Verfassungsrecht

Nichtigkeit eines Gerichtsgutachtens wegen dem Anschein der Befangenheit des Gerichtsexperten


Der Tatsache, dass der Gerichtsexperte einen Parteigutachter kennt und ihn duzt, weil es sich um Berufsleute derselben Branche in der Schweiz handelt, haftet nichts Ungewöhnliches an. Es kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Experte das Gebot der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verletzt (E. 3b).


Ein Gutachten, welches von der Bauherrenhaftpflichtversicherung einer Partei in Auftrag gegeben wurde, kann nicht als unabhängig und neutral betrachtet werden, ebenso wenig der erstellende Experte dieses Gutachtens (E. 3b).


Nimmt der Gerichtsgutachter mit diesem Experten Kontakt auf, um sich Schadensbeträge erläutern und Unterlagen aushändigen zu lassen, ohne Mitteilung an das Gericht und ohne Beizug der Parteien, begründet dies objektiv betrachtet den Anschein der Befangenheit (E. 3b).


Reicht der Gesuchskläger das Ablehnungsbegehren gegen den Experten - von dessen Gründen er erst in der Gerichtsexpertise erfährt - nicht unverzüglich ein, sondern erst mit den Anträgen gemäss § 157 ZPO BL, für welche die Frist viermal erstreckt wurde, kann ihm kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden, wenn das Verfahren in kein weiteres Prozessstadium fortgeführt wurde und der Gesuchskläger keine Handlungen vornahm, welche auf einen Verzicht hindeuten würde, zumal ein Verzicht auf den verfassungsrechtlichen Anspruch auf den unvoreingenommenen Sachverständigen nicht leichthin angenommen werden darf. Das Ablehnungsbegehren ist daher nicht verwirkt (E. 4d).



Erwägungen

1. - 2. ( … )


3.a) Der Beschwerdeführer beantragt, es sei die Nichtigkeit des Gerichtsgutachtens von M. festzustellen und es sei ein neuer Gerichtsgutachter mit der Erstellung eines neuen Gerichtsgutachtens zu beauftragen. Als Begründung bringt er vor, der Gerichtsexperte habe die Parteien nicht gleich behandelt, so dass der Anschein der Befangenheit geweckt werde.


Der Anspruch auf einen unabhängigen, unbefangenen und unparteilichen Richter ist gleichermassen auf den Sachverständigen anwendbar. Dies wird aus Art. 29 Abs. 1 der Bundesverfassung und Art. 6 Ziff. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention abgeleitet (Bger 4A_256/2010 vom 26. Juli 2010, E. 2.1; BGE 126 III 249, E. 3c; BGE 125 II 541, E. 4a; Alfred Bühler, Die Stellung von Experten in der Gerichtsverfassung - insbesondere im Spannungsfeld zwischen Gericht und Anwaltschaft, SJZ 2009, S. 329), ist aber auch in der von der Vorinstanz noch anwendbaren kantonalen Zivilprozessordnung (§ 150 ZPO BL) wie auch in der neuen Schweizerischen Zivilprozessordnung (Art. 183 Abs. 2 CH-ZPO) festgehalten. Befangenheit ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters bzw. Sachverständigen zu erwecken. Dabei braucht nicht nachgewiesen zu werden, dass dieser tatsächlich befangen ist. Es genügt bereits, wenn Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit objektiv zu begründen vermögen (Bger 4A_256/2010 vom 26. Juli 2010, E. 2.1; BGE 136 I 207, E. 3.1; BGE 125 II 541, E. 4a; BGE 124 I 121, E. 3a). Das Verhalten eines Richters oder eines Sachverständigen gegenüber einer Partei kann den Anschein der Befangenheit erwecken, wenn daraus nach objektiver Betrachtung inhaltlich oder durch die Art der Kommunikation auf besondere Sympathien oder Antipathien oder auf eine Ungleichbehandlung geschlossen werden kann. Insbesondere einseitige Kontakte eines gerichtlichen Experten zu einer Partei oder deren Vertreter begründen den Anschein der Befangenheit. Auch wenn einseitige Kontaktnahmen tatsächlich bloss organisatorische Fragen betreffen, finden sie in Abwesenheit der Gegenpartei statt und entziehen sich deren Kontrolle, was begründetes Misstrauen in die Unparteilichkeit des Experten weckt (Bger 4P.254/2006 vom 6. Dezember 2006, E. 2.2).


3.b) Der Beschwerdeführer erläutert, der Gerichtsexperte und der Verfasser des Parteigutachtens der Gesuchsbeklagten 15, Herr W., würden sich persönlich kennen, seien "Duzfreunde" und würden eine längere geschäftliche Verbindung pflegen. Dies sei nicht von vornherein stossend. Jedoch sei stossend, dass die Gesuchsbeklagte 15 diesen parteinahen Experten vorschlage mit dem Hinweis, dieser habe "keinerlei Bezüge zu den hiesigen Prozessparteien", und dass der Gerichtsexperte selbst seine Verbindung mit dem Parteigutachter der Gesuchsbeklagten 15 gegenüber dem Gericht nicht offen gelegt habe. Diese beiden Vertuschungen hätten zur Folge gehabt, dass dem Gesuchskläger die Möglichkeit genommen worden sei, sich gegen eine entsprechende Ernennung zur Wehr zu setzen. Die Gesuchsbeklagten bestreiten, dass der Gerichtsexperte und Herr W. eine längere geschäftliche Verbindung pflegen würden und dass etwas vertuscht worden sei. Dass sich zwei Experten kennen würden, deute nicht auf das Fehlen einer Unabhängigkeit hin. Der Gesuchskläger habe zudem bei der Wahl des Gerichtsexperten mitwirken können.


Die Vorinstanz hat hierzu ausgeführt, es sei nicht unüblich, wenn sich Berufsleute derselben Branche in der Schweiz kennen würden und der Tatsache, dass sie sich duzen, hafte nichts Ungewöhnliches an. Es könne daraus nicht geschlossen werden, dass der Experte das Gebot der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verletze. Das Kantonsgericht schliesst sich diesen Ausführungen der Vorinstanz an und sieht darin ebenfalls keine Ausstandsgründe. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe das auch nie behauptet, er habe einzig kritisiert, dass die Beschwerdegegnerin 15 dem Gericht einen Experten vorschlage, welche den eigenen Parteiexperten kenne und im gleichen Atemzug festhalte, dass dieser Experte besonders geeignet sei, weil er zu den hiesigen Prozessparteien keinerlei Beziehung habe. Daraus kann der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. Wenn im jetzigen Zeitpunkt die Tatsache, dass sich der Experte W. und der Gerichtsexperte von Fachanlässen her kennen und duzen, keinen Ausstandsgrund begründet, gilt dies auch für den Zeitpunkt der Beauftragung des Gerichtsexperten. Zudem hat der Gerichtsexperte in seiner Stellungnahme vom 17. März 2011 an die Vorinstanz ausgeführt, er kenne Herrn W., welcher auch ein in Zürich tätiger Bauingenieur sei, von Fachanlässen. Er habe weder mit ihm studiert noch mit ihm je in einem Projekt zusammen gearbeitet. Es liegen keine Hinweise darauf vor, dass der Gerichtsexperte und Herr W. privaten oder geschäftlichen Kontakt pflegen, so dass es auch vorgängig nichts offen zu legen gab.


3.c) Als weitere Ausstandsgründe gegen den Gerichtsexperten bringt der Beschwerdeführer vor, der Gerichtsgutachter habe im Anschluss an den Augenschein vom 7. Mai 2010 mit Herrn W. Details über die Kostenermittlung unter Ausschluss des Gesuchsklägers unter vier Augen unterhalten. Dies obwohl der Rechtsvertreter des Gesuchsklägers den engen Bezug zum Parteigutachten kritisiert habe. Danach hätte sich der Gerichtsgutachter mit dem Parteiexperten am 21. Juni 2010 nochmals in Zürich getroffen, um sich die Kostenzusammenstellung der im Parteigutachten aufgeführten Schadenbeträge erläutern zu lassen. Dies ohne den Gesuchskläger zu informieren und ihm die Möglichkeit zu geben, an besagtem Treffen teilzunehmen. An diesem Termin habe der Parteigutachter dem Gerichtsgutachter zusätzliche Dokumente übergeben, welche im Gutachterauftrag des Gerichtes nicht aufgelistet gewesen seien. Auch darüber sei der Gesuchskläger im Dunkeln gelassen worden. Diese privaten Absprachen und Dokumentenübergabe zwischen dem Gerichtsexperten und dem Parteigutachter würden eine schwere Verletzung des Gutachterauftrages und des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellen.


Die Beschwerdegegner entgegnen, die Kontaktaufnahme des Gerichtsexperten mit Herrn W. sei einerseits notwendig gewesen und andererseits offen kommuniziert worden. Der Gerichtsexperte habe am Augenschein vom 7. Mai 2010 in Anwesenheit der Parteien angekündigt, sich sachdienliche Informationen und Unterlangen von Herrn W. zu beschaffen. Der Gesuchskläger habe dazumal nichts gegen dieses Vorgehen einzuwenden gehabt, sondern lediglich den engen Bezug auf das Gutachten W. kritisiert. Die vom Gericht zugelassenen Expertenfragen hätten die Kontaktaufnahme erfordert, da sich die Fragen stark auf das Gutachten von Herrn W. abstützen würden. Um allfällige abweichenden Feststellungen vom Gutachten W. erkennen und begründen zu können, habe der Gerichtsexperte dessen Überlegungen kennen müssen. Der Gesuchskläger habe gegen diese Expertenfragen nicht opponiert. Unzutreffend sei auch die Behauptung, die Experten hätten sich mehrmals getroffen. Es habe nur eine bilaterale Besprechung am 21. Juni 2010 statt gefunden.


Nachdem an den Liegenschaften des Gesuchsklägers während der Bautätigkeiten auf dem Nachbargrundstück Schäden entstanden waren, wurde bereits im Vorfeld zum gerichtlichen Verfahren von Herrn W. von ( … ) eine Expertise zur Feststellung der Schäden und Abschätzung der Schadensumme erstellt. Diese Expertise wurde von der ( … ) Versicherungen, als Bauherrenhaftpflichtversicherung der Beschwerdegegnerin 15 ( … ), in Auftrag gegeben. Dies ergibt sich aus der Expertise von Herrn W. vom 30. April 2008. Die ( … ) Versicherungen ist zwar nicht Partei im vorliegenden Verfahren, als Versicherer der Beschwerdegegnerin 15 hat sie jedoch ein Interesse an dessen Ausgang. Daher kann das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten und damit auch der Experte W. nicht als unabhängig und neutral betrachtet werden; vielmehr ist der Experte W. parteimässig im Umfeld der Beschwerdegegnerin 15 anzusiedeln. Daran ändert auch die Zustimmung des Gesuchsklägers zur genannten Expertise und dem beauftragten Gutachter nichts, bleibt doch die ( … ) Versicherung alleinige Auftraggeberin der Expertise. Weiter bedeutete die Zustimmung des Gesuchsklägers zum Experten W. nicht, dass er auch mit der von ihm danach erstellten Expertise einverstanden ist. Eine Kontaktaufnahme des Gerichtsgutachters mit Herrn W., ohne Beizug der Parteien, ist daher zum vornherein heikel. Aus den Akten der Vorinstanz ist zudem nicht ersichtlich, dass es die Meinung des Bezirksgerichts Arlesheim war, dass der Gerichtsexperte mit Herrn W. Kontakt aufnehmen soll; vielmehr hat die Vorinstanz dem Gerichtsgutachter die Expertise von Herrn W. zugestellt und war offensichtlich der Meinung, damit könne der Gerichtsexperte die ihm gestellten Fragen beantworten. Der Gerichtsgutachter hat sich hingegen mit Herrn W. am 21. Juni 2010 zu einer bilateralen Besprechung getroffen, um sich die Ermittlung der in der Kostenzusammenstellung aufgeführten Schadenbeträge erläutern zu lassen. Ob zusätzlich gleich nach dem Augenschein auch noch ein Treffen stattfand, ist nicht erheblich und kann offen bleiben. Aus dem Gerichtsgutachten geht zumindest kein weiteres Treffen hervor. Dem Gerichtsgutachten vom 22. September 2010 kann auf Seite 23 (Beilage 1: Kurzprotokoll des Augenscheins vom 7. Mai 2010) entnommen werden, dass der Rechtsanwalt des Gesuchsklägers bereits am Augenschein vom 7. Mai 2010 den engen Bezug auf das Gutachten W. kritisierte. Wenn dieser enge Bezug kritisiert wurde, kann erst recht daraus geschlossen werden, dass eine bilaterale Besprechung zwischen dem Gerichtsexperten und Herrn W. vom Gesuchskläger nicht gutgeheissen würde, hat der Gesuchskläger doch klar kundgegeben, dass das Gutachten W. und damit dieser selbst nicht zu stark einbezogen werden sollten. Dies musste auch dem Gerichtsgutachter bewusst sein. Da Herr W. nicht als neutraler Experte angesehen werden kann, durfte der Gerichtsexperte nicht ohne Mitteilung und Beizug der Parteien mit diesem ein bilaterales Gespräch führen, in welchem er sich die von Herrn W. in dessen Expertise aufgeführten Schadenbeträge erläutern liess. Die von der Vorinstanz dem Gutachter vorgelegten Fragen nehmen zwar zum Teil sehr engen Bezug zum Gutachten W., indem nach Gründen für Abweichungen gefragt wurde, und es mag durchaus sein, dass für den Gerichtsgutachter die von Herrn W. aufgeführten Schadenbeträge nicht nachvollziehbar waren. Dennoch durfte er diesen nicht einfach zu einem Zweiergespräch treffen. Vielmehr hätte er auf die entsprechenden Gutachterfragen antworten müssen, dass er die Abweichungen zum Gutachten W. nicht erklären könne, da die von Herrn W. aufgeführten Schadensbeträge nicht nachvollziehbar seien. Der Gerichtsgutachter hätte auch die Möglichkeit gehabt, über das Gericht von Herrn W. weitere Erklärungen zu dessen Gutachten einholen zu lassen oder allenfalls ein direktes Gespräch mit Herrn W. zu führen, dies jedoch nur unter Beizug der Parteien. Erläuterungen können nicht in einem Zweiergespräch mit dem Gerichtsgutachter stattfinden, da auch die Parteien und das Gericht wissen müssen, was denn genau erläutert bzw. ergänzt wurde, zumal das Gutachten W. zu den Prozessakten gereicht wurde und die gerichtlichen Gutachterfragen Bezug darauf nehmen. Die zusätzlichen Ausführungen von Herrn W. entziehen sich der Kontrolle der Parteien und des Gerichts, was begründetes Misstrauen in die Voreingenommenheit des Gerichtsexperten erweckt, zumal der Gerichtsexperte in diesem bilateralen Gespräch beeinflusst worden sein könnte. Das bilaterale Gespräch ohne Beizug der Parteien, in welchem sich der Gerichtsexperte die Ermittlung der in der Kostenzusammenstellung aufgeführten Schadensbeträge durch Herrn W. erläutern liess, stellt einen einseitigen Kontakt zu einem nicht neutralen Experten im Umfeld der Gesuchsbeklagten 15 dar und begründet objektiv betrachtet den Anschein der Befangenheit (siehe auch BGE 97 I 320).


4.a) Die Beschwerdegegner bringen vor, das Ausstandsgesuch gegen den Gerichtsexperten sei verspätet erfolgt und daher verwirkt. Der Beschwerdeführer habe seit dem Augenschein vom 7. Mai 2010 Kenntnis der vermeintlichen Ausstandsgründe gehabt und hätte nach dem Augenschein umgehend beim Bezirksgericht Arlesheim um Ausstand bzw. Ablehnung des Gerichtsexperten ersuchen müssen. Dies habe er unterlassen. Wenn nicht nach dem Augenschein, habe er jedoch spätestens nach Erhalt des Gerichtsgutachtens vom 29. September 2010 den Ausstand des Gerichtsexperten und die Nichtigerklärung des Gutachtens beantragen müssen. Das erst nach neun bzw. fünf Monaten gestellte Begehren vom 1. März 2011 sei verspätet und das Recht, ein Ausstandsbegehren gegen den Gerichtsexperten zu stellen, verwirkt, ebenso wie das Recht, die Aufhebung des Gerichtsgutachtens zu verlangen.


4.b) Um ungebührliche Verzögerungen zu verhindern, besteht nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung aufgrund des Gebots von Treu und Glauben die Pflicht, einen Ablehnungsgrund unverzüglich nach dessen Kenntnisnahme geltend zu machen, ansonsten Verwirkung eintritt. Wer den Richter oder Gerichtsgutachter nicht unverzüglich ablehnt, sobald er vom Ablehnungsgrund Kenntnis erhält, sondern sich stillschweigend auf den Prozess einlässt oder diesen fortführt, verwirkt den Anspruch auf spätere Anrufung des Ablehnungsgrundes (BGE 136 I 207, E. 3.4; BGE 126 III 249, E. 3c; Bger 4A_256/2010 vom 26. Juli 2010, E. 3; Bger 5A_734/2008 vom 7. Januar 2009, E. 2.2). Treuwidrig und rechtsmissbräuchlich handelt die Partei, welche Ablehnungsgründe gleichsam in "Reserve" hält, um diese bei ungünstigem Prozessverlauf und voraussehbarem Prozessverlust sowie namentlich nach der Kenntnisnahme von einem für sie nachteiligen Gutachten nachzuschieben (BGE 126 III 249, E. 3c). Einer solchen Verwirkung stehen keine unverzichtbaren oder unverjährbaren Grundrechtsansprüche entgegen (BGE 126 III 249, E. 4c; BGE 118 Ia 282, E. 6).


4.c) Am Augenschein vom 7. Mai 2010 erkannte der Gesuchskläger, dass sich der Gerichtsexperte und Herr W. duzen und sich geschäftlich bereits kannten. Die vom Gesuchskläger geltend gemachten Ausstandsgründe wegen Vertuschungen beim Vorschlag und Ernennung des Gerichtsexperten hätte er daher umgehend nach dem Augenschein geltend machen müssen. Er durfte nicht erst das Ergebnis der Expertise abwarten und dann je nach dessen Ausgang diesen Ausstandsgrund nachträglich noch vorbringen. Dieses Verhalten verstösst gegen Treu und Glauben.


4.d) Ebenfalls am Augenschein vom 7. Mai 2010 war die bilaterale Besprechung zwischen dem Gerichtsexperten und Herrn W. bereits Thema, wie aus dem Protokoll des Augenscheins hervorgeht (siehe Gerichtsgutachten S. 23). Der Gesuchskläger hat sich danach weder beim Gerichtsgutachter noch beim Gericht gemeldet und dagegen opponiert oder den Wunsch nach seiner Teilnahme an dieser Besprechung kund gegeben. Dass der Gesuchskläger diesbezüglich jedoch noch kein Ausstandsbegehren gegen den Gerichtsgutachter gestellt hat, kann ihm allerdings nicht vorgeworfen werden. Aus dem Gerichtsgutachten bzw. dem darin enthaltenen Kurzprotokoll des Augenscheines vom 7. Mai 2010 (S. 23 des Gutachtens) geht nämlich nicht klar hervor, dass ein separates Gespräch mit Herrn W. stattfinden soll. Es geht lediglich daraus hervor, dass Herr W. ein bilaterales Gespräch vorgeschlagen und der Gerichtsgutachter Interesse an der Substanz des Gutachtens W. gezeigt habe. Was letztlich am Augenschein genau gesagt wurde, ist unter den Parteien umstritten und entzieht sich der Kenntnis des Gerichts. Aus dem Gerichtsgutachten geht zumindest nicht hervor, dass ein bilaterales Gespräch zwischen dem Gerichtsgutachter und Herrn W. vor den Parteien definitiv abgesprochen worden ist, geschweige denn, dass der Gesuchskläger zu einem solchen eingewilligt hätte. So ist es durchaus denkbar, dass der Gesuchskläger die allfällige Terminmitteilung und Einladung für dieses Gespräch abgewartet hat. Da kein entsprechender Gegenbeweis vorliegt, ist davon auszugehen, dass für die Parteien damals nicht ersichtlich war, dass das bilaterale Gespräch stattfinden wird, dies gar ohne vorgängige Beiladung oder zumindest Mitteilung an die Parteien, welche ihnen eine Reaktion ermöglicht hätte. Es bestand daher diesbezüglich nach dem Augenschein auch kein Anlass, bereits ein Ablehnungsbegehren zu stellen.


Mit Verfügung vom 29. September 2010 wurde den Parteien dann das Gerichtsgutachten vom 22. September 2010 zugestellt und Frist bis zum 25. Oktober 2010 gesetzt zur Stellung von Anträgen gemäss § 157 ZPO BL. Mit Zustellung des Gerichtsgutachtens hatte der Gesuchskläger Kenntnis vom Treffen des Gerichtsgutachters mit Herrn W. vom 21. Juni 2010, da diese Besprechung im Gutachten aufgeführt ist. Innerhalb welcher Zeitspanne ein Ausstandsbegehren gestellt werden muss ohne zu verwirken, ist in den Gesetzen nicht festgehalten. Die aus dem Gebot von Treu und Glauben fliessende Pflicht, einen Ablehnungsgrund unverzüglich nach Kenntnisnahme geltend zu machen bzw. die darauf gründende Verwirkung, steht in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlichen Anspruch auf den unvoreingenommenen Richter und Sachverständigen. Die Praxis neigt dazu, die Unterlassung des sofortigen Ablehnungsbegehrens als (stillschweigenden) Verzicht auf die Beurteilung durch einen unabhängigen und unparteiischen Richter oder Sachverständigen zu deuten; ein solcher Verzicht darf aber nicht leichthin angenommen werden (Regina Kiener; Richterliche Unabhängigkeit, Bern 2001, S. 356 mit weiteren Hinweisen in FN 121). In allen Fällen ist zu prüfen, ob allenfalls rechtsmissbräuchliches Verhalten der betroffenen Verfahrenspartei vorliegt (Kiener, a.a.o, S. 359). Auch das Bundesgericht hat mit der Lehre die Anforderungen an die Unverzüglichkeit der Ablehnung in seiner neusten Praxis je nach der Schwere eines Ausstandsgrundes relativiert. Liegt der Anschein der Befangenheit derart offensichtlich auf der Hand, dass eine Gerichtsperson von sich aus in den Ausstand treten müsste, so wiegt dieser Verfahrensmangel schwerer als eine eventuelle Verspätung des Begehrens (Stephan Wullschleger, in: Thomas Sutter-Somm/Franz Hasenböhler/Christoph Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 49 N 10, mit weiteren Hinweisen zu Bundesgerichtsentscheiden und Lehre).


Wie bereits erwähnt ist davon auszugehen, dass der Gesuchskläger erst mit Zustellung der Gerichtsexpertise Kenntnis vom Gespräch des Gerichtsexperten mit Herrn W. hatte. Dem Gesuchskläger wurde von der Vorinstanz die mit Verfügung vom 29. September 2010 gesetzte Frist zur Stellung von Anträgen gemäss § 157 ZPO BL (Stellung von Ergänzungs- und Erläuterungsanträgen oder Gesuch um eine Oberexpertise) auf Gesuch hin viermal erstreckt, letztmals mit Verfügung vom 28. Januar 2011 peremptorisch bis zum 1. März 2011. Während dieser ganzen Dauer von der Zustellung der Expertise bis zum 1. März 2011 wurde das Verfahren nicht fortgesetzt bzw. in kein nächstes Prozessstadium geführt, sondern man wartete auf die Eingabe des Gesuchsklägers betreffend allfälliger Anträge nach § 157 ZPO BL. Die Gegenparteien wie auch das Gericht mussten keine weiteren Handlungen - mit Ausnahme der vier Fristerstreckungen - vornehmen. Der Gesuchskläger hat in dieser Zeit auch in keiner Weise Aussagen gemacht oder Handlungen vorgenommen, welche darauf hindeuten würden, dass er das Vorgehen des Gerichtsexperten akzeptiert hätte. Vielmehr hat er mit den Fristerstreckungsgesuchen kund gegeben, dass er mehr Zeit benötige. Auch wenn sich die vom Gericht gewährten Fristerstreckungen nicht auf Ausstandsbegehren beziehen können, sondern nur auf Anträge gemäss § 157 ZPO BL, kann dem Gesuchskläger kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden, da das Verfahren in kein weiteres Prozessstadium fortgeführt wurde. Der Gesuchskläger hätte zwar nach Zustellung der Expertise das Ablehnungsbegehren unverzüglich einreichen und betreffend den inhaltlichen Einwendungen gegen das Gerichtsgutachten eine Fristerstreckung beantragen können. Dass er dies nicht machte, sondern erst mit Eingabe vom 1. März 2011 das Gutachten sowohl wegen Ausstandsgründen wie auch inhaltlichen Einwendungen angefochten hat, kann jedoch nicht als rechtsmissbräuchliches Verhalten gewertet werden, zumal ein Verzicht auf den verfassungsrechtlichen Anspruch auf den unvoreingenommenen Sachverständigen nicht leichthin angenommen werden darf und der Gesuchskläger überdies keine Handlungen vornahm, welche auf einen Verzicht hindeuten können. Die Verwirkung ist auch deshalb abzulehnen, weil der Anschein der Befangenheit klar zu bejahen ist und dieser Ablehnungsgrund höher wiegt als die allfällige Verspätung des Ablehnungsbegehrens. Schliesslich bestehen auch mit Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip durchaus Möglichkeiten, um "verspätete" Ablehnungsbegehren zu sanktionieren, ohne dass damit eine Beschneidung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf den unabhängigen Richter bzw. Gutachter einhergehen muss, so beispielsweise durch Auferlegung der durch die Säumnis verursachten Verfahrenskosten (Kiener, a.a.o., S. 362).


Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Anschein der Befangenheit des Gerichtsexperten bejaht wird und damit eine Verletzung des Anspruchs auf einen unabhängigen Gutachter vorliegt. Der Gesuchskläger hat das Ablehnungsbegehren nicht zu spät eingereicht bzw. mit dem Zuwarten bis zum 1. März 2011 nicht gegen Treu und Glauben verstossen, so dass dieses nicht verwirkt ist. Die Verletzung des Anspruchs auf einen unabhängigen Gutachter führt dazu, dass das Gerichtsgutachten (…) als Beweismittel auszuschliessen (BGE 125 II 541, E. 4d) und ein neues Gerichtsgutachten bei einem neuen Gerichtsexperten einzuholen ist.


5. - 6. ( … )


KGE ZR vom 09.08.2011 i.S. E.M. gegen W.F. et al. (410 11 135/ARK)



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