SOG 1987 Nr. 5
Art. 45 SchKG. Die einer anerkannten Krankenkasse geschuldeten Beiträge und Kostenanteile stellen öffentlichrechtliche Leistungen dar; die Betreibung für solche Forderungen ist auch gegen den der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner auf dem Wege der Pfändung fortzusetzen.
Frau I. ist als Inhaberin einer Einzelfirma im Handelsregister eingetragen. Sie schuldete einer anerkannten Krankenkasse Beiträge und Kostenanteile. Auf das Ersuchen der Krankenkasse, die gegen Frau I. eingeleitete Betreibung fortzusetzen, erliess das Betreibungsamt eine Konkursandrohung. Die Krankenkasse stellte in der Folge das Konkursbegehren. Der Gerichtspräsident trat auf dieses Begehren jedoch nicht ein. Er begründete dies unter anderem damit, die Betreibung müsse, da es sich um die Forderung einer öffentlichen Kasse handle, auf dem Wege der Pfändung fortgesetzt werden. Die Krankenkasse rekurrierte gegen den Entscheid des Gerichtspräsidenten. Die Zivilkammer des Obergerichts erwog, der Konkursrichter habe zwar vorfrageweise und von Amtes wegen zu prüfen, ob die Konkursandrohung nichtig sei, dürfte aber keinesfalls die Betreibung von sich aus nichtig erklären, weil dies einen unzulässigen Eingriff in die Kompetenzen der Aufsichtsbehörde darstellen würde. Art. 173 Abs. 2 SchKG, der den Konkursrichter anweise, das Erkenntnis auszusetzen und den Fall der Aufsichtsbehörde zu überweisen, wenn er glaube, der Schuldner unterliege nicht der Konkursbetreibung, sei analog anzuwenden, wenn der Konkursrichter der Meinung sei, die in Betreibung gesetzte Forderung könne auch gegen den an sich der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner nur auf dem Wege der Pfändung vollstreckt werden. Die Zivilkammer des Obergerichts hiess deshalb den Rekurs gut und überwies die Akten an die Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs zum Entscheid der Frage, ob die Konkursandrohung nichtig sei. Die Aufsichtsbehörde beurteilte diese Frage folgendermassen:
2. Die Schuldnerin ist als Inhaberin einer Einzelfirma im Handelsregister eingetragen. Sie unterliegt deshalb der Betreibung auf Konkurs (Art. 39 SchKG).Art. 43 SchKG schreibt vor, dass die Betreibung für Steuern, Abgaben, Gebühren. Sporteln. Bussen und andere im öffentlichen Recht begründete Leistungen an öffentliche Kassen oder an Beamte auch gegen die der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner auf dem Wege der Pfändung oder der Pfandverwertung erfolgt. Betreibungshandlungen, die gegen Art. 43 SchKG verstossen, sind nichtig (Jaeger, Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, 3. Aufl., Art. 43 N 6 und Art. 38 N 11); so auch die Konkursandrohung, wenn ein der Konkursbetreibung unterliegender Schuldner für öffentlich-rechtliche Geldforderungen auf Konkurs statt auf Pfändung betrieben wird (BGE 94 III 68).
Die Krankenkasse ist keine öffentliche Kasse im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Bst. b des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KUVG).Sie ist jedoch eine anerkannte Krankenkasse im Sinne von Art. 3 KUVG. Die Anerkennung ist verwaltungsrechtlich gesehen eine Polizeibewilligung und bewirkt, dass die Kasse dem KUVG unterstellt wird (Maurer, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Band I, S. 212 f. und Band II, S. 284).Die Statuten und übrigen Bestimmungen der anerkannten Krankenkassen unterliegen der Genehmigung durch den Bundesrat (Art. 4 KUVG).Die Privatautonomie der anerkannten Krankenkassen ist durch zahlreiche öffentlich-rechtliche Bestimmungen eingeschränkt; die Kassen haben insbesondere die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu beachten, die sich aus dem Bundessozialversicherungsrecht, dem allgemeinen Verwaltungsrecht und der Bundesverfassung ergeben (BGE 108 V 258, 106 V 180 f.; Maurer, I, S. 149).
Durch die Revision des KUVG vom 13. März 1964 wurden die anerkannten Krankenkassen ermächtigt und verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen Verfügungen zu erlassen, die formell rechtskräftig werden können (Art. 30 KUVG).Zugleich wurde der Verwaltungsrichter anstelle des Zivilrichters zur Entscheidung von Streitigkeiten der anerkannten Krankenkassen unter sich oder mit ihren Versicherten oder Dritten über Ansprüche, die aufgrund des KUVG, der eidgenössischen oder kantonalen Ausführungsvorschriften oder der eigenen Bestimmungen der Kasse erhoben werden, berufen (Art. 30bis Abs. 1 KUVG).Damit wurde den anerkannten Krankenkassen hoheitliche Gewalt eingeräumt (Maurer, I, S. 212); sie dürften die Stellung von Selbstverwaltungsträgern erlangt haben und zur sogenannten mittelbaren Staatsverwaltung zu erlangt haben und zur sogenannten mittelbaren Staatsverwaltung zu zählen sein (Maurer, I, S. 142 und 241; Hug, Privatversicherung und Sozialversicherung, in: SZS 1963 S. 188).Die soziale Krankenversicherung ist eine öffentliche Aufgabe, deren Durchführung den anerkannten Krankenkassen übertragen ist (BGE 110 V 186; Maurer, I, S. 213).Statuten, Reglemente und weitere Bestimmungen der anerkannten Krankenkassen stellen öffentliches Recht dar, soweit sie die Erbringung von Leistungen einerseits und deren Finanzierung durch Beiträge der Versicherten anderseits regeln (BGE 110 V 186; Maurer, I, S. 213 f.).In dieser Hinsicht ist es unerheblich, ob eine Krankenkasse privatrechtlich oder öffentlichrechtlich organisiert ist (BGE 110 V 186); sie muss in diesem Bereich hoheitlich handeln und Verfügungen gemäss Art. 30 KUVG erlassen (Maurer, I, S. 213 f.; BGE 107 V 41, 105 V 296). Privatrecht bleiben vor allem jene Bestimmungen der Statuten und Reglemente, welche die Errichtung, Organisation und Auflösung der Kasse betreffen, wobei auch in dieser Hinsicht verschiedene Regeln des KUVG und der zu ihm erlassenen Verordnungen zu beachten sind (Maurer, I, S. 214). Der Beitritt zu einer anerkannten Krankenkasse ist kein privatrechtliches Rechtsgeschäft, sondern ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt: Die Kasse entscheidet über die Aufnahme von Antragstellern durch Verfügung (Maurer, I, S. 216 N 454, II, S. 293; Hug, a.a.O., S. 184) und zwar auch dann, wenn kein Versicherungsobligatorium besteht und mehr als die gesetzlichen Mindestleistungen versichert werden sollen (Maurer, I, S. 265; vgl. auch BGE 112 V 309 Erw. 2).
Die Beiträge der Versicherten an die anerkannten Krankenkassen zählen zu den öffentlichen Abgaben (Maurer, I, S. 376 ff.). Auch Selbstbehalte und Franchisen sind aus öffentlichem Recht geschuldete Geldleistungen, welche die Kassen den Versicherten von Gesetzes wegen auferlegen müssen (Art. 14bis Abs. 1 KUVG; Maurer, II, S. 380). Bestreitet der Versicherte die Pflicht, Prämien, Selbstbehalte oder Franchisen zu bezahlen, hat die Krankenkasse eine Verfügung zu erlassen, welche der Versicherte mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechten kann (vgl. etwa BGE 109 V 46 und 139, 105 V 86 ff.).
3. Es ergibt sich somit, dass die Krankenkasse der Schuldnerin als Organ der mittelbaren Staatsverwaltung mit hoheitlicher Gewalt gegenübersteht, und dass die in Betreibung gesetzten Forderungen (Krankenkassenprämien und Selbstbehalte) auf öffentlichem Recht beruhen. Die Betreibung gegen die Schuldnerin kann deshalb für diese Forderungen nur auf dem Wege der Pfändung oder Pfandverwertung fortgesetzt werden. Die vom Betreibungsamt erlassene Konkursandrohung ist demzufolge nichtig und von Amtes wegen aufzuheben.
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs, Urteil vom 2. Juni 1987