Verwaltungsgericht
Urteil vom 17. Mai 2021
Es wirken mit:
Oberrichter Stöckli
Oberrichter Müller
Gerichtsschreiber Bachmann
In Sachen
A.___
Beschwerdeführer
gegen
Bau- und Justizdepartement,
vertreten durch Motorfahrzeugkontrolle,
Beschwerdegegner
betreffend Anordnung von Auflagen
zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. Mit Gesuch vom 29. November 2020 ersuchte A.___ bei der Motorfahrzeugkontrolle (MFK) des Kantons Solothurn um die Erteilung des Lernfahrausweises der Kategorie A (Motorräder). Auf dem Fragenkatalog betreffend «Krankheiten, Behinderungen, Substanzkonsum» kreuzte er die Frage nach Erkrankungen des Nervensystems mit «Ja» an. Entsprechend den Anweisungen auf dem Formular legte er dem Gesuch einen Bericht seiner behandelnden Ärztin, PD Dr. med. B.___, bei. In ihrem Bericht vom 14. Oktober 2020 bestätigte die Ärztin, dass sich A.___ in regelmässiger neurologischer Kontrolle befinde, zuletzt im September 2020. Durch seine Grunderkrankung ergäben sich auf der Basis der letzten Untersuchungen bei stabiler Krankheitssituation keine Einschränkungen der Fahrtauglichkeit. Der Patient sei angehalten, bei etwaigen neuen Einschränkungen eigenverantwortlich auf das Führen von Motorfahrzeugen zu verzichten und sich umgehend in ärztliche Abklärung zu begeben.
2. Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs ordnete die MFK namens des Bau- und Justizdepartementes (BJD) mit Verfügung vom 22. Januar 2021 Auflagen zur Erteilung des Lernfahrausweises der Kategorie A an. A.___ habe sich regelmässiger Kontrolle und Behandlung nach Ermessen des behandelnden Arztes zu unterziehen und die ärztlichen Weisungen zu befolgen. Er habe jährlich, erstmals im September 2021, einen neurologischen Bericht einzureichen, welcher ihm die Fahreignung attestiere. Die Kosten der ärztlichen Untersuchungen und Berichte gingen zu seinen Lasten. A.___ wurden die Verfahrenskosten von CHF 125.50 auferlegt.
3. Mit Beschwerde vom 29. Januar 2021 wandte sich A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführer) an das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn mit den folgenden Anträgen:
1. Die mit Verfügung vom 22. Januar 2021 verhängten Massnahmen sind mit sofortiger Wirkung vollständig aufzuheben.
2. Die mit der Verfügung verhängten Gebühren sind zu erlassen.
3. Der Lernfahrausweis der Kategorie A ist zu erteilen.
4. Mit Stellungnahme vom 18. Februar 2021 schloss die MFK namens des BJD (nachfolgend: Vorinstanz) auf Abweisung der Beschwerde.
5. Mit Replik, Duplik und Triplik vom 10. März 2021, 30. März 2021 und 28. April 2021 hielten die Parteien an ihren Begehren fest. Der Beschwerdeführer reichte zusätzliche medizinische Berichte ein.
6. Auf die Ausführungen der Parteien wird, soweit für die Entscheidfindung wesentlich, im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
II.
1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). A.___ ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. Beschwerdegegenstand ist die Frage, ob die Vorinstanz im Verfahren um Erteilung des Lernfahrausweises der Kategorie A zu Recht die Auflage angeordnet hat, der Beschwerdeführer habe sich in regelmässige neurologische Kontrolle und Behandlung zu begeben sowie jährlich einen neurologischen Bericht zur Bestätigung seiner Fahreignung einzureichen.
3.1 Nach Art. 14 Abs. 1 Strassenverkehrsgesetz (SVG, SR 741.01) müssen Motorfahrzeugführer über Fahreignung und Fahrkompetenz verfügen. Über Fahreignung verfügt namentlich, wer die erforderliche körperliche und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen hat (Art. 14 Abs. 2 lit. b SVG). In Anhang 1 der Verkehrszulassungsverordnung (VZV, SR 741.51) werden die medizinischen Mindestanforderungen für einen Lernfahr- und Führerausweis definiert (Art. 7 Abs. 1 VZV). Für neurologische Erkrankungen definiert der Anhang 1 der VZV zur Erteilung eines Lernfahr- oder Führerausweises der Kategorie A folgende Mindestanforderungen: «Keine Erkrankungen oder Folgen von Verletzungen oder Operationen des zentralen oder peripheren Nervensystems mit bedeutsamen Auswirkungen auf die Fähigkeit zum sicheren Führen eines Motorfahrzeugs. Keine Bewusstseinsstörungen oder -verluste. Keine Gleichgewichtsstörungen.»
3.2 Aus besonderen Gründen können Führerausweise befristet, beschränkt oder mit Auflagen verbunden werden. Dies ist nicht nur bei der Ausweiserteilung, sondern auch in einem späteren Zeitpunkt möglich, um Schwächen hinsichtlich der Fahrtauglichkeit zu kompensieren. Solche Auflagen zur Fahrberechtigung sind somit im Rahmen der Verhältnismässigkeit stets zulässig, wenn sie der Verkehrssicherheit dienen und mit dem Wesen der Fahrerlaubnis im Einklang stehen. Erforderlich ist, dass sich die Fahreignung nur mit dieser Massnahme aufrechterhalten lässt. Zudem müssen die Auflagen erfüll- und kontrollierbar sein (BGE 131 II 248, E. 6.2, mit Nachweisen). Mögliche Auflagen aus medizinischen Gründen bilden etwa die Anordnung regelmässiger ärztlicher Kontrollen oder die Pflicht, Arztzeugnisse einzureichen (Jürg Bickel in: Niggli et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, Basel 2014, Art. 14 SVG N 28).
4. Der Beschwerdeführer leidet gemäss dem Schreiben von PD Dr. med. B.___ vom 13. April 2021 an einer Multiplen Sklerose mit schubförmig-remittierendem Verlauf. In ihrem Schreiben 14. Oktober 2020, welches der Beschwerdeführer zusammen mit dem Gesuch um Erteilung des Lernfahrausweises bei der MFK einreichte, hielt PD Dr. B.___ fest, dass sich durch die Grunderkrankung des Beschwerdeführers auf der Basis der letzten Untersuchungen bei stabiler Krankheitssituation keine Einschränkungen der Fahrtauglichkeit ergäben. Der Patient sei angehalten, bei etwaigen neuen Einschränkungen eigenverantwortlich auf das Führen von Motorfahrzeugen zu verzichten und sich umgehend in ärztliche Abklärung zu begeben. In ihrem Schreiben vom 2. März 2021 führte PD Dr. B.___ aus, dass der Erkrankungsverlauf des Beschwerdeführers bereits langjährig unter Therapie stabil sei. Die Grunderkrankung einer schubförmig-remittierenden Multiplen Sklerose bedinge keine perakut einsetzenden Ereignisse, welche während einer etwaigen Fahrt mit einem Motorfahrzeug in der Art einsetzten, dass die Fahrfähigkeit ad hoc nicht mehr gegeben wäre oder Unfälle provoziert würden, wie dies beispielsweise bei einer Epilepsie der Fall sei. Sofern sich eine neue Einschränkung ergebe, sei der Beschwerdeführer durchaus in der Lage, sein Fahrzeug abzustellen. Der im Schreiben vom 14. Oktober 2020 enthaltene, allgemeine Satz, sich bei Einschränkungen in ärztliche Behandlung zu begeben, sei Standard. Es treffe auf jede gesunde Person gleichermassen zu, die Eigenverantwortung für die Prüfung der Fahrtauglichkeit vor Fahrtantritt zu beachten. Für keine (gesunde wie erkrankte) Person sei ärztlicherseits eine Attestierung der Fahrtauglichkeit uneingeschränkt auf unabsehbare Zeit möglich.
5.1 Aus den Ausführungen der behandelnden Ärztin ergibt sich, dass die Fahreignung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Erkrankung, einer schubförmig-remittierend verlaufende Multiple Sklerose, aktuell nicht eingeschränkt ist. Die Vorinstanz bestreitet dies nicht. Sie rechtfertigt ihre Auflagen jedoch damit, dass die Fahreignung nicht uneingeschränkt auf unabsehbare Zeit garantiert sei. Es sei vielmehr damit zu rechnen, dass die Fahreignung in Zukunft eingeschränkt oder sogar aufgehoben sein könnte. Mit der vorgesehenen Auflage gehe es nur darum, dass der Beschwerdeführer in regelmässigen Abständen seine Fahreignung nachweise. Zu prüfen ist damit, ob die Auflagen mit Blick auf eine eventuelle zukünftige Einschränkung der Fahreignung zulässig sind.
5.2 Das Risiko von zukünftigen Einschränkungen der Fahreignung beim Beschwerdeführer ist gegenüber der Allgemeinheit infolge seiner Erkrankung erhöht. Der Verlauf einer Multiplen Sklerose ist schubweise, wobei anschliessend entweder eine fast völlige Erholung oder ein Zurückbleiben von mehr oder weniger ausgeprägten Symptomen resultiert. Durch die Summierung von Restsymptomen ergeben sich zunehmend Einschränkungen. Bei einer Weiterbelassung oder einer Wiederzulassung muss eine periodische Überwachung der Fahreignung sichergestellt werden (Rolf Seeger, Neurologische Erkrankungen und Fahreignung, in: Handbuch der verkehrsmedizinischen Begutachtung, Bern 2005, S. 74). Es besteht vorliegend kein Grund, von dieser Expertenmeinung abzuweichen. Zur Gewährleistung der gesundheitlichen Mindestanforderungen für den Lernfahr- und den Führerausweis nach Anhang 1 der VZV (E. 3.1 hiervor) drängt sich – wie von der Vorinstanz angeordnet – eine periodische (ärztliche) Überwachung der Fahreignung auf. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Krankheit sei bei ihm gestoppt, kann ihm nicht gefolgt werden. Entsprechendes ergibt sich aus den Berichten der behandelnden Ärztin nicht. Die Krankheitssituation besteht fort und sie wird nach wie vor behandelt, nämlich seit Oktober 2019 mit dem Medikament […] (Schreiben PD Dr. B.___ vom 13. April 2021). Zukünftige Schübe können, auch wenn sich die Krankheit momentan unter Kontrolle befindet, nicht ausgeschlossen werden.
5.3 Die verfügten Auflagen – regelmässige ärztliche Kontrollen und Behandlungen sowie jährliche neurologische Berichte zur Fahreignung – stellen einen geringen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers dar. Der Beschwerdeführer befindet sich bereits seit längerem in ärztlicher Behandlung, weshalb die Auflage zu ärztlicher Behandlung und Kontrolle für den Beschwerdeführer keine zusätzliche Belastung darstellen dürfte. Die jährlichen Arztberichte zur Fahreignung erlauben bei einer Verschlechterung der Symptome des Beschwerdeführers ein zeitnahes Eingreifen der MFK und dienen damit der Verkehrssicherheit (siehe E. 5.2 hiervor). Diesbezüglich ist zu bemerken, dass der Leitfaden Fahreignung, welcher von der Mitgliederversammlung der Vereinigung der Strassenverkehrsämter (asa) am 27. November 2020 im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) genehmigt wurde, festhält, dass neurologische Erkrankungen wie die Multiple Sklerose in der Regel eine Fahreignungsabklärung mit vorsorglichem Führerausweisentzug zur Folge hätten (S. 20). Die Auflage zur jährlichen Einreichung von neurologischen Berichten zur Fahreignung stellt demgegenüber klarerweise die mildere Massnahme dar. Wenn der Beschwerdeführer meint, Auflagen könnten erst nach einer verkehrsmedizinischen Untersuchung angeordnet werden, geht dies an der Sache vorbei. Es ist auch nicht erkennbar, inwiefern eine verkehrsmedizinische Untersuchung, welche im Übrigen für den Beschwerdeführer mit erheblichen Umtrieben verbunden wäre, am vorliegenden Resultat etwas ändern könnte. Die angeordneten Auflagen betreffen nicht die aktuelle, sondern die zukünftige Fahreignung. Eine verkehrsmedizinische Untersuchung könnte lediglich die aktuelle Fahreignung bestätigen. Dieser Umstand wird jedoch von keiner Seite bestritten.
5.4 Dass die Anordnung der Auflagen eine Diskriminierung (Art. 8 Abs. 2 Bundesverfassung [BV, SR 101]) darstellen soll, ist nicht ersichtlich. Die Auflagen dienen der Verkehrssicherheit. Sie zielen nicht darauf ab, den Beschwerdeführer infolge seiner Krankheit zu stigmatisieren, sondern finden ihre Rechtfertigung im Umstand, dass aufgrund der MS-Erkrankung des Beschwerdeführers das Risiko von zukünftigen Beeinträchtigungen der Fahreignung erhöht ist. Die angeordneten Auflagen stellen – gerade auch im Vergleich zu möglichen Alternativen wie der Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung und dem vorsorglichen Führerausweisentzug (E. 5.3 hiervor) – relativ milde Massnahmen dar. Sie erweisen sich als zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit geeignet wie auch erforderlich und sind dem Beschwerdeführer, welcher sich ohnehin bereits in neurologischer Behandlung befindet, zumutbar. Damit sind sie als verhältnismässig zu qualifizieren (Art. 5 Abs. 2 BV).
6. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 800.00 festzusetzen sind. Sie werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet.
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. A.___ hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 800.00 zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts
Die Präsidentin Der Gerichtsschreiber
Scherrer Reber Bachmann