SOG 2002 Nr. 14

 

 

Art. 27 Abs. 1, 28 und 33 WG. Waffentragen. Der Transport einer halbautomatischen Waffe zu einem Kaufinteressenten stellt kein verbotenes Waffentragen dar. Hingegen handelt fahrlässig, wer die Waffe danach im Fahrzeug vergisst, so dass sie sich bei der nächsten Fahrt noch dort befindet. Beruht diese Widerhandlung auf einem blossen Vergessen und nicht auf Gleichgültigkeit, so liegt ein privilegierter (leichter) Fall vor.

 

 

Sachverhalt:

 

M. begab sich am Nachmittag des 4. Februar 2000 mit seinem Auto nach X.. Er zeigte seinem Kollegen und Waffensammler A., der sich für eine solche Waffe interessierte, eine bulgarische Maschinenpistole vom Typ "Kalaschnikow". Wieder zu Hause, will der Beschuldigte vergessen haben, die Waffe zurück in seine Wohnung zu bringen. Am Abend fuhr er nach Y., um Dart zu spielen; das Auto, in dem sich noch immer die Kalaschnikow befand, parkierte er beim Klublokal. Bis nach Mitternacht trank der Beschuldigte nach eigenen Angaben zwei bis drei „Chübeli“ à drei Deziliter Bier. Gegen 0.40 Uhr machte er sich auf den Heimweg. Nach kurzer Fahrt stellte er fest, dass vor ihm eine Polizeikontrolle durchgeführt wurde. Im Bewusstsein, dass er zuviel getrunken haben könnte, hielt er 100 m vor dem Standort der Polizei an und fuhr rückwärts in eine mit einem Fahrverbot versehene Strasse. Die Polizei beobachtete sein Manöver und nahm die Verfolgung auf. Die Beamten sahen, wie der Beschuldigte auf einem Parkfeld anhielt, ausstieg, den Wagen abschloss und davonrannte, nach seinen Angaben aus Angst, dass ihn jemand verfolge. Nach 300 m wurde er von einem der Polizeibeamten eingeholt. Die angeordnete Blutprobe ergab eine Alkoholkonzentration von mindestens 1,01 ‰. Im Auto des Beschuldigten fanden die Polizeibeamten die Maschinenpistole, die verpackt zwischen dem Vorder- und dem Rücksitz lag. Die Amtsgerichtspräsidentin verurteilte den Beschuldigten namentlich wegen vorsätzlicher Widerhandlung gegen das Waffengesetz. M. appellierte. Die Strafkammer spricht M. insbesondere der Übertretung des Waffengesetzes schuldig.

 

 

Aus den Erwägungen:

 

5. a) Gemäss Art. 27 Abs. 1 WG (Waffengesetz, SR 514.54) benötigt, wer in der Öffentlichkeit eine Waffe tragen will, eine Waffentragbewilligung, die mitzuführen und auf Verlangen den Polizei- und Zollorganen vorzuweisen ist. Art. 33 Abs. 1 lit. a WG bildet die dazugehörige Strafbestimmung. Danach wird mit Gefängnis oder Busse bestraft, wer vorsätzlich ohne Berechtigung Waffen trägt. Die fahrlässige Begehung wird demgegenüber bloss mit Haft oder Busse geahndet.

 

Art. 5 Abs. 1 lit. a WG verbietet den Erwerb, das Tragen, das Vermitteln und die Einfuhr von Seriefeuerwaffen und zu halbautomatischen Hand- oder Faustfeuerwaffen umgebauten Seriefeuerwaffen. Bei Seriefeuerwaffen - auch Vollautomaten genannt – handelt es sich um Waffen, die solange schiessen, als der Abzug durchgezogen bleibt und aus einem Magazin Patronen zugeführt werden. Demgegenüber muss bei den Selbstladern - auch halbautomatische Waffen genannt - der Abzug für jeden einzelnen Schuss gesondert betätigt werden (Hans Wüst: Schweizer Waffenrecht, Zürich 1999, S. 274, 284). Bei der vom Beschuldigten im Auto mitgenommenen Kalaschnikow handelt es sich nicht um eine nach dieser Bestimmung verbotene Waffe, sondern gemäss Auskunft des Verkäufers um einen sogenannten „reinen Halbautomaten“. Darunter versteht man halbautomatische Waffen, die als solche konzipiert, hergestellt und somit nicht „umgebaut“ wurden (Wüst, a.a.O., S. 57). Im Juli 2002 nahm der vom Obergericht beigezogene Waffenexperte die Kalaschnikow in Augenschein. Er bestätigte, dass es sich tatsächlich nicht um eine zum Halbautomaten umgebaute Seriefeuerwaffe handelt und dass nur Fachleute imstande sind, dies zu erkennen.

 

Reine Halbautomaten fallen unter Art. 4 WG und sind, falls sie im Handel erworben werden sollen, nach Art. 8 Abs. 1 WG erwerbsscheinpflichtig. Wer eine solche Waffe von einer Privatperson erwirbt, benötigt hingegen keinen Waffenerwerbsschein (Art. 9 Abs. 1 WG). Bei jedem Erwerb, erfolge er im Handel oder privat, haben jedoch gemäss Art. 11 Abs. 1 WG die Vertragspartner einen schriftlichen Vertrag abzuschliessen, der zehn Jahre aufzubewahren ist; dessen obligatorischer Inhalt wird von Art. 11 Abs. 2 WG umschrieben. Der Beschuldigte machte im Appellationsverfahren geltend, er habe die Kalaschnikow am 4. Dezember 1998 beim Waffengeschäft S. gegen Quittung gekauft. Weil das Waffengesetz erst am 1. Januar 1999 in Kraft trat, galt zu der Zeit noch das Konkordat vom 27. März 1969 über den Handel mit Waffen und Munition (WHK). Dessen Art. 8 enthielt ein umfassendes An- und Verkaufsverbot für Maschinenpistolen und Maschinengewehre. Damit waren vollautomatische Waffen gemeint. Bloss halbautomatische Handfeuerwaffen, wie die vom Beschuldigten gekaufte, wurden von diesem Verbot nicht erfasst (Walter R. Häberling: Waffenhandel, Erwerb, Besitz und Tragen von Waffen aus der Sicht des Nebenstrafrechts, Diss. Zürich 1990, S. 99). Einen Waffenerwerbsschein brauchte der Beschuldigte nicht: Nach Art. 2 WHK musste bei gewerbsmässigem Verkauf von Schusswaffen nur dann ein Waffenerwerbsschein vorgelegt werden, wenn es sich um Waffen zum einhändigen Gebrauch handelte (Häberling, a.a.O., S. 60 ff.). Demzufolge ist festzustellen, dass der Beschuldigte die Kalaschnikow rechtmässig erworben hat.

 

b) Weder im Waffengesetz noch in der Botschaft dazu wird der Begriff des Waffentragens definiert. Aus der Systematik des Gesetzes ist jedoch abzuleiten, dass jegliches Waffentragen, bei dem es sich nicht um ein freies Mitführen i. S. von Art. 28 WG handelt, ein bewilligungspflichtiges Waffentragen i. S. von Art. 27 Abs. 1 WG darstellt.

 

Nach Art. 28 WG können ungeladene Waffen frei, d.h. ohne Waffentragbewilligung, mitgeführt werden „insbesondere unterwegs

 

für Kurse, Übungen und Veranstaltungen von Schiess- oder Jagdvereinen und militärischen Vereinigungen oder Verbänden;

von und zum Zeughaus;

von und zu einem Inhaber einer Waffenhandelsbewilligung;

von und zu Fachveranstaltungen.“

 

Diese Aufzählung ist nicht abschliessend, wie das Wort „insbesondere“ zeigt. So erwähnt Wüst (a.a.O., S. 154) weitere Möglichkeiten des bewilligungsfreien Mitführens, wie der Wohnungsumzug oder der Heimtransport von Waffen, nachdem sie bei einer Privatperson oder an einer Waffenbörse gekauft wurden. Das Mitführen der Waffe muss zudem in einem vernünftigen zeitlichen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen: Nach Art. 31 WV (Waffenverordnung, SR 514.541) darf eine Waffe nur solange bewilligungsfrei mitgeführt werden, als es für die Tätigkeit, die dazu berechtigt, angemessen erscheint.

 

Bei der Polizeikontrolle befand sich die ungeladene Kalaschnikow im Auto des Beschuldigten. Munition hatte dieser keine dabei. Er hat glaubhaft dargetan, dass er die Waffe ursprünglich für einen besonderen Zweck bei sich hatte: Er war mit ihr am Nachmittag vor der Polizeikontrolle bei einem Sammler gewesen, der sich für die Waffe interessiert hatte. Dass der Beschuldigte schon früher von A. Waffen gekauft hatte, belegte er mit zwei Kaufquittungen aus den Jahren 1995 und 1996. Die Aussagen des Beschuldigten sind daher nicht zu widerlegen. Der genannte Zweck gehört fraglos zu den Tätigkeiten, die Art. 28 WG beispielhaft aufzählt. Die Fahrt zum erwähnten Waffensammler und zurück nach Hause, die der Beschuldigte mit seiner Kalaschnikow unternahm, fällt demzufolge nicht unter den Begriff des Waffentragens nach Art. 27 WG. Der Beschuldigte hat damit den Tatbestand von Art. 33 Abs. 1 lit. a WG nicht erfüllt, soweit es sich um die Fahrt zum Waffensammler und zurück handelt.

 

Wie der Verteidiger in seiner Eingabe ausführt, beabsichtigte der Beschuldigte nach seiner Rückkehr, die Waffe erst dann in die Wohnung zu holen, wenn die Kinder zu Bett gegangen waren. Vor der Wegfahrt am Abend habe er aber vergessen, die Waffe aus dem Auto zu entfernen und im Tresor einzuschliessen. Der Beschuldigte fuhr sodann zum Dartspiel nach Y. und parkierte beim dortigen Klublokal. Die Kalaschnikow befand sich da immer noch im Auto, wie auch später, als der Beschuldigte von der Polizei kontrolliert wurde. Seine Behauptung, er habe die Waffe im Auto vergessen, ist an sich glaubwürdig. Das Gegenteil kann ihm nicht nachgewiesen werden, ebensowenig, dass er sich beim Einsteigen oder während der Fahrt wieder an die Waffe erinnerte. Dies muss umso mehr gelten, als die Waffe nach den Ausführungen in der Polizeianzeige auf dem Fahrzeugboden lag, nämlich „zwischen Vorder- und Hintersitz“; hätte der Beschuldigte sie bewusst verstecken wollen, so hätte er sie wohl im Kofferraum transportiert. Der objektive Tatbestand war demnach erfüllt, da es kein freies Mitführen darstellt, wenn man eine Waffe mit in den Ausgang nimmt (Wüst, a.a.O., S. 155), doch fehlte es am Vorsatz. Dem Beschuldigten muss hingegen vorgeworfen werden, er habe unvorsichtig gehandelt, als er die Waffe nach der Rückkehr von A. einfach im Auto liess. Zu leicht kann es in einer solchen Situation geschehen, dass die Waffe vergessen wird. Bei einem derart gefährlichen Gegenstand wie einer Schusswaffe muss aber der Besitzer den Überblick darüber behalten, wo sich diese gerade befindet. Selbst wenn man es wegen der Kinder als sinnvoll ansieht, die Waffe erst später aus dem Auto zu nehmen, wäre es dem Beschuldigten problemlos möglich gewesen, sein Versehen zu vermeiden. Demzufolge ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte unbewusst fahrlässig gehandelt hat.

 

Obergericht Strafkammer, Urteil vom 24. Juli 2002 (STAPP.2001.6)