530 09 71 Rechtsfolgen mangelhafter Eröffnung / Fehlende schriftliche Vollmacht

Als mögliche Rechtsfolge einer mangelhaften Eröffnung kommt die Nichtauslösung des Fristenlaufs in Frage - nicht aber die Nichtigkeit einer Verfügung, welche nur ausnahmsweise anzunehmen ist. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen eine Verfügung fälschlicherweise dem Pflichtigen anstatt dessen Vertreter eröffnet wurde.


Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf bei Fehlen einer klaren schriftlichen Vollmacht, ein Vertretungsverhältnis, vor allem im Hinblick auf das Steuergeheimnis, nur angenommen werden, wenn sich aus den Umständen eine eindeutige Willensäusserung des Steuerpflichtigen auf Bevollmächtigung eines Dritten ergibt. Andernfalls gilt die Vermutung, dass keine Vollmacht erteilt wurde und die Verfügungen und Entscheide sind dem Steuerpflichtigen selbst zu eröffnen. Ein Hinweis in der Steuererklärung auf die Auskunftsadresse sowie an diese Adresse getätigte Rückfragen reichen zur Annahme eines Vertretungsverhältnisses nicht aus.


(Mit Urteil vom 12. Januar 2011 wies das Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde, soweit es darauf eingetreten ist, ab.)



Sachverhalt:

1. Der Pflichtige deklarierte in seiner unterjährigen Steuererklärung 2006 (01.01.06-30.06.06) aus unselbständiger Erwerbstätigkeit Einkünfte in Höhe von Fr. 53'594.--. Mit definitiver Veranlagung der direkten Bundessteuer vom 22. Januar 2006 veranlagte ihn die Steuerverwaltung für das ganze Jahr mit einem satzbestimmenden Einkommen von Fr. 553'594.--.


2. Mit Schreiben vom 2. April 2009 erhob der Vertreter des Pflichtigen gegen die Veranlagungsverfügung Einsprache, mit dem Antrag, es sei die Verfügung aufzuheben und auf die eingereichte Deklaration abzustellen. In formeller Hinsicht machte er geltend, die Steuererklärung sei seit Jahren von A. eingereicht worden und der Steuerverwaltung sei das Vertretungsverhältnis bekannt gewesen. Die Eröffnung der Steuerveranlagung an den Pflichtigen persönlich, begründe einen Verfahrensmangel, welche die Nichtigkeit derselben zur Folge habe.


In materiellrechtlicher Hinsicht brachte der Vertreter im Wesentlichen vor, dass der Pflichtige seinen Lebensmittelpunkt per 30. Juni 2006 nach B. verlegt habe, weshalb die von der Steuerverwaltung vorgenommene Aufrechnung des satzbestimmenden Einkommens zu einer nach DBA unzulässigen Doppelbesteuerung führe. Auch wenn vorliegend keine staatsrechtlich korrekte Abmeldung aus der Schweiz erfolgt sei, sei diese doch schriftlich der Steuerbehörde genügend kundgetan worden.


3. Mit Einsprache-Entscheid vom 30. September 2009 trat die Steuerverwaltung auf die Einsprache nicht ein. Der vom Vertreter des Pflichtigen vorgebrachten Behauptung, die Veranlagungsverfügung 2006 sei fälschlicherweise an den Pflichtigen erfolgt und damit nichtig, hielt die Steuerverwaltung im Wesentlichren entgegen, dass ihr keine explizite Vollmacht für die Entgegennahme der Steuerveranlagung bzw. Vertretung in Steuersachen vorgelegen sei, weshalb sie die Steuerverfügung an die Adresse des Steuerpflichtigen in C. habe zustellen müssen.


4. Gegen diesen Einsprache-Entscheid erhob der Vertreter des Pflichtigen mit Schreiben vom 30. Oktober 2009 Beschwerde mit dem Begehren, der vorliegende Einsprache-Entscheid sei aufzuheben und die Steuerbehörde anzuweisen, die bestehende Verfügung aufzuheben und eine neue Verfügung auf der Basis der eingereichten Deklaration zu erlassen. Zur Begründung verwies er hauptsächlich auf die Einsprachebegründung.


5. Mit Vernehmlassung vom 18. Februar 2010 beantragte die Steuerverwaltung die Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf den Einsprache-Entscheid.


6. An der heutigen Verhandlung hielten die Parteien an ihren Anträgen fest.



Aus den Erwägungen:

1. (…)


2. Ist die Vorinstanz - wie im vorliegenden Fall- auf eine Einsprache nicht eingetreten, so hat das Steuergericht lediglich zu prüfen, ob dieser Nichteintretensentscheid zu Recht erfolgt ist. Deshalb hat das Gericht nur solche Rügen zu berücksichtigen, welche sich auf die Eintretensfrage beziehen. Ausgeschlossen von der richterlichen Prüfung bleiben jene Rügen, welche die materielle Seite betreffen, d.h. die Vorbringen materiellrechtlicher Art bezüglich Feststellung fehlender Steuerzugehörigkeit werden nicht mehr gehört. Kommt das Gericht zum Schluss, dass auf die Einsprache hätte eingetreten werden müssen, so ist die Beschwerde gutzuheissen und der Fall zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Andernfalls muss die Beschwerde abgewiesen und der vorinstanzliche Entscheid bestätigt werden (vgl. statt vieler: Entscheid des Steuergerichts [StGE] vom 18. Januar 2008, 510 07 37, E. 2).


3. Im vorliegenden Fall ist die Steuerverwaltung auf die Einsprache des Pflichtigen infolge Ablaufs der Einsprachefrist nicht eingetreten. Das Steuergericht hat somit im Folgenden zu prüfen, ob dieser Nichteintretensentscheid zu Recht erfolgt ist.


a) Gemäss Art. 132 Abs. 1 kann der Steuerpflichtige gegen die Veranlagungsverfügung innert 30 Tagen nach Zustellung bei der Veranlagungsbehörde schriftlich Einsprache erheben. Mit Ablauf der Einsprachefrist erwächst die Verfügung in formelle Rechtskraft, d.h. sie ist mit keinem ordentlichen Rechtsmittel mehr anfechtbar und zwar unabhängig von ihrer materiellen Richtigkeit (vgl. Vallender/Looser, in: Martin Zweifel/Peter Athanas [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/2b, Vor Art. 147-153 N 2).


b) Dem Pflichtigen wurde im vorliegenden Fall die definitive Veranlagung der direkten Bundessteuer 2007 per Datum vom 22. Januar 2009 zugestellt. Selbst unter Berücksichtigung einer gewissen Toleranzfrist ist die Einsprache weit nach Ablauf der gesetzlichen Rechtsmittelfrist von 30 Tagen eingereicht worden. Der Vertreter des Beschwerdeführers macht jedoch geltend, dass die Veranlagungsverfügung vom 22. Januar 2009 infolge eines Eröffnungsfehlers, namentlich der Eröffnung an den Pflichtigen anstatt an den Vertreter, nichtig sei und deshalb nicht in Rechtskraft habe erwachsen können.


4. a) Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist die Folge der Fehlerhaftigkeit einer Verfügung Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit. Nichtigkeit bedeutet absolute Unwirksamkeit einer Verfügung. Eine nichtige Verfügung entfaltet keinerlei Rechtswirkungen. Sie ist vom Erlass an (ex tunc) und ohne amtliche Aufhebung rechtlich unverbindlich. Die Nichtigkeit ist nur ausnahmsweise anzunehmen. Dies wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) die Verfügung muss einen besonders schweren Mangel aufweisen (2) der Mangel muss offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar sein (3) die Nichtigkeit darf die Rechtssicherheit nicht gefährden (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, N. 951).


Als Regelfall der Fehlerhaftigkeit einer Verfügung gilt jedoch die blosse Anfechtbarkeit, wonach die fehlerhafte Verfügung im Beschwerdeverfahren aufzuheben wäre (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O, N. 956)


b) Die Würdigung des Eröffnungsmangels als anfechtbar oder nichtig gibt die Rechtsfolgen des Mangels nur unausreichend wieder (vgl. Zweifel/Casanova, Schweizerisches Steuerverfahrensrecht, § 15 Rz. 55). Dies, da die Folgen eines Eröffnungsmangels richtigerweise aufgrund einer Interessensabwägung bestimmt werden müssen. Sinn und Zweck dieser Abwägung ist, die Partei vor Nachteilen, die sie infolge des Mangels erleiden würde, zu schützen. Dem Rechtsschutzinteresse ist deshalb genüge getan, wenn die objektiv mangelhafte Eröffnung trotz des Mangels ihren Zweck erreicht hat. Ausschlaggebend ist, ob die Partei im konkreten Fall tatsächlich irregeführt und benachteiligt wurde. Die Mangelhaftigkeit der Eröffnung hat also nur Folgen, wenn die Betroffenen deswegen einem Irrtum unterliegen und aufgrund dieses Irrtums einen Nachteil erleiden (Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, N 362 ff., m.w.H.). Als mögliche Rechtsfolge einer mangelhaften Eröffnung kommt die Nichtauslösung des Fristenlaufs in Frage. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen eine Verfügung fälschlicherweise dem Pflichtigen anstatt dessen Vertreter eröffnet wurde (vgl. Stadelwieser, Die Eröffnung von Verfügungen, St. Gallen 1994, S. 178). In einem solchen Fall erwächst die Verfügung nicht in Rechtskraft.


5. Es ist im Vorliegenden zunächst zu prüfen, ob die direkte Eröffnung der Steuerveranlagung an den Beschwerdeführer fehlerhaft war.


a) Der Vertreter des Pflichtigen ist der Ansicht, dass die Steuerverwaltung aufgrund der Umstände, insbesondere weil die Steuererklärung 2006 wie seit Jahren von A. eingereicht wurde, davon hätte ausgehen müssen, dass der Pflichtige vertreten sei, und die Zustellung der Veranlagungsverfügung folglich nur an den Vertreter hätte vornehmen dürfen.


b) Das Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) vom 14. Dezember 1990 regelt die Vertretung in Art. 117 Abs. 1 DBG. Nach dem DBG kann sich der Steuerpflichtige vor den mit dem Vollzug dieses Gesetzes betrauten Behörden vertraglich vertreten lassen, soweit seine persönliche Mitwirkung nicht notwendig ist (Art. 117 Abs. 1 DBG). Gemäss Art. 117 Abs. 2 DBG wird als Vertreter zugelassen, wer handlungsfähig ist und in bürgerlichen Ehren und Rechten steht. Die Behörde kann den Vertreter auffordern, sich durch schriftliche Vollmacht auszuweisen.


Gemäss Kurzmitteilung Nr. 192 der Steuerverwaltung Basel-Landschaft werden die Anforderungen an die Vollmachtserteilung im Veranlagungs- und dazugehörigen Einspracheverfahren nicht so streng gehandhabt, wie im anschliessenden Rekurs- bzw. Beschwerdeverfahren vor den Gerichtsbehörden. Im Veranlagungs- und Einspracheverfahren genügt es, wenn das Vertretungsverhältnis auf irgendeine Weise für die Steuerverwaltung ersichtlich wird. Eine formelle (schriftliche) Vollmacht ist nicht unbedingt erforderlich. Ein Hinweis auf der Steuererklärung, wonach bei allfälligen Rückfragen von Seiten der Steuerverwaltung der Anwalt bzw. der Treuhänder des Pflichtigen zu kontaktieren sei, entfaltet jedoch im Hinblick auf die Zustellung der Steuerveranlagung keine Wirkung. Diese ist dem Steuerpflichtiger weiterhin selber zu eröffnen (vgl. Kurzmitteilung Nr. 192 vom 13. Januar 1993. Ziffer 4).


c) Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf bei Fehlen einer klaren schriftlichen Vollmacht, ein Vertretungsverhältnis, vor allem im Hinblick auf das Steuergeheimnis, nur angenommen werden, wenn sich aus den Umständen eine eindeutige Willensäusserung des Steuerpflichtigen auf Bevollmächtigung eines Dritten ergibt. Andernfalls gilt die Vermutung, dass keine Vollmacht erteilt wurde und die Verfügungen und Entscheide sind dem Steuerpflichtigen selbst zu eröffnen. Ein Hinweis in der Steuererklärung auf die Auskunftsadresse sowie an diese Adresse getätigte Rückfragen reichen zur Annahme eines Vertretungsverhältnisses nicht aus (vgl. zum Ganzen: ASA, Bd. 67, S. 391 ff., E. 2a, b). Die Beweislast dafür, dass ein Vertretungsverhältnis besteht und gegenüber den Steuerbehörden auch gehörig kundgegeben wurde, obliegt dem Steuerpflichtigen (Zweifel/Casanova, a.a.O, § 7 Rz. 5).


d) Im vorliegenden Fall wurde die Steuererklärung 2006 von einem Treuhänder ausgefüllt und dessen Adresse für Rückfragen, welche im Verlaufe des Veranlagungsverfahrens tatsächlich getätigt wurden, angegeben. Wie bereits dargelegt kann dieser Umstand für die Annahme eines Vertretungsverhältnisses jedoch nicht genügen. Da keine weiteren Tatsachen vorliegen, aufgrund derer die Steuerverwaltung mit eindeutiger Sicherheit auf eine Vertretung hätte schliessen können, ist im vorliegenden Fall die Veranlagung zu Recht an den Pflichtigen eröffnet worden. Dies insbesondere auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Veranlagungsverfügungen der vorigen Jahre stets dem Beschwerdeführer und nicht seinem Treuhänder eröffnet worden sind, was vom Pflichtigen im Übrigen nie beanstandet wurde. Da folglich kein Eröffnungsmangel vorliegt, der den Fristenlauf unterbindet und die Veranlagung nicht rechtzeitig angefochten wurde, ist die definitive Veranlagung der direkten Bundessteuer 2006 in Rechtskraft erwachsen und die Steuerverwaltung mithin zu Recht auf die Einsprache vom 2. April 2009 nicht eingetreten.


6. a) Im Weiteren bleibt festzuhalten, dass selbst dann, wenn die Steuerverwaltung ein Vertretungsverhältnis hätte annehmen müssen, die Veranlagungsverfügung der direkten Bundessteuer 2006 in Rechtskraft erwachsen wäre. Wie bereits ausgeführt, ist dem Rechtsschutzinteresse genüge getan, wenn die objektiv mangelhafte Eröffnung trotz des Mangels ihren Zweck erreicht hat. Es ist somit aufgrund der konkreten Umstände des Einzellfalles zu prüfen, ob der Steuerpflichtige durch den Eröffnungsmangel tatsächlich irregeführt und dadurch benachteiligt geworden ist (Zweifel/Casanova, a.a.O., § 15 Rz. 56). Es gilt der Grundsatz, dass der Verfügungsadressat, sobald er von der ihn betreffenden Verfügung Kenntnis erhalten hat, darum besorgt sein muss, den Inhalt der Verfügung und deren Begründung zu erfahren, um sich über die Ergreifung eines Rechtsmittels zu entschliessen (vgl. Entscheid des Bundesgerichts [BGE] 102 Ib 91 E. 3). Der Steuerpflichtige hat sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Steuerbehörde ihm den Entscheid lediglich orientierungshalber direkt zugestellt oder ob sie das bestehende Vertretungsverhältnis missachtet hat. Nach Kenntnisnahme einer Veranlagungsverfügung darf die steuerpflichtige Person auch dann, wenn sie davon ausgeht, ihr Vertreter kenne die Veranlagung, die Einsprachefrist nicht tatenlos verstreichen lassen. Spätestens gegen Ablauf der Einsprachefrist müssen sich die Steuerpflichtigen, wenn sie bis dahin nichts von ihrem Vertreter gehört haben, somit vergewissern, dass diesem die Notwendigkeit der Einspracheerhebung nicht entgangen ist (vgl. Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, Handkommentar zum DBG, 2. A. Zürich 2009, Art. 177 N 21). ).


b) Als vorliegend die Steuerverwaltung dem Beschwerdeführer die Veranlagungsverfügung 2006 am 22. Januar 2009, zu einem Zeitpunkt als dieser sich längst wieder in der Schweiz befand, persönlich zustellte, reagierte er nicht darauf. Weder rügte er innert Frist bei der Steuerverwaltung, dass die Veranlagungsverfügung ihm persönlich zugestellt worden war, noch nahm er bezüglich der eingegangenen Veranlagung mit seinem damaligen Treuhänder Kontakt auf. Erst am 2. April 2009, rund 38 Tage nach Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist, erhob der Vertreter des Beschwerdeführers Einsprache gegen die Veranlagung. In Anbetracht dieser Umstände bleibt festzuhalten, dass selbst bei einer mangelhaften Eröffnung der Steuerveranlagung 2006, sich der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bezüglich der verspäteten Einsprache nicht auf einen Eröffnungsmangel berufen kann.


Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Steuerverwaltung zu Recht nicht auf die Einsprache eingetreten ist und die Beschwerde demzufolge abgewiesen werden muss.


7. (...)


8. Anlässlich der heutigen Verhandlung äusserte der Vertreter des Pflichtigen ausdrücklich, dass der Entscheid des Steuergerichts dem Pflichtigen selbst und nicht dem Vertreter zu eröffnen ist.


Entscheid des Steuergerichts vom 16.04.2010 (530 09 71)



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