510 10 70 Zweite Zustellung des Einspracheentscheids

Die Rechtsmittelfrist kann sich gestützt auf das verfassungsmässige Recht des Vertrauensschutzes dann verlängern, wenn noch vor ihrem Ende eine entsprechende vertrauensbegründende Auskunft erteilt wird und die Auskunft darin besteht, dass der mit Rechtsmittelbelehrung versehene Entscheid dem Betroffenen noch vor Ablauf der Frist erneut zugestellt wird. Der Vertrauensschutz greift jedoch nicht, wenn die Auskunft erst nach Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist erteilt wird, weil es dabei an der nachteiligen Disposition fehlt, welche für die Berufung auf den Vertrauensschutz vorausgesetzt wird.



Aus den Erwägungen:

- (…)


- dass bevor eine Streitsache materiell zu beurteilen ist, von Amtes wegen die Sachurteilsvoraussetzungen zu prüfen sind und das Steuergericht als Rekursinstanz nur dann auf einen Rekurs eintritt und diesen materiell prüft, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, weshalb vorerst die Beurteilung der Frage, ob der Rekurs innert der Rechtsmittelfrist ergangen ist, zu prüfen ist (vgl. Rhinow/Koller/Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, u.a. Basel, 1996, N 947-953 und N 1217 ff.; Entscheid des Steuergerichts [StGE] vom 2. Juli 2010, 510 10 10, E. 3),


- dass die Steuerverwaltung in vorliegenden Fall mit Einsprache-Entscheid vom 21. Mai 2010 die Einsprache der Pflichtigen gegen die Grundstückgewinnsteuer-Rechnung Nr. 08/2739 vom 13. Januar 2010 teilweise gutgeheissen hat,


- dass der Einsprache-Entscheid am 25. Mai 2010 per Einschreiben an den im Handelsregister eingetragenen Sitz der Pflichtigen in A. eröffnet worden ist, dieser jedoch der Steuerverwaltung am 8. Juni 2010 von der Post mit dem Vermerk "Nicht abgeholt" retourniert wurde,


- dass die Steuerverwaltung daraufhin mit Einschreiben vom 8. Juli 2010 den Einsprache-Entscheid nochmals eröffnete, jedoch versehen mit Datum vom 7. Juli 2010 und nicht an den Sitz der Stiftung in A., sondern an den Sitz der AG in B.,


- dass gemäss § 124 Abs. 1 StG gegen den Einspracheentscheid der Steuerpflichtige und bezüglich der Staats- und Gemeindesteuer, die Gemeinden innert 30 Tagen nach der Zustellung beim Steuergericht schriftlich Rekurs erheben können, und dass bei der Berechnung der Frist gemäss § 46 Abs. 1 des Gesetzes über die Organisation der Gerichte und der Strafverfolgungsbehörden Basel-Landschaft vom 22. Februar 2001 (GOG) der Tag, an welchem die Frist zu laufen beginnt, nicht mitgezählt wird,


- dass nach Lehre und Rechtsprechung die 30-tägige Frist zur Anhebung des Rechtsmittels eine Verwirkungsfrist darstellt, die nicht verlängert werden kann und deren Nichteinhaltung von Amtes wegen zu beachten ist, weshalb auf ein verspätet eingelegtes Rechtsmittel nicht eingetreten werden kann (vgl. Ziegler in: Nefzger/Simonek/Wenk, Kommentar zum Steuergesetz des Kantons Basel-Landschaft, 122 N 18; Imboden/Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Basel/Frankfurt a.M. 1986, Nr. 91, S. 559 ff.),


- dass nach herrschender Lehre und Rechtsprechung behördliche Sendungen in Prozessverfahren nicht erst dann als zugestellt gelten, wenn der Adressat sie tatsächlich in Empfang nimmt, sondern dass es genügt, wenn die Sendung in den Machtbereich des Adressaten gelangt, so dass er sie zur Kenntnis nehmen kann, und wenn der Empfänger einer eingeschriebenen Briefpostsendung oder Gerichtsurkunde nicht angetroffen wird und daher eine Abholeinladung in seinen Briefkasten oder in sein Postfach gelegt wird, die Sendung in jenem Zeitpunkt als zugestellt betrachtet wird, in welchem sie auf der Poststelle abgeholt wird, geschieht dies nicht innert der siebentägigen Abholfrist, so gilt die Sendung am letzten Tag dieser Frist als zugestellt (sogenannte Zustellfiktion) (vgl. Schöll Michael, Rechtsmittelfrist bei nicht zugestellten behördlichen Akten, publ. in: Der Treuhandexperte [Trex], 2 [2002], S. 68 f., mit Hinweisen; Entscheid des Bundesgerichts [BGE] Nr. 1P.404/2006 vom 12. September 2006, E. 3.2, mit Hinweisen; Urteil des Verwaltungsgerichts [VGE BL] Nr. 96/1994 vom 12. Oktober 1994, E. 1, mit Hinweisen),


- dass aufgrund der vorstehenden Ausführungen die Rekursfrist am 2. Juli 2010 endete, weshalb zufolge Fristversäumnis auf den mit Schreiben vom 27. Juli 2010 erhobenen Rekurs grundsätzlich nicht eingetreten werden kann,


- dass sich die Eingabe der Pflichtigen jedoch gegen den am 8. Juli 2010 erneut zugestellten Einsprache-Entscheid richtet, weshalb nachfolgend zu prüfen ist, ob die Rekurrentin aufgrund der vorbehaltlosen Rechtsmittelbelehrung in der erneuten Zustellung des Einsprache-Entscheids annehmen durfte, dass die Rechtsmittelfrist erst mit dieser zu laufen beginne,


- dass das in Art. 4 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV) gewährleistete verfassungsmässige Recht auf Vertrauensschutz unter anderem bewirkt, dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten und dass gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts eine unrichtige Auskunft bindend ist, wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat; wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn der Bürger die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; wenn der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte; wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können und wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 115 Ia 12 vom 11. Februar 1989, E. 4a, mit Hinweisen),


- dass entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichts sich die Rechtsmittelfrist gestützt auf den verfassungsmässigen Anspruch auf Vertrauensschutz dann verlängern kann, wenn noch vor ihrem Ende eine entsprechende vertrauensbegründende Auskunft erteilt wird und die Auskunft darin besteht, dass der mit Rechtsmittelbelehrung versehene Entscheid dem Betroffenen noch vor Ablauf der Frist erneut zugestellt wird, der Vertrauensschutz jedoch nicht greift, wenn die Auskunft (d.h. die zweite Zustellung) erst nach Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist erteilt wird, weil es an der nach der Rechtsprechung für die Berufung auf den Vertrauensschutz vorausgesetzten nachteiligen Disposition fehlt und dass mit Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist der Entscheid in Rechtskraft tritt und nicht mehr anfechtbar ist, so dass dem Betroffenen durch eine spätere unrichtige Auskunft (Rechtsmittelbelehrung) grundsätzlich kein Nachteil erwachsen kann (vgl. BGE 118 V 190 vom 27. Juli 1992, E. 3a, mit Hinweisen; BGE Nr. C 312/99 vom 27. Januar 2000, E. 1; Michael Schöll, a.a.O., S. 69),


- dass im vorliegenden Fall die erneute Zustellung des Einsprache-Entscheids am 8. Juli 2010, also nach Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist erfolgte, und obwohl die Steuerverwaltung es versäumte, darauf hinzuweisen, dass die Rechtsmittelfrist nicht neu zu laufen beginnt, mit dieser erneuten Zustellung entsprechend der Praxis des Bundesgerichts die Rechtsmittelfrist nicht neu zu laufen beginnt,


- dass demgemäss die Eingabe der Pflichtigen vom 27. Juli 2010 als verspätet zu betrachten ist, weshalb auf den Rekurs nicht eingetreten werden kann,


- (…)


- (…)


Entscheid des Steuergerichts vom 11.02.2011 (510 10 70)



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