Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
Entscheid: IV.1999.00463
IV.1999.00463

Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich
II. Kammer
Sozialversicherungsrichter Mosimann, Vorsitzender

Sozialversicherungsrichterin Pfiffner Rauber

Ersatzrichterin Romero-Käser

Gerichtssekretärin Fehr


Urteil vom 5. Mai 2003
in Sachen
F.___
 
Beschwerdeführer

vertreten durch Rechtsanwalt Massimo Aliotta
Obergasse 20, Postfach 1252, 8401 Winterthur

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich (SVA)
IV-Stelle
Röntgenstrasse 17, Postfach, 8087 Zürich
Beschwerdegegnerin


Sachverhalt:
1.
1.1     Mit Verfügung vom 23. Juli 1999 sprach die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, F.___ gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 100 % für die Zeit vom 1. April 1997 bis 30. November 1998 eine ganze Invalidenrente sowie Zusatzrenten für die Ehefrau und den Sohn zu (Urk. 2 = Urk. 8/4).
1.2 Dagegen erhob der Versicherte, vertreten durch Rechtsanwalt Massimo Aliotta, Winterthur, mit Eingabe vom 20. August 1999 Beschwerde und ersuchte um Gewährung einer ganzen Rente auch nach dem 1. Dezember 1998 (Urk. 1 S. 2).
         Unter Hinweis auf den Rentenentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 17. September 1998, dem die IV-Stelle vernehmlassungsweise bindende Wirkung zuerkannte und mit welchem dem Versicherten mit Wirkung ab 1. September 1998 auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 20 % eine Rente zugesprochen wurde (Urk. 8/21/8), ersuchte die Verwaltung am 23. September 1999 um Abweisung der Beschwerde (Urk. 7).
         F.___ hielt mit Replik vom 2. November 1999 an seinen Rechtsbegehren vollumfänglich fest (Urk. 11), während die IV-Stelle sich innert angesetzter Frist (Urk. 13-14) nicht mehr vernehmen liess. Darauf wurde am 28. Dezember 1999 der Schriftenwechsel geschlossen (Urk. 15).

2.
2.1     Gegen den auf Einsprache gegen die erwähnte Verfügung der SUVA vom 17. September 1998 ergangenen Einspracheentscheid vom 15. April 1999 erhob der Versicherte am 6. Juli 1999 Beschwerde (Prozess UV.1999.00175). Mit Urteil vom 12. Dezember 2000 wurde der angefochtene Einspracheentscheid insoweit aufgehoben, als er den Anspruch auf eine Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von mehr als 20 % verneinte; die Sache wurde an die SUVA       zurückgewiesen, damit diese nach erfolgter Abklärung der Arbeitsunfähigkeit in einer zumutbaren Tätigkeit über den Leistungsanspruch neu verfüge (vgl. Urk. 16).
         Im Hinblick auf die erforderliche Koordination der unfall- und invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren wurde das vorliegende Verfahren am 12. Dezember 2000 sistiert, bis die SUVA über die Rente rechtskräftig neu verfügt habe (Urk. 16).
2.2     Am 7. Februar 2003 reichte die SUVA die in Rechtskraft erwachsene (vgl. Urk. 23) Verfügung vom 15. Oktober 2002 ein, mit welcher sie F.___ nunmehr mit Wirkung ab 1. September 1998 auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 100 % eine Rente zugesprochen hatte (Urk. 24).
Am 13. Februar 2003 wurde das vorliegende Verfahren wieder aufgenommen und der IV-Stelle Frist zur Stellungnahme angesetzt (Urk. 25), welche unbenutzt verstrich.

3.       Mit dem nachzuzahlenden Rentenbetreffnis von Fr. 53'820.-- verrechnete die IV-Stelle unter anderem eine Rückforderung von Fr. 14'782.75 (Urk. 2 S. 3). Die Frage der Zulässigkeit dieser Verrechnung bildet Gegenstand des Verfahrens AL.99.00918 in Sachen F.___ gegen die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, welches ebenfalls mit Urteil heutigen Datums abgeschlossen wurde.


Das Gericht zieht in Erwägung:
1.       Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) und die Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 11. September 2002 (ATSV) in Kraft getreten und haben in einzelnen Sozialversicherungsgesetzen und -verordnungen zu Revisionen geführt. In materiellrechtlicher Hinsicht gilt jedoch der allgemeine übergangsrechtliche Grundsatz, dass der Beurteilung jene Rechtsnormen zu Grunde zu legen sind, die gegolten haben, als sich der zu den materiellen Rechtsfolgen führende Sachverhalt verwirklicht hat (vgl. BGE 127 V 467 Erw. 1, 126 V 136 Erw. 4b, je mit Hinweisen). Da sich der hier zu beurteilende Sachverhalt vor dem 1. Januar 2003 verwirklicht hat, gelangen die materiellen Vorschriften des ATSG und der ATSV sowie die gestützt darauf erlassenen Gesetzes- und Verordnungsrevisionen im vorliegenden Fall noch nicht zur Anwendung. Bei den im Folgenden zitierten Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen handelt es sich deshalb - soweit nichts anderes vermerkt wird - um die Fassungen, wie sie bis Ende 2002 in Kraft gewesen sind.

2.
2.1     Streitig ist der für den Rentenanspruch massgebende Invaliditätsgrad für die Zeit ab 1. Dezember 1998.
Es fragt sich daher zunächst, welche Bedeutung der Verfügung der SUVA vom 15. Oktober 2002 für die Invaliditätsbemessung in der Invalidenversicherung zukommt.
2.2     Wie die Rechtsprechung wiederholt betont hat, stimmt der Invaliditätsbegriff in der Invalidenversicherung mit demjenigen in der obligatorischen Unfallversicherung (und in der Militärversicherung) grundsätzlich überein, weshalb die Schätzung der Invalidität, auch wenn sie für jeden Versicherungszweig grundsätzlich selbständig vorzunehmen ist, mit Bezug auf den gleichen Gesundheitsschaden im Regelfall zum selben Ergebnis zu führen hat (BGE 126 V 291 Erw. 2a mit Hinweisen). Die Rechtsprechung hält hinsichtlich der Invaliditätsbemessung an der koordinierenden Funktion des einheitlichen Invaliditätsbegriffes in den verschiedenen Sozialversicherungszweigen fest (BGE 127 V 135 Erw. 4d). Nach der Rechtsprechung sind Abweichungen zwar nicht zum vornherein ausgeschlossen (BGE 119 V 471 Erw. 2b mit Hinweisen). Nicht als massgeblich zu betrachten ist die Invaliditätsschätzung des einen Sozialversicherungsträgers etwa dann, wenn ihr ein Rechtsfehler oder eine nicht vertretbare Ermessensausübung zu Grunde liegt. Ohne Auswirkungen hat auch der von einem Unfallversicherer angenommene Invaliditätsgrad zu bleiben, wenn dieser bloss auf einem Vergleich beruht (BGE 112 V 175 f. Erw. 2a; ZAK 1987 S. 371).
In dem in BGE 126 V 288 ff. publizierten Urteil in Sachen G. vom 26. Juli 2000 (vgl. auch AHI 2001 S. 82 ff.) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht sodann ausgeführt, an der hinsichtlich der Invaliditätsbemessung koordinierenden Funktion des einheitlichen Invaliditätsbegriffes in den verschiedenen Sozialversicherungszweigen sei festzuhalten. Die Einheitlichkeit des Invaliditätsbegriffes entbinde die verschiedenen Sozialversicherungsträger zwar nicht davon, die Invaliditätsbemessung in jedem einzelnen Fall selbständig durchzuführen. Keinesfalls dürften sie sich ohne weitere eigene Prüfung mit der blossen Übernahme des von einem anderen Versicherer festgestellten Invaliditätsgrades begnügen. Eine derart weitgehende Bindungswirkung wäre nicht zu rechtfertigen. Es gehe indessen auch nicht an, dass die Invalidität in den einzelnen Sozialversicherungszweigen völlig unabhängig von allenfalls schon getroffenen Entscheiden anderer Versicherer festgelegt werde. Zumindest rechtskräftig abgeschlossene Invaliditätsschätzungen dürften nicht einfach unbeachtet bleiben. Vielmehr müssten sie als Indiz für eine zuverlässige Beurteilung gewertet und als solches in den Entscheidungsprozess erst später verfügender Versicherungsträger mit einbezogen werden. Anlass für ein Abweichen von einer bereits rechtskräftigen Invaliditätsschätzung eines anderen Versicherers könnten hingegen, nebst den von der bisherigen Rechtsprechung anerkannten Gründen, äusserst knappe und ungenaue Abklärungen sowie kaum überzeugende oder nicht sachgerechte Schlussfolgerungen bieten (BGE 126 V 293 Erw. 2d; AHI 2001 S. 86 f. Erw. 2d; SVR 2001, IV Nr. 22 S. 68 f. Erw. 2d; vgl. auch ZBJV Band 136, 2000 S. 678 ff.).
2.3     Ferner ist Art. 129 Abs. 1 der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV) zu beachten, wonach eine Verfügung, welche die Leistungspflicht eines andern Versicherers berührt, auch diesem andern Versicherer zu eröffnen ist (Satz 1), und dieser die gleichen Rechtsmittel ergreifen kann, wie die versicherte Person (Satz 2). Macht er hievon keinen Gebrauch, hat er den Entscheid des andern Versicherers grundsätzlich gegen sich gelten zu lassen. Eine abweichende Festlegung der Invalidität kann in solchen Fällen nur noch ganz ausnahmsweise in Frage kommen. Anlass zu einem Abweichen können, nebst den genannten von der Rechtsprechung anerkannten Gründen, äusserst knappe und ungenaue Abklärungen sowie kaum überzeugende oder nicht sachgerechte Schlussfolgerungen bieten (BGE 126 V 293 Erw. 2d).

3.
3.1     Zwar lag im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 23. Juli 1999 noch keine rechtskräftige Beurteilung des Invaliditätsgrades durch den Unfallversicherer vor. Die Beschwerdegegnerin konnte sich daher nicht auf eine rechtskräftige Invaliditätsschätzung der SUVA stützen. Obwohl dem im Verfügungszeitpunkt noch nicht rechtskräftigen Rentenentscheid der SUVA vom 17. September 1998 (Urk. 8/21/8) nach der dargelegten Rechtsprechung keine Bindungswirkung zukam, stellte die Beschwerdegegnerin angesichts des auf reinen Unfallfolgen beruhenden Gesundheitsschadens vollumfänglich darauf ab und legte ihn der Rentenherabsetzung zu Grunde (vgl. Urk. 7).
3.2     Die nach der gerichtlichen Rückweisung zu weiteren Abklärungen durch die SUVA am 15. Oktober 2002 erlassene Rentenverfügung wurde auch der Beschwerdegegnerin eröffnet (Urk. 24 S. 3). Nachdem das vorliegende Verfahren ausdrücklich zur Koordination des unfall- und invalidenversicherungsrechtlichen Verfahrens bis zur neuen Verfügung über den Rentenanspruch durch die SUVA sistiert worden war (vgl. Urk. 16), hätte die Beschwerdegegnerin die nach Art. 129 Abs. 2 UVV ordnungsgemäss eröffnete Verfügung der SUVA anfechten müssen, insoweit sie diese nicht gegen sich gelten lassen wollte, was sie jedoch unterlassen hat.
Sie hat sich nun zumindest die Vermutung der Richtigkeit der bereits vorhandenen Invaliditätsbemessung entgegen halten zu lassen. Eine abweichende Festlegung der Invalidität kann in solchen Fällen nur noch ganz ausnahmsweise in Frage kommen, wobei gegebenenfalls an deren Begründung strenge Anforderungen zu stellen sind (BGE 126 V 294 Erw. 2d).
3.3     Es sind vorliegend keine der von der Rechtsprechung anerkannten Gründe (vgl. BGE 127 V 135 Erw. 4d, 126 V 292 Erw. 2b und 294 Erw. 2d in fine) für ein Abweichen von der Invaliditätseinschätzung der SUVA ersichtlich. Selbst die Beschwerdegegnerin machte auf Aufforderung zur Stellungnahme vom 13. Februar 2003 (Urk. 25) nicht geltend, dass die neue Rentenbemessung gegen sie nicht gelten solle. Der Verfügung der SUVA ist zu entnehmen, dass sie die gerichtlich angeordnete medizinische Begutachtung durchgeführt und gestützt darauf sowie auf die erwerblichen Abklärungen auf eine volle Erwerbsunfähigkeit geschlossen hat (Urk. 24 S. 1). Es kann daher auch nicht angenommen werden, äusserst knappe und ungenaue Abklärungen oder kaum überzeugende und nicht sachgerechte Schlossfolgerungen (vgl. BGE 126 V 294 Erw. 2d) würden ein Abweichen gebieten.
         Ergänzend festzuhalten ist, dass selbst die Beschwerdegegnerin den Invaliditätsgrad für die Zeit vom 1. April 1997 bis 30. November 1998 auf 100 % festgesetzt hatte (Urk. 2). Der Grund für die Rentenherabsetzung auf 1. Dezember 1998 war allein die von der SUVA ab 1. September 1998 angenommene Erwerbsunfähigkeit von lediglich 20 % (Urk. 8/21/8). Das bewog die Beschwerdegegnerin zum Schluss, aufgrund einer Verbesserung des Gesundheitszustandes sei der Beschwerdeführer ab 1. September 1998 in der Lage, ein rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen (Urk. 2).
Dem Feststellungsblatt zum Beschluss vom 27. April 1999 (Urk. 8/2) ist zu entnehmen, dass aus ärztlicher Sicht und namentlich von Dr. med. A.___, Orthopädische Chirurgie FMH, ___, stets eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % attestiert wurde (vgl. Bericht vom 9. Februar 1999, Urk. 8/9/1). Für die Annahme einer gesundheitlichen Verbesserung hatte die Beschwerdegegnerin demnach im Zeitpunkt des Verfügungserlasses nebst der erwähnten Verfügung der SUVA keine weiteren Anhaltspunkte. Aufgrund der neuen medizinischen Abklärungen durch die SUVA und den darauf gestützten neuen Rentenentscheid ist demnach zu schliessen, dass am 1. September 1998 keine Verbesserung des Gesundheitszustandes eingetreten und somit auch kein Revisionsgrund gegeben war.
3.4 Demnach ist in Gutheissung der Beschwerde festzustellen, dass der Beschwerdeführer auch ab 1. Dezember 1998 weiterhin Anspruch auf eine ganze Invalidenrente, zuzüglich Zusatzrenten für die Ehefrau und den Sohn, hat.
3.       Nach § 34 Abs. 1 des Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht haben die Parteien auf Antrag nach Massgabe ihres Obsiegens Anspruch auf den vom Gericht festzusetzenden Ersatz der Parteikosten. Dieser wird ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach dem Schwierigkeitsgrad des Prozesses bemessen und ist vorliegend auf Fr. 1'700.-- festzusetzen.


Das Gericht erkennt:
1.         In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, vom 23. Juli 1999 insoweit aufgehoben, als damit die ab 1. April 1997 zugesprochene ganze Invalidenrente bis 30. November 1998 befristet wird, und es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer auch ab 1. Dezember 1998 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente hat.
2.         Das Verfahren ist kostenlos.
3.         Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer eine Prozessentschädigung von Fr. 1'700.-- (inkl. Barauslagen und MWSt) zu bezahlen.
4. Zustellung gegen Empfangsschein an:
- Rechtsanwalt Massimo Aliotta
- Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle
- Bundesamt für Sozialversicherung
5.         Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht werden.
Die Beschwerdeschrift ist dem Eidgenössischen Versicherungsgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, in dreifacher Ausfertigung zuzustellen.
Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift der beschwerdeführenden Person oder ihres Vertreters zu enthalten; die Ausfertigung des angefochtenen Entscheides und der dazugehörige Briefumschlag sowie die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit die beschwerdeführende Person sie in Händen hat (Art. 132 in Verbindung mit Art. 106 und 108 OG).