmarkt und für den Umzug in ein adäquates Domizil, welches ihrem Bedürfnis nach ausgedehnter musikalischer Betätigung gerecht wird. Allein der Umzug ihres Flügels und der Musikalien spricht nicht für eine dauerhaftere Zuweisung der Liegenschaft an die Ehefrau, gibt es doch ausgewiesene Unternehmen, die die notwendigen Transporte sachgerecht ausführen. Für die angeführten dermatologischen Beschwerden fehlt es zudem am Nachweis des adäquaten Kausalzusammenhanges zwischen der gesundheitlichen Beeinträchtigung und dem Entscheid über die Zuweisung der Liegenschaft. In Abwägung aller dieser Umstände erscheint das Interesse der Ehefrau an der Zuteilung der Liegenschaft am F. in B letztlich geringer als dasjenige des Berufungsklägers. Dieser hat bereits ernsthafte Kaufsinteressenten für das Haus. Um seine Ausgangslage für die Vertragsverhandlung zu stärken, kommt ihm ein höher zu gewichtendes Interesse an der Zuteilung der Liegenschaft zu (BGE 114 II 396). In Anbetracht seines fortgeschrittenen Alters ist dem Ehemann zuzugestehen, dass er noch zu Lebzeiten die Verhältnisse im Zusammenhang mit seinem Haus bereinigen kann und dazu nicht erst einen rechtkräftigen Entscheid in einem späteren Scheidungsverfahren abzuwarten hat. Der Ehefrau ist allerdings eine verlängerte Frist für den Auszug einzuräumen, hat sie doch eine geeignete Wohnung zu finden und den fachgerechten Umzug ihres Flügels zu organisieren. Dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivilrecht, scheint eine Frist von rund einem halben Jahr, mithin ein Auszug aus der Liegenschaft per 30. Juni 2012 als angemessen. Die Berufung ist in diesem Punkt daher gutzuheissen und die Liegenschaft F. in B in Abänderung von Ziffer 3 des Entscheides der Bezirksgerichtspräsidentin Arlesheim vom 7. Juli 2011 der Ehefrau lediglich befristet zum alleinigen Gebrauch zugewiesen, längstens bis 30. Juni 2012. Danach wird die Liegenschaft im Rahmen des Eheschutzverfahrens dem Ehemann zur freien Verfügung zugewiesen. Immerhin ist der Ehemann bei seiner anlässlich der heutigen Verhandlung erneuerten Bereitschaft zu behaften, der Ehefrau an eine schalldichte Isolation eines Musikzimmers in einer Wohnung gegen Nachweis der entsprechenden Auslagen einen Betrag von maximal CHF 10'000.00 auszurichten.


4. ( … )


5. ( … )


KGE ZR vom 5. Dezember 2011 i.S. S. gegen A. (400 11 241/LIA)


Gegen dieses Urteil hat die Ehefrau und Berufungsbeklagte Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht erhoben (5A_78/2012).



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