SOG 2019 Nr. 7
Art. 172ter StGB: Es kann ein Schuldspruch wegen geringfügigen Diebstahls ergehen, wenn das Deliktsgut zusammen mit dem zwecks Begehung des Delikts vorgängig angerichteten Schaden den Betrag von CHF 300.00 übersteigt.
Sachverhalt:
Im vorliegenden Fall stellte sich die Frage, ob bei einem Diebstahl von Gütern im Wert von rund CHF 60.00 und einer vorausgehenden Sachbeschädigung von CHF 3'000.00 zur Erlangung dieser Güter beide Beträge berücksichtigt werden müssen, um zu beurteilen, ob ein Diebstahl oder ein geringfügiger Diebstahl vorliegt.
Aus den Erwägungen:
II. 3. Unbestritten ist grundsätzlich, dass die Straftatbestände des Hausfriedensbruchs und der Sachbeschädigung erfüllt sind (…). In Bezug auf den Diebstahl ist zu prüfen, ob ein geringfügiger Diebstahl im Sinne von Art. 172ter StGB vorliegt.
Gemäss Art. 172ter STGB wird ein Vermögensdelikt auf Antrag mit Busse bestraft, wenn sich die Tat nur auf einen geringen Vermögenswert oder auf einen geringen Schaden richtet (geringfügiges Vermögensdelikt). Wie die Beweiswürdigung ergeben hat, hat der Beschuldigte Deliktsgut im Wert von rund CHF 60.00 entwendet und auch sein Wille richtete sich nicht auf einen höheren Deliktswert. Zumindest kann ihm ein solcher Wille nicht nachgewiesen werden, da er nur zwei bis drei Flaschen mit Spirituosen entwendet hat. Damit sind die Voraussetzungen von Art. 172ter StGB grundsätzlich erfüllt. Es stellt sich die Frage, ob ein Schuldspruch wegen geringfügigem Diebstahl ergehen kann, wenn – wie im vorliegenden Fall – das Deliktsgut zusammen mit dem zwecks Begehung des Delikts vorgängig angerichteten Schaden den Betrag von CHF 300.00 übersteigt. Die Frage ist in der Lehre umstritten: Stratenwerth/Jenny/Bommer (BT I § 25 N 10) sprechen sich dafür aus, es müsse «die Gesamtheit der Vermögenswerte oder Schäden einbezogen werden, die der Täter durch das Delikt erlangen oder herbeiführen solle». Ebenso Weissenberger im Basler Kommentar (N 23 zu Art. 172ter). Eine solche Auslegung drängt sich zumindest nach dem Wortlaut des Gesetzes mit dem Wort «oder» nicht auf: im vorliegenden Fall liegt anhand des Deliktsbetrages von weniger als CHF 300.00 beim Diebstahlsdelikt ein geringer Vermögenswert vor, bei der Sachbeschädigung hingegen kein geringer Schaden. Die beiden Delikte basieren auf zwei Handlungen und stehen in echter Konkurrenz (Realkonkurrenz) zueinander (BGE 72 IV 115). Anderer Meinung sind denn auch Donatsch (III 110), Peter Albrecht, (Bemerkungen zum Tatbestand der geringfügigen Vermögensdelikte gemäss Art. 172ter StGB, ZStrR 114/1996 S. 138 ff.) und Trechsel/Crameri (in: Stefan Trechsel / Mark Pieth [Hrsg]: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich 2017, Art. 172ter StGB N 4): letztere argumentieren auch mit der gesetzlichen Formulierung, weshalb die Höhe des Schadens nur auf Tatbestände anzuwenden sei, welche einen Schaden als Erfolg voraussetzen. Dieser Fachmeinung ist im Hinblick auf den Gesetzestext beizupflichten und es ist von einem geringfügigen Diebstahl im Sinne von Art. 172ter StGB auszugehen. Fiolka/Vetterli plädieren in ihrem Beitrag zur Landesverweisung (Die Landesverweisung nach Art. 66a StGB als strafrechtliche Sanktion, in: Plädoyer 5/2016 S. 82) auch dafür, von einer Zusammenzählung von Deliktsbetrag und Schadenssumme abzusehen. Eine gefestigte kantonale Gerichtspraxis zu dieser Frage besteht nicht, auch nicht zur umgekehrten Konstellation mit einem geringfügigen Schaden und einer hohen Diebstahlssumme. In dieser umgekehrten Konstellation ist es immerhin konstante Praxis der kantonalen Anklagebehörde, dass bei einem geringfügigen Schaden beim Einbruchdiebstahl selbst bei einer hohen Beute eine geringfügige Sachbeschädigung gemäss Art. 172ter StGB angeklagt wird. Das Bundesgericht hat die Frage in BGE 123 IV 113 E. 3 f. explizit offen gelassen, ebenso in 6B_341/2009 E. 4.2.
Obergericht, Strafkammer, Entscheid vom 26. April 2019 (STBER.2019.13)