Strafprozessrecht

Amtliche Verteidigung


Das blosse Androhen des Wahlverteidigers, sein Mandat niederzulegen, genügt nicht, um als amtlicher Verteidiger eingesetzt zu werden (E. 4.1).


Eine Einsetzung als amtlicher Verteidiger ist nur möglich, wenn dargelegt ist, dass der Beschuldigte nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt. Dabei obliegt es grundsätzlich dem Beschuldigten darzulegen, dass er nicht über die notwendigen Mittel verfügt (E. 4.2 und 4.3).



Sachverhalt

A. Am 6. Mai 2010 wurde gegen B. (nachfolgend: Beschwerdeführer) ein Untersuchungsverfahren wegen Diebstahls und betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage eröffnet. Der Beschwerdeführer beauftragte am 15. Februar 2011 Rechtsanwalt R. als Wahlverteidiger, welcher die entsprechende Vollmacht am 16. Februar 2011 der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Hauptabteilung Arlesheim (nachfolgend: Beschwerdegegnerin), einreichte und um Bewilligung der amtlichen Verteidigung ersuchte.


B. Mit Schreiben vom 23. Februar 2011 bestätigte die Beschwerdegegnerin, dass die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung gemäss Art. 130 lit. b StPO erfüllt seien, es jedoch dem Beschwerdeführer obliege, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse darzulegen und zu beweisen. Daraufhin wies der Vertreter des Beschwerdeführers in einem Telefongespräch mit der Beschwerdegegnerin darauf hin, dass er keine Unterlagen zum Nachweis der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers einzureichen gedenke, sondern gestützt auf Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 StPO den Antrag auf Einsetzung als amtlicher Verteidiger stelle.


C. Mit Schreiben vom 3. März 2011 teilte die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer mit, dass die Voraussetzungen von Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 StPO nicht erfüllt seien und er deshalb das beiliegende Formular "Gesuch um unentgeltliche Prozessführung" ausgefüllt bis zum 17. März 2011 retournieren solle.


D. Mit Eingabe vom 4. März 2011 verlangte der Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Hauptabteilung Arlesheim, es sei im Zusammenhang mit der Verweigerung der amtlichen Verteidigung eine anfechtbare Verfügung zu erlassen.


E. Mit Verfügung vom 16. März 2011 lehnte die Beschwerdegegnerin das Gesuch, Rechtsanwalt R. gestützt auf Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 StPO als amtlichen Verteidiger des Beschwerdeführers einzusetzen, ab.


F. Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer am 28. März 2011 Beschwerde beim Kantonsgericht, Abteilung Strafrecht, und begehrte, es sei die Beschwerdegegnerin in Aufhebung ihrer Verfügung vom 16. März 2011 anzuweisen, ihm die amtliche Verteidigung mit Rechtsanwalt R. zu bewilligen und es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen, unter o/e-Kostenfolge. Eventualiter sei ihm die unentgeltliche Prozessführung für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.


G. In der Stellungnahme vom 11. April 2011 begehrte die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde und des Antrags auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung unter Kostenfolge zulasten des Beschwerdeführers.



Erwägungen

1. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen eine Verfügung, welche am 16. März 2011 und somit nach Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung (nachfolgend: StPO) am 1. Januar 2011 erlassen wurde. Gemäss Art. 448 Abs. 1 StPO kommen somit deren Bestimmungen zur Anwendung.


2. (…)


3.1 Der Vertreter des Beschwerdeführers leitet den Anspruch, als amtlicher Verteidiger eingesetzt zu werden, aus Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 StPO ab. Er führt hiezu aus, wenn in einem Fall der notwendigen Verteidigung, um welchen es sich unbestrittenermassen handle, der Wahlverteidiger das Mandat niederlege, müsse die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung anordnen, sofern der Beschuldigte nicht innert Frist einen neuen Wahlverteidiger bestelle. Es würde jedoch keinen Sinn machen, wenn der Wahlverteidiger nun sein Mandat offiziell niederlegen müsse, nur um kurze Zeit später wieder als amtlicher Verteidiger des Beschwerdeführers eingesetzt zu werden, da dies dessen ausdrücklicher Wunsch sei. So müsse Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 StPO auch unabhängig von den konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschwerdeführers zur Anwendung kommen, wenn dessen Vertreter der Verfahrensleitung versichere, dass eine private Finanzierung der Wahlverteidigung nicht möglich sei. Dieses Vorgehen entspreche auch der Praxis im Kanton Basel-Stadt. Die angefochtene Verfügung sei jedenfalls völlig unangemessen und willkürlich, weshalb sie aufzuheben sei.


3.2 Die Beschwerdegegnerin macht hingegen geltend, eine Einsetzung als amtlicher Verteidiger gestützt auf Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 StPO sei nur möglich, wenn der Wahlverteidiger tatsächlich sein Mandat niedergelegt hätte oder wenn es ihm entzogen worden wäre. Da dies bisher nicht erfolgt sei, sei gestützt auf diese Bestimmung auch keine Einsetzung einer amtlichen Verteidigung möglich. Die Verfahrensleitung sei überdies auch nicht verpflichtet, nach der Mandatsniederlegung von Rechtsanwalt R. wiederum ihn als amtlichen Verteidiger einzusetzen. Das von Rechtsanwalt R. in Aussicht gestellte Vorgehen stelle eine rechtsmissbräuchliche Gesetzesumgehung dar, weshalb die Beschwerde abzuweisen sei.


4.1 Zunächst ist festzuhalten, dass vorliegend unzweifelhaft gemäss Art. 130 lit. b StPO eine notwendige Verteidigung angeordnet werden muss. Gemäss Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO ordnet die Verfahrensleitung bei notwendiger Verteidigung eine amtliche Verteidigung an, wenn die beschuldigte Person trotz Aufforderung der Verfahrensleitung keine Wahlverteidigung bestimmt (Ziff. 1); oder wenn der Wahlverteidigung das Mandat entzogen wurde oder sie es niedergelegt hat und die beschuldigte Person nicht innert Frist eine neue Wahlverteidigung bestimmt (Ziff. 2). Aufgrund des klaren Wortlauts dieser Gesetzesbestimmung ist bei notwendiger Verteidigung eine amtliche Verteidigung nur in den beiden genannten Fällen anzuordnen (vgl. Haefelin, Die amtliche Verteidigung im schweizerischen Strafprozess, Zürich/St. Gallen 2010, S. 257). Zudem ist zu beachten, dass wenn das blosse Androhen des Wahlverteidigers, sein Mandat niederzulegen, genügen würde, um als amtlicher Verteidiger eingesetzt zu werden, niemand mehr den nicht unerheblichen Aufwand betreiben würde, die Einkommens- und Vermögenssituation und damit die Mittellosigkeit eines Beschuldigten darzulegen. Es ist deshalb insofern der Beschwerdegegnerin zustimmen, dass das vom Beschwerdeführer angedachte Vorgehen eine unzulässige Umgehung der Gesetzesbestimmung betreffend unentgeltlicher Verteidigung gemäss Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO darstellt.


4.2 Die für diesen Fall nicht mehr anwendbare basellandschaftliche Strafprozessordnung (StPO-BL) sah vor, dass die nicht einbringbaren Kosten aus einer notwendigen Verteidigung vom Staat getragen werden (§ 21 Abs. 2 StPO-BL). Der Verteidiger war somit vom Ausfallrisiko befreit. Eine entsprechende Bestimmung kennt die Schweizerische StPO nicht mehr, weshalb es nachvollziehbar erscheint, dass sich die Verteidigung die Honorarsicherung auf anderem Weg beschaffen möchte, zumal die amtliche Verteidigung unbestrittenermassen eine Aufgabe im öffentlichen Interesse darstellt. So schlägt auch Ruckstuhl im Hinblick auf die nunmehr fehlende Ausfallhaftung durch den Staat vor, dass sich der Verteidiger bei fehlender oder zumindest unsicherer Zahlungsfähigkeit als amtlicher Verteidiger einsetzen lassen soll (vgl. Ruckstuhl, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Basel 2011, Art. 130 N 4). Allerdings wird auch hier der sachliche Anknüpfungspunkt zur zumindest unsicheren Entschädigung hergestellt. Dabei versteht es sich von selbst, dass der Verteidiger diese fehlende Zahlungsfähigkeit dem Gericht darlegen muss (vgl. Harari/Aliberti, in: Kuhn/Jeanneret [Hrsg.], Commentaire Romand - Code de procédure pénale suisse, Basel 2011, Art. 132 N 34). Die blosse Kundgabe von Rechtsanwalt R., der Beschuldigte habe ihm glaubhaft versichert, dass er nicht zahlen könne, ohne jegliche Unterlagen einzureichen, kann keinesfalls genügen, eine unsichere Zahlungsfähigkeit und somit die Notwendigkeit der amtlichen Verteidigung darzulegen. Diesfalls ist es nach Dafürhalten des Kantonsgerichts auch kein gangbarer und praktikabler Weg, durch die Drohung der Mandatsniederlegung eine Einsetzung als amtlicher Verteidiger gestützt auf Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO zu erzwingen. Einerseits wird dieses Vorgehen vom klaren Willen des Gesetzgebers nicht erfasst und andererseits ist keinesfalls gesichert, dass nach Niederlegung des Mandats erneut der ehemalige Wahlverteidiger von der Staatsanwaltschaft als amtlicher Verteidiger eingesetzt wird. Auch wenn die Verfahrensleitung gemäss Art. 133 Abs. 2 StPO den Wünschen des Beschuldigten nach Möglichkeit folgen soll, so besteht kein unbedingter Anspruch, dass der Wunschverteidiger als Wahlverteidiger eingesetzt wird (vgl. Lieber, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Zürich 2010, Art. 133 N 3).


4.3 Demzufolge ist festzuhalten, dass eine notwendige Verteidigung zwar nach Möglichkeit vom Ausfallrisiko des Honorars befreit werden soll. Dies kann jedoch nur dadurch erfolgen, dass zunächst die Einkommens- und Vermögenssituation des Beschuldigten substantiiert dargelegt wird, so dass überhaupt das Ausfallrisiko erkenntlich wird, was auch der dem Beschuldigten obliegenden Mitwirkungspflicht entspricht, wobei die Darlegung der finanziellen Situation nicht mit dem Argument des Aussageverweigerungsrechts umgangen werden kann (BGer. 1B_119/2008 vom 2. Oktober 2008). Nur in Ausnahmefällen kann vom Nachweis der finanziellen Lage abgesehen werden. Zu denken wäre hier an Situationen, in welchen aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten (z.B. Inhaftierung, körperliche oder geistige Einschränkungen des Beschuldigten) das Beschaffen der entsprechenden Nachweise unmöglich oder zumindest unverhältnismässig erschwert wäre oder auch an Fälle, in welchen sich der Beschuldigte renitent weigert, die notwendigen Angaben zu liefern. In solchen Konstellationen wäre jedoch der Beschuldigte oder dessen Verteidiger verpflichtet, den Nachweis für das Vorliegen einer derartigen Ausnahmesituation zu erbringen. Dies gelingt dem Beschuldigten und Rechtsanwalt R. in vorliegendem Verfahren nicht. Es wird einzig geltend gemacht, dass es fraglich sei, ob der Beschwerdeführer aufgrund seiner ausländischen Herkunft überhaupt in der Lage sei, das Formular "Gesuch um unentgeltliche Prozessführung" ohne Hilfe korrekt auszufüllen und mit den entsprechenden Belegen zu versehen. Diese Begründung ist jedoch nicht zu hören. Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer in Basel wohnt und in eingetragener Partnerschaft mit einem offensichtlich deutschsprachigen Mann lebt. Zudem obliegt es dem Verteidiger, seinem Mandanten beim Ausfüllen der Formulare sowie beim Beschaffen der entsprechenden Nachweise behilflich zu sein, sollte dieser alleine nicht dazu in der Lage sein. Überdies führt Rechtsanwalt R. in seiner Beschwerde auf Seite 5 explizit an, er könne seinem Mandanten aufgrund des bekannten Tatvorwurfs und ohne Kenntnis der Verfahrensakten derzeit gar nicht raten, detaillierte Angaben über seine finanziellen Verhältnisse zu machen. Jedenfalls genügt es nicht zur Einsetzung der unentgeltlichen Verteidigung, nur zu behaupten oder zu versichern, dass der Beschuldigte nicht zahlungsfähig sei, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.


5. Das Verfahren betreffend Einsetzung der amtlichen Verteidigung ist gemäss § 15 lit. b der Verordnung über die Gebühren der Gerichte (Gebührentarif) kostenlos. Aufgrund des Ausgangs des Verfahrens sind die ausserordentlichen Kosten wettzuschlagen.


Beschluss der Dreierkammer des Kantonsgerichts, Abteilung Strafrecht, vom 7. Juni 2011 (470 11 33/STM)


Amtliche Verteidigung


Glaubhaftmachen der Mittellosigkeit


SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007


Art. 132 Abs. 1 lit. a Amtliche Verteidigung, Glaubhaftmachen der Mittellosigkeit



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