510 09 89 Rechtsfolgen mangelhafter Eröffnung / Fehlende schriftliche Vollmacht

Als mögliche Rechtsfolge einer mangelhaften Eröffnung kommt die Nichtauslösung des Fristenlaufs in Frage - nicht aber die Nichtigkeit einer Verfügung, welche nur ausnahmsweise anzunehmen ist. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen eine Verfügung fälschlicherweise dem Pflichtigen anstatt dessen Vertreter eröffnet wurde.


Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf bei Fehlen einer klaren schriftlichen Vollmacht, ein Vertretungsverhältnis, vor allem im Hinblick auf das Steuergeheimnis, nur angenommen werden, wenn sich aus den Umständen eine eindeutige Willensäusserung des Steuerpflichtigen auf Bevollmächtigung eines Dritten ergibt. Andernfalls gilt die Vermutung, dass keine Vollmacht erteilt wurde und die Verfügungen und Entscheide sind dem Steuerpflichtigen selbst zu eröffnen. Ein Hinweis in der Steuererklärung auf die Auskunftsadresse sowie an diese Adresse getätigte Rückfragen reichen zur Annahme eines Vertretungsverhältnisses nicht aus.


(Mit Urteil vom 12. Januar 2011 wies das Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde, soweit es darauf eingetreten ist, ab.)



Sachverhalt:

1. Der Pflichtige deklarierte in seiner unterjährigen Steuererklärung 2006 (01.01.06-30.06.06) aus unselbständiger Erwerbstätigkeit Einkünfte in Höhe von Fr. 53'594.--. Mit definitiver Staatssteuerveranlagung 2006 vom 22. Januar 2006 veranlagte ihn die Steuerverwaltung für das ganze Jahr mit einem satzbestimmenden Einkommen von Fr. 553'594.--.


2. Mit Schreiben vom 2. April 2009 erhob der Vertreter des Pflichtigen gegen die Veranlagungsverfügung Einsprache, mit dem Antrag, es sei die Verfügung aufzuheben und auf die eingereichte Deklaration abzustellen. In formeller Hinsicht machte er geltend, die Steuererklärung sei seit Jahren von A. eingereicht worden und der Steuerverwaltung sei das Vertretungsverhältnis bekannt gewesen. Die Eröffnung der Steuerveranlagung an den Pflichtigen persönlich, begründe einen Verfahrensmangel, welche die Nichtigkeit derselben zur Folge habe.


In materiellrechtlicher Hinsicht brachte der Vertreter im Wesentlichen vor, dass der Pflichtige seinen Lebensmittelpunkt per 30. Juni 2006 nach B. verlegt habe, weshalb die von der Steuerverwaltung vorgenommene Aufrechnung des satzbestimmenden Einkommens zu einer nach DBA unzulässigen Doppelbesteuerung führe. Auch wenn vorliegend keine staatsrechtlich korrekte Abmeldung aus der Schweiz erfolgt sei, sei diese doch schriftlich der Steuerbehörde genügend kundgetan worden.


3. Mit Einsprache-Entscheid vom 30. September 2009 trat die Steuerverwaltung auf die Einsprache nicht ein. Der vom Vertreter des Pflichtigen vorgebrachten Behauptung, die Veranlagungsverfügung 2006 sei fälschlicherweise an den Pflichtigen erfolgt und damit nichtig, hielt die Steuerverwaltung im Wesentlichren entgegen, dass ihr keine explizite Vollmacht für die Entgegennahme der Steuerveranlagung bzw. Vertretung in Steuersachen vorgelegen sei, weshalb sie die Steuerveranlagung an die Adresse des Steuerpflichtigen in C. habe zustellen müssen.


4. Gegen diesen Einsprache-Entscheid erhob der Vertreter des Pflichtigen mit Schreiben vom 30. Oktober 2009 Rekurs mit dem Begehren, der vorliegende Einsprache-Entscheid sei aufzuheben und die Steuerbehörde anzuweisen, die bestehende Verfügung aufzuheben und eine neue Verfügung auf der Basis der eingereichten Deklaration zu erlassen. Zur Begründung verwies er hauptsächlich auf die Einsprachebegründung.


5. Mit Vernehmlassung vom 18. Februar 2010 beantragte die Steuerverwaltung die Abweisung des Rekurses. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf den Einsprache-Entscheid.


6. An der heutigen Verhandlung hielten die Parteien an ihren Anträgen fest.



Aus den Erwägungen:

1. (…)


2. Ist die Vorinstanz - wie im vorliegenden Fall- auf eine Einsprache nicht eingetreten, so hat das Steuergericht lediglich zu prüfen, ob dieser Nichteintretensentscheid zu Recht erfolgt ist. Deshalb hat das Gericht nur solche Rügen zu berücksichtigen, welche sich auf die Eintretensfrage beziehen. Ausgeschlossen von der richterlichen Prüfung bleiben jene Rügen, welche die materielle Seite betreffen, d.h. die Vorbringen materiellrechtlicher Art bezüglich Feststellung fehlender Steuerzugehörigkeit werden nicht mehr gehört. Kommt das Gericht zum Schluss, dass auf die Einsprache hätte eingetreten werden müssen, so ist der Rekurs gutzuheissen und der Fall zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Andernfalls muss der Rekurs abgewiesen und der vorinstanzliche Entscheid bestätigt werden (vgl. statt vieler: Entscheid des Steuergerichts [StGE] vom 18. Januar 2008, 510 07 57, E. 2; Entscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt [RKE BS] Nr. 185/2001 vom 28. Februar 2002, E. 3b).


3. Im vorliegenden Fall ist die Steuerverwaltung auf die Einsprache des Pflichtigen infolge Ablaufs der Einsprachefrist nicht eingetreten. Das Steuergericht hat somit im Folgenden zu prüfen, ob dieser Nichteintretensentscheid zu Recht erfolgt ist.


a) Gemäss § 122 Abs. 1 StG können der Steuerpflichtige und, bezüglich der Staats- und Gemeindesteuer die Gemeinden innert 30 Tagen nach der Eröffnung der Veranlagung bei der kantonalen Steuerverwaltung schriftlich Einsprache erheben.


Wird innerhalb der gesetzlichen Frist keine Einsprache eingereicht, so erwächst die Veranlagungsverfügung in Rechtskraft und kann - vorbehältlich einer Wiedereinsetzung in den früheren Stand im Sinne von § 118 Abs. 2 StG - nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden (Ziegler in: Nefzger/Simonek/Wenk, Kommentar zum Steuergesetz des Kantons Basel-Landschaft, 122 N 18).


b) Dem Pflichtigen wurde im vorliegenden Fall die definitive Veranlagung der Staatssteuer 2007 per Datum vom 22. Januar 2009 zugestellt. Selbst unter Berücksichtigung einer gewissen Toleranzfrist ist die Einsprache weit nach Ablauf der gesetzlichen Rechtsmittelfrist von 30 Tagen eingereicht worden. Der Vertreter des Rekurrenten macht jedoch geltend, dass die Veranlagungsverfügung vom 22. Januar 2009 infolge eines Eröffnungsfehlers, namentlich der Eröffnung an den Pflichtigen anstatt an den Vertreter, nichtig sei und deshalb nicht in Rechtskraft habe erwachsen können.


4. a) Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist die Folge der Fehlerhaftigkeit einer Verfügung Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit. Nichtigkeit bedeutet absolute Unwirksamkeit einer Verfügung. Eine nichtige Verfügung entfaltet keinerlei Rechtswirkungen. Sie ist vom Erlass an (ex tunc) und ohne amtliche Aufhebung rechtlich unverbindlich. Die Nichtigkeit ist nur ausnahmsweise anzunehmen. Dies wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) die Verfügung muss einen besonders schweren Mangel aufweisen (2) der Mangel muss offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar sein (3) die Nichtigkeit darf die Rechtssicherheit nicht gefährden (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, N. 951).


Als Regelfall der Fehlerhaftigkeit einer Verfügung gilt jedoch die blosse Anfechtbarkeit, wonach die fehlerhafte Verfügung im Beschwerdeverfahren aufzuheben wäre (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O, N. 956)


b) Die Würdigung des Eröffnungsmangels als anfechtbar oder nichtig vermag die Rechtsfolgen des Mangels nur unausreichend zu umschreiben (Zweifel in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, Art. 41 StHG N 40). Dies, da die Folgen eines Eröffnungsmangels richtigerweise aufgrund einer Interessensabwägung bestimmt werden müssen. Sinn und Zweck dieser Abwägung ist, die Partei vor Nachteilen, die sie infolge des Mangels erleiden würde, zu schützen. Dem Rechtsschutzinteresse ist deshalb genüge getan, wenn die objektiv mangelhafte Eröffnung trotz des Mangels ihren Zweck erreicht hat. Ausschlaggebend ist, ob die Partei im konkreten Fall tatsächlich irregeführt und benachteiligt wurde. Die Mangelhaftigkeit der Eröffnung hat also nur Folgen, wenn die Betroffenen deswegen einem Irrtum unterliegen und aufgrund dieses Irrtums einen Nachteil erleiden (Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, N 362 ff., m.w.H.). Als mögliche Rechtsfolge einer mangelhaften Eröffnung kommt die Nichtauslösung des Fristenlaufs in Frage. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen eine Verfügung fälschlicherweise dem Pflichtigen anstatt dessen Vertreter eröffnet wurde (Stadelwieser, Die Eröffnung von Verfügungen, St. Gallen 1994, S. 157). In einem solchen Fall erwächst die Verfügung nicht in Rechtskraft.


5. Es ist im Vorliegenden zunächst zu prüfen, ob die direkte Eröffnung der Steuerveranlagung an den Rekurrenten fehlerhaft war.


a) Der Vertreter des Pflichtigen ist der Ansicht, dass die Steuerverwaltung aufgrund der Umstände, insbesondere weil die Steuererklärung 2006 wie seit Jahren von A. eingereicht wurde, davon hätte ausgehen müssen, dass der Pflichtige vertreten sei, und die Zustellung der Veranlagungsverfügung folglich nur an den Vertreter hätte vornehmen dürfen.


b) Das basellandschaftliche Steuergesetz regelt die vertragliche Vertretung im Veranlagungsverfahren nicht ausdrücklich. Gemäss Kurzmitteilung Nr. 192 der Steuerverwaltung Basel-Landschaft werden die Anforderungen an die Vollmachtserteilung im Veranlagungs- und dazugehörigen Einspracheverfahren nicht so streng gehandhabt, wie im anschliessenden Rekurs- bzw. Beschwerdeverfahren vor den Gerichtsbehörden. Im Veranlagungs- und Einspracheverfahren genügt es, wenn das Vertretungsverhältnis auf irgendeine Weise für die Steuerverwaltung ersichtlich wird. Eine formelle (schriftliche) Vollmacht ist nicht unbedingt erforderlich. Ein Hinweis auf der Steuererklärung, wonach bei allfälligen Rückfragen von Seiten der Steuerverwaltung der Anwalt bzw. der Treuhänder des Pflichtigen zu kontaktieren sei, entfaltet jedoch im Hinblick auf die Zustellung der Veranlagung keine Wirkung. Diese ist dem Steuerpflichtigen weiterhin selber zu eröffnen (vgl. Kurzmitteilung Nr. 192 vom 13. Januar 1993. Ziffer 4).


c) Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf bei Fehlen einer klaren schriftlichen Vollmacht, ein Vertretungsverhältnis, vor allem im Hinblick auf das Steuergeheimnis, nur angenommen werden, wenn sich aus den Umständen eine eindeutige Willensäusserung des Steuerpflichtigen auf Bevollmächtigung eines Dritten ergibt. Andernfalls gilt die Vermutung, dass keine Vollmacht erteilt wurde und die Verfügungen und Entscheide sind dem Steuerpflichtigen selbst zu eröffnen. Ein Hinweis in der Steuererklärung auf die Auskunftsadresse sowie an diese Adresse getätigte Rückfragen reichen zur Annahme eines Vertretungsverhältnisses nicht aus (vgl. zum Ganzen: ASA, Bd. 67, S. 391 ff., E. 2a, b). Blosse Beratungsmandate in Steuerangelegenheiten bilden keine Ausnahme, weshalb die Steuerverwaltung nicht aus jedem Telefongespräch auf ein Vertretungsverhältnis schliessen darf (vgl. Der Steuerentscheid StE 1989, B 93.6 Nr.9, E. 3d). Die Beweislast dafür, dass ein Vertretungsverhältnis besteht und gegenüber den Steuerbehörden auch gehörig kundgegeben wurde, obliegt dem Steuerpflichtigen (ASA, Bd. 67, S. 391 ff., E. 2a).


d) Im vorliegenden Fall wurde die Steuererklärung 2006 von einem Treuhänder ausgefüllt und dessen Adresse für Rückfragen, welche im Verlaufe des Veranlagungsverfahrens tatsächlich getätigt wurden, angegeben. Wie bereits dargelegt kann dieser Umstand für die Annahme eines Vertretungsverhältnisses jedoch nicht genügen. Da keine weiteren Tatsachen vorliegen, aufgrund derer die Steuerverwaltung mit eindeutiger Sicherheit auf eine Vertretung hätte schliessen können, ist im vorliegenden Fall die Veranlagung zu Recht an den Pflichtigen eröffnet worden. Dies insbesondere auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Veranlagungsverfügungen der vorigen Jahre stets dem Rekurrenten und nicht seinem Treuhänder eröffnet worden sind, was vom Pflichtigen im Übrigen nie beanstandet wurde. Da folglich kein Eröffnungsmangel vorliegt der den Fristenlauf unterbindet und die Veranlagung nicht rechtzeitig angefochten wurde, ist die definitive Veranlagung der Staatssteuer 2006 in Rechtskraft erwachsen und die Steuerverwaltung mithin zu Recht auf die Einsprache vom 2. April 2009 nicht eingetreten.


6. a) Im Weiteren bleibt festzuhalten, dass selbst dann, wenn die Steuerverwaltung ein Vertretungsverhältnis hätte annehmen müssen, die Veranlagungsverfügung der Staatssteuer 2006 in Rechtskraft erwachsen wäre. Wie bereits ausgeführt, ist dem Rechtsschutzinteresse genüge getan, wenn die objektiv mangelhafte Eröffnung trotz des Mangels ihren Zweck erreicht hat. Es ist somit aufgrund der konkreten Umstände des Einzellfalles zu prüfen, ob der Steuerpflichtige durch den Eröffnungsmangel tatsächlich irregeführt und dadurch benachteiligt geworden ist (Zweifel in: a.a.O., Art. 41 StHG N 40). Es gilt der Grundsatz, dass der Verfügungsadressat, sobald er von der ihn betreffenden Verfügung Kenntnis erhalten hat, darum besorgt sein muss, den Inhalt der Verfügung und deren Begründung zu erfahren, um sich über die Ergreifung eines Rechtsmittels zu entschliessen (vgl. Entscheid des Bundesgerichts [BGE] 102 Ib 91 E. 3). Nach Kenntnisnahme einer Veranlagungsverfügung dürfen die Steuerpflichtigen auch dann, wenn sie davon ausgehen ihr Vertreter kenne die Veranlagung, die Einsprachefrist nicht tatenlos verstreichen lassen. Spätestens gegen Ablauf der Einsprachefrist müssen sich die Steuerpflichtigen, wenn sie bis dahin nichts von ihrem Vertreter gehört haben, somit vergewissern, dass diesem die Notwendigkeit der Einspracheerhebung nicht entgangen ist (vgl. StE 2000, B 93.6 Nr. 19, E 2a; SteuerRevue [StR], Nr. 472009, B. 93.6 Nr. 19; StE 1989, B 93.6 Nr.9, E. 3c).


b) Als vorliegend die Steuerverwaltung dem Rekurrenten die Veranlagungsverfügung 2006 am 22. Januar 2009, zu einem Zeitpunkt als dieser sich längst wieder in der Schweiz befand, persönlich zustellte, reagierte er nicht darauf. Weder rügte er innert Frist bei der Steuerverwaltung, dass die Veranlagungsverfügung ihm persönlich zugestellt worden war, noch nahm er bezüglich der eingegangenen Veranlagung mit seinem damaligen Treuhänder Kontakt auf. Erst am 2. April 2009, rund 38 Tage nach Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist, erhob der Vertreter des Rekurrenten Einsprache gegen die Veranlagung. In Anbetracht dieser Umstände bleibt festzuhalten, dass selbst bei einer mangelhaften Eröffnung der Steuerveranlagung 2006, sich der Rekurrent unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bezüglich der verspäteten Einsprache nicht auf einen Eröffnungsmangel berufen kann.


Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Steuerverwaltung zu Recht nicht auf die Einsprache eingetreten ist und der Rekurs demzufolge abzuweisen ist.


7. (...)


8. Anlässlich der heutigen Verhandlung äusserte der Vertreter des Pflichtigen ausdrücklich, dass der Entscheid des Steuergerichts dem Pflichtigen selbst und nicht dem Vertreter zu eröffnen ist.


Entscheid des Steuergerichts vom 16.04.2010 (510 09 89)



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