Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
Entscheid: AL.2000.00770
AL.2000.00770

Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich
IV. Kammer
Sozialversicherungsrichter Engler, Vorsitzender

Sozialversicherungsrichter Zünd

Ersatzrichterin Arnold Gramigna

Gerichtssekretär Gräub


Urteil vom 13. Oktober 2003
in Sachen
S.___
 
Beschwerdeführer

vertreten durch Rechtsanwältin Christine A. Bertschinger
Freiestrasse 11, 8610 Uster

gegen

ALK SMUV Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen
Weltpoststrasse 20, Postfach 272, 3000 Bern 15
Beschwerdegegnerin


Sachverhalt:
1.
1.1     S.___, geboren 1938, wurde nach der Kündigung durch die Arbeitgeberin per Ende Februar 1998 arbeitslos (Urk. 8/3-4). Auf sein Gesuch vom März 1998 hin sprach ihm das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA; heute: Amt für Wirtschaft und Arbeit, AWA) während der Planungsphase des Projektes „Mitentwicklung und Verkauf von Strassenreinigungsmaschinen“ mit Wirkung ab 6. April 1998 60 besondere Taggelder zu (Verfügung vom 3. April 1998, Urk. 8/19). Am 21. Juli 1998 teilte er dem AWA die Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit im Rahmen der zwischenzeitlich gegründeten A.___ mit (Urk. 8/30).
1.2     Im Juli 1999 meldete sich S.___ mit der Angabe, ab sofort für ein vollzeitliches Anstellungsverhältnis zur Verfügung zu stehen, wieder zur Arbeitslosenvermittlung an (Urk. 8/34-36). Weiter beantragte er Arbeitslosenentschädigung (Urk. 8/33), welche ihm von der Arbeitslosenkasse SMUV ab 9. Juli 1999 ausgerichtet wurde (Urk. 8/38). Nachdem das RAV in der Folge am 20. April 2000 die Vermittlungsfähigkeit in Frage gestellt hatte (Urk. 8/61), verneinte das AWA mit Verfügung vom 31. Mai 2000 rückwirkend ab 9. Juli 1999 einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Urk. 8/66).
1.3     Gegen diese Verfügung erhob S.___ am 15. Juni 2000 Beschwerde (Prozess Nr. AL.2000.00578) und beantragte die Aufhebung der Verfügung sowie die Auszahlung der Taggelder (Urk. 13/1).
1.4     Während jenes Beschwerdeverfahrens (Prozess Nr. AL.2000.00578) betreffend Vermittlungsfähigkeit forderte die Arbeitslosenkasse SMUV mit Verfügung vom 30. Juni 2000 in der Zeit vom Juli 1999 bis März 2000 zu Unrecht bezogene Taggelder im Betrag von Fr. 46'748.20 zurück (Urk. 2).

2.
2.1     Gegen diese Rückforderungsverfügung erhob S.___ mit Eingabe vom 15. August 2000 Beschwerde (vorliegender Prozess Nr. AL.2000.00770) mit dem Antrag, die Verfügung vom 30. Juni 2000 sei aufzuheben. Zur Begründung führte er aus, die angefochtene Verfügung stütze sich auf die Verneinung der Vermittlungsfähigkeit, welche Verfügung nicht in Rechtskraft erwachsen, sondern im Gegenteil Gegenstand des Beschwerdeverfahrens AL.2000.00578 bilde. Für den Fall, dass das Gericht im genannten Verfahren den Entscheid des AWA bestätige, stellte S.___ den Antrag, die Rückerstattung sei ganz oder teilweise zu erlassen (Urk. 1 S. 3).
         In ihrer Vernehmlassung vom 30. August 2000 (Urk. 7) stellte die Arbeitslosenkasse SMUV den Antrag, das Verfahren sei bis zum Entscheid im Prozess Nr. AL.2000.00578 zu sistieren. Bei Bestätigung der anspruchsverneinenden Verfügung des AWA sei die vorliegende Beschwerde als Erlassgesuch zu betrachten und an die Kasse weiterzuleiten.
         Mit Gerichtsverfügung vom 4. September 2000 (Urk. 10) wurde das vorliegende Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Prozesses Nr. AL.2000.00578 betreffend Vermittlungsfähigkeit sistiert.
2.2     Mit Entscheid vom 20. Februar 2002 (Urk. 13/2) wies das hiesige Gericht die Beschwerde von S.___ gegen die Verfügung des AWA vom 31. Mai 2000 betreffend Verneinung der Vermittlungsfähigkeit ab 9. Juli 1999 ab. Das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 9. September 2003 (Urk. 12) ab.
         Damit ist der Sistierungsgrund weggefallen, weshalb das Verfahren fortgeführt und ein Entscheid gefällt werden kann.


Das Gericht zieht in Erwägung:
1.       Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) und die Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 11. September 2002 (ATSV) in Kraft getreten und haben in einzelnen Sozialversicherungsgesetzen und -verordnungen zu Revisionen geführt. In materiellrechtlicher Hinsicht gilt jedoch der allgemeine übergangsrechtliche Grundsatz, dass der Beurteilung jene Rechtsnormen zu Grunde zu legen sind, die gegolten haben, als sich der zu den materiellen Rechtsfolgen führende Sachverhalt verwirklicht hat (vgl. BGE 127 V 467 Erw. 1, 126 V 136 Erw. 4b, je mit Hinweisen). Da sich der hier zu beurteilende Sachverhalt vor dem 1. Januar 2003 verwirklicht hat, gelangen die materiellen Vorschriften des ATSG und der ATSV sowie die gestützt darauf erlassenen Gesetzes- und Verordnungsrevisionen im vorliegenden Fall noch nicht zur Anwendung. Bei den im Folgenden zitierten Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen handelt es sich deshalb - soweit nichts anderes vermerkt wird - um die Fassungen, wie sie bis Ende 2002 in Kraft gewesen sind.
2.
2.1     Nach Art. 8 Abs. 1 lit. f des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG) ist eine Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung die Vermittlungsfähigkeit.
2.2     Laut Art. 95 Abs. 1 AVIG muss die Kasse Leistungen der Versicherung, auf die die empfangende Person keinen Anspruch hatte, zurückfordern (BGE 126 V 399).
         Betrifft die Rückforderung eine formell rechtskräftige Verfügung, so kann die Verwaltung gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts eine solche Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen). Die für die Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen massgebenden Voraussetzungen gelten auch mit Bezug auf die Rückerstattung zu Unrecht bezogener Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung gemäss Art. 95 AVIG (BGE 122 V 138 Erw. 2c, 272 Erw. 2, 368 Erw. 3).

3.
3.1     Nachdem das EVG mit Urteil vom 9. September 2003 die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Verfügung des AWA vom 31. Mai 2000 betreffend Verneinung der Vermittlungsfähigkeit ab 9. Juli 1999 abgewiesen hat, steht fest, dass er ab diesem Datum die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nicht erfüllte und die ab diesem Datum ausgerichteten Taggelder zu Unrecht bezog.
         Die Taggeldausrichtung erweist sich damit als zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung ist angesichts der Höhe des Betrages von Fr. 46'748.20 von erheblicher Bedeutung, weshalb die von der Beschwerdegegnerin verfügte Rückforderung rechtens ist.
3.2     Der Beschwerdeführer anerkannte denn auch in seiner Beschwerde vom 15. August 2000 die Richtigkeit der Rückforderungsverfügung sinngemäss, indem er ausführen liess, für den Fall, dass seinen Beschwerden gegen die Verfügung betreffend Verneinung der Vermittlungsfähigkeit kein Erfolg beschieden sein sollte, stelle er das Gesuch, es sei ihm die Rückerstattung ganz oder teilweise zu erlassen (Urk. 1 S. 3).
Schliesslich bestritt er auch die Höhe der Rückforderung nicht, welche aufgrund der Akten mit Fr. 46'748.20 richtig berechnet wurde. Damit erweist sich die angefochtene Verfügung auch in masslicher Hinsicht als korrekt, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.
3.3     Antragsgemäss (Urk. 1 S. 3) hat die Beschwerdegegnerin die Beschwerde vom 15. August 2000 als Erlassgesuch zu behandeln.






Das Gericht beschliesst:


Die am 4. September 2000 angeordnete Sistierung des Verfahrens wird aufgehoben,

und erkennt:
1.         Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.         Die Beschwerdegegnerin wird angehalten, die Beschwerde vom 15. August 2000 als Erlassgesuch zu behandeln.
3.         Das Verfahren ist kostenlos.
4.         Zustellung gegen Empfangsschein an:
- Rechtsanwältin Christine A. Bertschinger
- ALK SMUV Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen
- Staatssekretariat für Wirtschaft seco
- AWA Amt für Wirtschaft und Arbeit
5.         Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht werden.
Die Beschwerdeschrift ist dem Eidgenössischen Versicherungsgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, in dreifacher Ausfertigung zuzustellen.
Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift der beschwerdeführenden Person oder ihres Vertreters zu enthalten; die Ausfertigung des angefochtenen Entscheides und der dazugehörige Briefumschlag sowie die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit die beschwerdeführende Person sie in Händen hat (Art. 132 in Verbindung mit Art. 106 und 108 OG).