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Kanton Glarus
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Obergericht
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Beschluss
vom 2. Oktober 2012
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Verfahren
OG.2012.00021
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A.______
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Beschwerdeführerin
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vertreten
durch B.______ Vertreter,
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gegen
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Staats- und Jugendanwaltschaft des
Kantons Glarus
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Beschwerdegegnerin
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und
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C.______
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Beschuldigter
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vertreten durch D.______
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betreffend
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Beschwerde
gegen Einstellungsverfügung
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Rechtsbegehren
der Beschwerdeführerin (gemäss Eingabe vom
10. April 2012):
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„1.
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Es sei die
Einstellungsverfügung der Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus
vom 28.03.2012, mit der das Strafverfahren gegen C.______ wegen
fahrlässiger Tötung in Anwendung von Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO
eingestellt wird, vollumfänglich aufzuheben.
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2.
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Es sei das Strafverfahren gegen
C.______ im Sinne der Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Ergänzung des
Sachverhalts und zur neuen Entscheidung an die Beschwerdegegnerin
zurückzuweisen.
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3.
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Alles unter Kosten- und
Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin.“
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Antrag
der
Beschwerdegegnerin (vom 4. Mai 2012, sinngemäss):
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1.
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Es sei die Beschwerde
abzuweisen.
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2.
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Alles unter Kosten- und
Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdeführerin.
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Antrag
des
Beschuldigten (vom
30. Mai 2012, sinngemäss):
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1.
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Es sei die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf überhaupt einzutreten ist.
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2.
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Dem Beschuldigten sei für das
Vorverfahren eine Entschädigung von Fr. 2‘120.- zuzusprechen.
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3.
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Alles unter Kosten- und
Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdeführerin, eventualiter der
Staatskasse.
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Das Gericht zieht in
Betracht:
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I.
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1.— a) Am
23. Mai 2009 um 20.15 Uhr ereignete sich auf der Kantonsstrasse zwischen
[...] und [...], beim […], ein Verkehrsunfall zwischen C.______ und X.______,
der dabei getötet wurde.
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b) C.______ fuhr mit
seiner Fahrzeugkomposition, welche den Traktor, eine Ballenpresse und eine
Wickelmaschine umfasste, auf der Kantonsstrasse von [...] Richtung [...]. Auf
der Hauptstrasse in dieselbe Richtung fuhr auch X.______ mit einem Motorrad.
Als C.______ von der Hauptstrasse nach links in die Abzweigung zum [...]
einbog, kam es zur Kollision zwischen dem Motorradfahrer und der von C.______
gelenkten Fahrzeugkomposition. Der Motorradlenker und dessen Motorrad
schlitterten vermutlich in der Folge zusammen mit der in die Abzweigung
eingebogenen Fahrzeugkomposition mit, wobei das Motorrad schliesslich vor der
vorderen linken Ballenpresseseite und X.______ – wohl unter der Ballenpresse
hindurch – auf deren hinteren rechten Seite, noch vor der Wickelmaschine zu
liegen kam. X.______ verstarb noch auf der Unfallstelle an den Folgen des
Verkehrsunfalls.
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c) Der Beschuldigte
C.______ konnte zum Unfallhergang keine Angaben machen. An der polizeilichen
Einvernahme am Unfallabend führte er aus, dass er sich korrekt verhalten
habe; sodann sagte er aber aus, dass er „die Kurve etwas geschnitten habe“.
Anlässlich der Einvernahme durch den Staatsanwalt am 12. August 2009
führte er aus, dass er „den Vorwurf wegen des Kurvenschneidens“ akzeptieren
könne, die Kurve aber nicht absichtlich geschnitten habe. Den Vorwurf der
fahrlässigen Tötung akzeptiere er nicht.
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d) Sodann wurden als
Auskunftspersonen M.______ und L.______ durch die Kantonspolizei Glarus
unterschriftlich zum Unfallgeschehen einvernommen. Weiter liegen
Zeugenprotokolle mit Aussagen von N.______ und O.______ bei den Akten.
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2.— Die Staatsanwaltschaft
des Kantons Glarus stellte das Strafverfahren gegen C.______ wegen
fahrlässiger Tötung mit Verfügung vom 28. März 2012 ein (Dispositiv
Ziff. 1). Die Verfahrenskosten nahm die Staatsanwaltschaft auf die
Staatskasse (Dispositiv Ziff. 2). Dem Beschuldigten C.______ wurde eine
Entschädigung in der Höhe von Fr. 1‘469.70 (inkl. MwSt), jedoch keine
Genugtuung zugesprochen (Dispositiv Ziff. 3 und 4). Die von X.______
getragenen Motorradkleider sowie dessen Schutzhelm sollten nach Eintritt der
Rechtskraft der Einstellungsverfügung durch die Polizei vernichtet
(Dispositiv Ziff. 5), das Motorrad GL [...], ein defekter Rückspiegel ab
Motorrad GL [...] sowie drei Glühlampen ab Motorrad GL [...] an die Erben von
X.______ herausgegeben werden (Dispositiv Ziff. 6). Zwei Glühlampen ab
Traktor GL [...], zwei Glühlampen ab Ballenpresse GL [...], zwei Glühlampen
ab Wickler und ein Rad ab Ballenpresse sind gemäss der Einstellungsverfügung
nach Eintritt der Rechtkraft an F.______, den Fahrzeughalter der vom
Beschuldigten gelenkten Fahrzeugkombination, herauszugeben (Dispositiv Ziff.
7).
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3.— Gegen diese
Einstellungsverfügung erhob A.______, die Witwe des verstorbenen X.______,
mit Eingabe vom 10. April 2012 Beschwerde und stellte die eingangs
wiedergegebenen Anträge.
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4.— Der Rechtsvertreter
des Beschuldigten nahm mit Schreiben vom 30. Mai 2012 innert erstreckter
Frist Stellung zur Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung und stellte
ebenfalls Anträge. Die Staatsanwaltschaft liess sich nicht vernehmen.
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II.
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1.— Die Beschwerde ist
zulässig gegen Verfügungen der Staatsanwaltschaft (Art. 393 Abs. 1
lit. a StPO; vgl. auch Art. 322 Abs. 2 StPO).
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2.— a) Ein
Rechtsmittel ergreifen kann jede Partei, die ein rechtlich geschütztes
Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat (Art. 382
Abs. 1 StPO). Der Parteibegriff ist umfassend im Sinne von Art. 104 und
Art. 105 StPO zu verstehen (Lieber
in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen
Strafprozessordnung [StPO], Zürich 2010, Art. 382 N 2; Guidon, Die Beschwerde gemäss
Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2011, Rz. 222).
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b) Der Rechtsvertreter des
Beschuldigten stellt sich in der Stellungnahme vom 30. Mai 2012 auf den
Standpunkt, dass die Beschwerdeführerin nicht zur Beschwerde legitimiert sei.
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c) Als Privatklägerschaft
gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren
als Straf- oder Zivilkläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO).
Der Strafantrag ist dieser Erklärung gleichgestellt (Art. 118
Abs. 2 StPO). Die Erklärung kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll
abgegeben werden (Art. 119 Abs. 1 StPO). In ihrer Erklärung kann
die Privatklägerschaft (kumulativ oder alternativ) die Verfolgung und
Bestrafung der für die Straftat verantwortlichen Person verlangen
(„Strafklage“, Art. 119 Abs. 2 lit. a StPO) und/oder
adhäsionsweise privatrechtliche Ansprüche geltend machen, die aus der
Straftat abgeleitet werden („Zivilklage“, Art. 119 Abs. 2
lit. b StPO). Die geschädigte Person kann zivilrechtliche Ansprüche aus
der Straftat als Privatklägerschaft adhäsionsweise im Strafverfahren geltend
machen (Art. 122 Abs. 1 StPO). Die in der Zivilklage
erhobene Forderung ist nach Möglichkeit in der Erklärung der Parteistellung
als Privatklägerschaft (Art. 118 i.V.m. Art. 119 StPO) zu beziffern
und, unter Angabe der angerufenen Beweismittel, kurz schriftlich zu begründen
(Art. 123 Abs. 1 StPO; Urteil des Bundesgerichts 1B_476/2011, vom
30. November 2011).
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Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts muss der Privatstrafkläger zwar seine
Zivilansprüche im Untersuchungsverfahren noch nicht (adhäsionsweise) geltend
gemacht haben, damit er zur Beschwerde gegen definitive Einstellungen befugt
ist. Er hat jedoch darzulegen, welche Zivilansprüche er gegen beschuldigte Personen
stellen möchte, sofern dies – etwa aufgrund der Natur der untersuchten
Straftat – nicht ohne weiteres aus den Akten ersichtlich ist (BGE 137 IV
219 E. 2.4. S. 222 f.; 246 E. 1.3.1 S. 247 f.;
je mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts 1B_78/2012 vom 3. Juli 2012). Als
nahe Angehörige der verstorbenen Person in einer Strafuntersuchung wegen
fahrlässiger Tötung erfüllt die Beschwerdeführerin grundsätzlich den
Opferbegriff (Art. 1 Abs. 2 OHG). Sie beansprucht sinngemäss
Genugtuung und Schadenersatz für die Tötung ihres Mannes (vgl. Art. 47
OR).
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Wohl hat die Beschwerdeführerin
vorliegend nicht erklärt, als Privatstrafklägerin am Verfahren teilzunehmen.
Allerdings ist sie von der Staatsanwaltschaft vor Erlass der
Einstellungsverfügung auch nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
Damit ist A.______ zur Beschwerde legitimiert, auch wenn sie bisher keine
konkreten Zivilansprüche geltend gemacht hat; andernfalls könnte sie ihre
Rechte als Zivilklägerin verlieren (vgl. Lieber
in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen
Strafprozessordnung [StPO], Zürich 2010, Art. 118 N 14 f.).
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III.
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1.— Mit der Beschwerde
können Rechtsverletzungen einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des
Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung, die unvollständige oder
unrichtige Feststellung des Sachverhaltes oder Unangemessenheit gerügt
werden (Art. 393 Abs. 2 StPO), wobei die Beschwerdeinstanz bei der
Prüfung umfassende Kognition hat (Keller
in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen
Strafprozessordnung [StPO], Zürich 2010, Art. 393 N 39).
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2.— Die Beschwerdeführerin
rügt die unvollständige und unrichtige Feststellung des Sachverhaltes. Sie
macht geltend, dass die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung den
Beweisantrag auf Beizug von Messdaten über die auf der Fahrbahn
festgestellten Brems- und Kratzspuren nicht berücksichtigt habe. Zudem habe
sich die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung auch nicht zu den
eingeschränkten Sichtverhältnissen des Beschuldigten im Traktorzug geäussert,
der Aspekt der Überbreite der Fahrzeugkombination werde mit keinem Wort
erwähnt.
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3.— Der Rechtsvertreter
des Beschuldigten bringt vor, dass die Beschwerdeeingabe nicht begründet sei.
Es werde auch nicht dargelegt, weshalb die Begründung des Staatsanwaltes
unrichtig sein soll. Folglich dürfe das Obergericht auf die Beschwerde nicht
eintreten. Im Übrigen habe der Staatsanwalt „alle gebotenen
Untersuchungsmassnahmen sorgfältig vorgenommen bzw. durch die Polizei
vornehmen lassen“. Trotz der zahlreich befragten Zeugen und
Spurensicherungsmassnahmen gebe es keinerlei Hinweise auf eine
Sorgfaltspflichtverletzung des Beschuldigten, womit es an den Voraussetzungen
für die Fortsetzung des Strafverfahrens fehle. Im vorliegenden Fall hätte ein
klarer Freispruch hinsichtlich des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung zu
erfolgen, eine Verurteilung erscheine mehr als nur unwahrscheinlich. Daran
änderten auch die Beweisanträge der Beschwerdeführerin nichts, da diese zu spät
erfolgt seien, um zu anderen Erkenntnissen zu gelangen und daher untauglich
seien.
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4.— a) Die
Beschwerde ist ein vollkommenes Rechtsmittel, mit der die
Sachverhaltsermittlung, die Rechtsanwendung wie auch die Ausübung des
Ermessens durch die Vorinstanz gerügt werden können. Es sind demgemäss auch
neue Tatsachenbehauptungen und Beweise zulässig, zudem kann auch die
Unangemessenheit des vorinstanzlichen Entscheides gerügt werden (vgl.
Art. 393 Abs. 2 StPO; Schmid,
Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Zürich/St. Gallen 2009,
Rz. 1512). Die Rüge der unvollständigen Feststellung des Sachverhaltes ist
zulässig (Art. 393 Abs. 2 lit. b StPO). Unvollständig ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn entscheidrelevante Umstände nicht oder nicht
ausreichend abgeklärt oder berücksichtigt worden sind. Unvollständigkeit ist
mit anderen Worten gegeben, wenn nicht alle entscheidrelevanten Tatsachen
erhoben, also über bestimmte rechtserhebliche Umstände kein Beweis geführt
worden ist, oder wenn die erhobenen Tatsachen nicht alle einer
Beweiswürdigung unterzogen worden sind. Die Rüge der Unvollständigkeit knüpft
demgemäss beim Umfang der Beweiserhebung an. Unrichtig ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn den hoheitlichen Verfahrenshandlungen falsche,
aktenwidrige Tatsachen zugrunde gelegt werden, wenn die Rechtserheblichkeit
einer Tatsache zu Unrecht verneint wird, so dass diese nicht zum Gegenstand
eines Beweisverfahrens gemacht wird, oder wenn Beweise unzutreffend gewürdigt
werden. Sowohl bei der Rüge der Unvollständigkeit als auch der Unrichtigkeit
kann es allein um den rechtserheblichen Sachverhalt gehen, d.h. jenen
Sachverhalt, welcher in Bezug auf die konkret zu treffende hoheitliche
Verfahrenshandlung relevant ist (Guidon,
a.a.O., Rz. 363 ff.).
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b) Die Beschwerdeführerin
rügt, dass die Staatsanwaltschaft diejenigen Beweismittel, welche sie bereits
im Untersuchungsverfahren beantragt habe, in der Einstellungsverfügung nicht
berücksichtigt hat. Damit begründet sie die Beschwerde genügend, denn es wäre
gerade Aufgabe der Staatsanwaltschaft gewesen, aus den beantragten
Beweismitteln die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sinngemäss rügt sie auch, die
Staatsanwaltschaft habe nicht alle für die Beurteilung der Tat bedeutsamen
Tatsachen abgeklärt und damit den Untersuchungsgrundsatz verletzt
(Art. 6 StPO).
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c) Vorliegend hat die
Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung auf den Unfallrapport der
Kantonspolizei Glarus und auf Aussagen des Beschuldigten abgestellt. Sie hat
nicht berücksichtigt, dass bei der Kantonspolizei weitere Fotos vorhanden
sind. Ebenfalls hat die Staatsanwaltschaft nicht berücksichtigt, dass die
Kantonspolizei Messungen am Unfallort vorgenommen hat und damit Messdaten
existieren, welche erlauben würden einen Bericht oder auch ein Gutachten zu erstellen.
Zum Beweisantrag des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin, der bereits mit
Eingabe vom 17. November 2009 an die Staatsanwaltschaft den Beizug der
entsprechenden Messdaten und Bildaufnahmen beantragt hatte, hielt der
Staatsanwalt fest, „eine nachträgliche Ausmessung der Fahrbahn sowie der
darauf festgestellten Brems- und Kratzspuren ist nicht rechtserheblich.
Dessen Ergebnis hätte keinen Einfluss auf die Beurteilung einer rechtlich
relevanten Beweisfrage“. Dazu muss festgehalten werden, dass keine
nachträgliche Messung erforderlich ist. Entsprechende Daten sind durch die
Kantonspolizei Glarus bereits erhoben worden. Aus den erhobenen Daten lässt
sich sehr wohl ein verkehrstechnisches Gutachten erstellen, das nähere
Aufschlüsse über den Unfallhergang geben könnte. Die Staatsanwaltschaft hat
folglich nicht sämtliche entscheidrelevanten Tatsachen berücksichtigt und
noch nicht alle bedeutsamen Umstände des Unfallhergangs abgeklärt. Die
Beschwerde ist bereits aus diesem Grund gutzuheissen. Die Staatsanwaltschaft
wird angewiesen, ein entsprechendes Gutachten zu veranlassen, zum Beispiel
beim Forensischen Institut Zürich.
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5.— a) Die
Staatsanwaltschaft stellt ein Verfahren insbesondere dann ein, wenn kein
Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt oder kein
Straftatbestand erfüllt ist (Art. 319 Abs. 1 lit. a und
lit. b StPO).
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b) Nach
bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist im Zweifel Anklage zu erheben. Ein
Strafverfahren darf nur eingestellt werden, wenn eine Verurteilung mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Als praktischer
Richtwert kann gelten, dass Anklage erhoben werden muss, wenn eine
Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Dahinter steckt
die Überlegung, dass bei nicht eindeutiger Beweislage nicht die
Untersuchungs- oder Anklagebehörden, sondern die für die materielle
Beurteilung zuständigen Gerichte über einen Vorwurf entscheiden sollen. Bei
der Anklageerhebung gilt daher der auf die gerichtliche Beweiswürdigung
zugeschnittene Grundsatz 'in dubio pro reo' nicht. Vielmehr ist nach der
Maxime 'in dubio pro duriore' im Zweifelsfall Anklage zu erheben. Der
Grundsatz, dass im Zweifelsfall nicht eingestellt werden darf, ist auch bei
der gerichtlichen Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (Urteil
6B_588/2007 E. 3.2.3 mit weiteren Hinweisen; BGE 137 IV 219
E. 7.1-7.3).
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c) Eine eindeutige
Beweislage ist im vorliegenden Fall vor Einholung des verkehrstechnischen
Gutachtens nicht gegeben. So sagte der als Auskunftsperson einvernommene
L.______ aus: „Der Traktor führte das Abbiegmanöver aus, währenddem der
Motorradfahrer überholte“. Dagegen gab der Beschuldigte bei der polizeilichen
Einvernahme zu Protokoll, „weiter hinten […] Autos gesehen“ zu haben (ebenso
sagte er bei der Einvernahme durch den Staatsanwalt aus, er habe das Motorrad
bei der Kollision zum ersten Mal gesehen). Es ist daher nicht ausgeschlossen,
dass der Beschuldigte den überholenden Motorradfahrer übersehen hat. Weiter
ist auch nicht ganz sicher, ob der Beschuldigte den Blinker gestellt hatte.
Sodann gestand der Beschuldigte ein, beim Abbiegen die Kurve geschnitten zu
haben. Im Übrigen lässt auch der Spurensicherungsbericht keinen eindeutigen
Schluss darüber zu, dass der Unfall nicht durch den Beschuldigten verursacht
worden ist. Zuletzt darf auch nicht vergessen werden, dass die
Staatsanwaltschaft den Fall zu wenig genau untersuchte, um zum Schluss zu
gelangen, dass eine Verurteilung mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, da sie nicht sämtliche
Beweismittel beigezogen hat (vgl. Erw. III. Ziff. 4. Bst. c
vorstehend).
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6.— Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Beschwerde
gutzuheissen ist. Die Strafsache ist zur weiteren Untersuchung an die
Staatsanwaltschaft zurückzuweisen. Insbesondere ist der Sachverhalt mit Hilfe
der bei der Kantonspolizei vorhandenen Daten und Fotografien sowie eines
Gutachtens weiter abzuklären. Im Anschluss ist bei Zweifeln Anklage beim
Gericht zu erheben, sofern der Fall nicht im Strafbefehlsverfahren erledigt
werden kann.
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IV.
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1.— Bei diesem Ausgang
sind die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens auf die Staatskasse zu
nehmen (Art. 428 Abs. 1 und Abs. 4 StPO). Nachdem die
Staatsanwaltschaft das Verfahren in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
abgeschlossen hat, rechtfertigt es sich der obsiegenden Beschwerdeführerin
aus der Staatskasse eine angemessene Parteientschädigung von Fr. 750.-
auszurichten.
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2.— Infolge Aufhebung der
Einstellungsverfügung ist die Frage der Entschädigung für das
Untersuchungsverfahren gegenstandslos, zumal darauf ohnehin nicht hätte
eingetreten werden können, da das Beschwerdeverfahren die Anschlussbeschwerde
nicht kennt. Ebenso erübrigt sich infolge Unterliegens die vom
Beschwerdegegner beantragte Einholung einer Kostennote.
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Das Gericht
beschliesst:
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1.
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In Gutheissung der Beschwerde
wird die Einstellungsverfügung der Staats- und Jugendanwaltschaft des
Kantons Glarus vom 28. März 2012 im Verfahren SA.2011.0031 bzw.
VA.2009.00519 aufgehoben und es wird die Sache im Sinne der vorstehenden
Erwägungen an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.
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2.
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Die Kosten des
Beschwerdeverfahrens werden auf die Staatskasse genommen.
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3.
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Der Beschwerdeführerin wird aus
der Staatskasse eine Parteienschädigung von Fr. 750.- zugesprochen.
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4.
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Schriftliche Mitteilung an:
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[...]
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