Sozialversicherungsgericht

des Kantons Zürich

IV.2017.00583


III. Kammer

Sozialversicherungsrichter Gräub, Vorsitzender
Sozialversicherungsrichterin Fehr
Sozialversicherungsrichterin Grieder-Martens
Gerichtsschreiber Nef

Urteil vom 31. Januar 2019

in Sachen

X.___, geb. 2009

Beschwerdeführerin


gesetzlich vertreten durch die Eltern Y.___ und Z.___


gegen


Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle

Röntgenstrasse 17, Postfach, 8087 Zürich

Beschwerdegegnerin




Sachverhalt:

1.    X.___, geboren am 30. Dezember 2009, wurde unter Angabe von gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund einer seit Geburt bestehenden Fazialisparese von ihren Eltern am 27. März 2010 bei der Invalidenversicherung angemeldet (Urk. 6/1 Ziff. 5. 1 und Ziff. 5.2). Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, anerkannte das Geburtsgebrechen Ziffer 397 (der Verordnung über Geburtsgebrechen, GgV) und erteilte Kostengutsprache für medizinische Massnahmen bis 31. März 2015 mit Verlängerung bis 31. Dezember 2029 (Vollendung des 20. Altersjahrs; Mitteilung vom 17. Mai 2010 und Mitteilung vom 29. Oktober 2015 [Urk. 6/5 und Urk. 6/8]).

    Einen Bericht des A.___ vom 10. März 2016 (Urk. 6/11) über die Behandlung der Versicherten im Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen Ziffer 324 GgV nahm die IV-Stelle am 29. März 2016 (Urk. 6/13) als Zusatzgesuch für medizinische Massnahmen entgegen. Nach Eingang eines ärztlichen Berichts von PD Dr. med. B.___, Leitende Ärztin Hämatologie am A.___, vom 8. April 2016 (Urk. 6/14/5-6) anerkannte die IV-Stelle das Geburtsgebrechen Ziffer 324 GgV und erteilte Kostengutsprache für die Behandlung und ärztlich verordnete Behandlungsgeräte vom 23. Februar 2016 bis 31. Dezember 2029 (Vollendung des 20. Altersjahrs, Mitteilung vom 25. April 2016 [Urk. 6/15]).

    In der Folge gingen weitere Berichte des A.___ bei der IV-Stelle ein (Berichte vom 26. Februar und 30. August 2016 [Urk. 6/21]). Die IV-Stelle legte diese ihrem regionalen ärztlichen Dienst (RAD) Prof. Dr. med. C.___, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, zur Stellungnahme vor (Urk. 6/23, Stellungnahme vom 18. Oktober 2016). Am 16. November 2016 (Urk. 6/24) stellte sie die wiedererwägungsweise Aufhebung der Mitteilung vom 25. April 2016 in Aussicht. Dagegen erhob die Krankenversicherung Helsana am 21. November 2016 (Urk. 6/25) vorsorglich und am 30. Dezember 2016 (Urk. 6/33) begründet Einwand. Ebenso erhob die Versicherte durch Mitunterzeichnen des Schreibens von PD Dr. B.___ vom 22. November 2016 (Urk. 6/28) Einwand. Nach erneuter Vorlage an RAD Prof. Dr. C.___ (vgl. Stellungnahme vom 23. Februar 2017 [Urk. 6/36/3]) verfügte die IV-Stelle am 28. April 2017 in angekündigtem Sinne (Urk. 2).


2.    Dagegen erhoben die Eltern der Versicherten mit Eingabe des von PD Dr. B.___ mitunterzeichneten Schreibens vom 15. Mai 2017 (Urk. 1) Beschwerde und stellten sinngemäss den Antrag auf Aufhebung der Verfügung vom 28. April 2017 und Anerkennung des Geburtsgebrechens Ziffer 324. Die IV-Stelle beantragte mit Beschwerdeantwort vom 29. Juni 2017 (Urk. 5) die Abweisung der Beschwerde, wovon den Eltern der Versicherten am 30. Juni 2017 Kenntnis gegeben wurde (Urk. 7).



Das Gericht zieht in Erwägung:

1.    

1.1    

1.1.1    Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen (Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts, ATSG) notwendigen medizinischen Massnahmen (Art. 13 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, IVG). Der Bundesrat bezeichnet die Gebrechen, für welche diese Massnahmen gewährt werden. Er kann die Leistung ausschliessen, wenn das Gebrechen von geringfügiger Bedeutung ist (Art. 13 Abs. 2 IVG).

    Als Geburtsgebrechen gelten diejenigen Krankheiten, die bei vollendeter Geburt bestehen (Art. 3 Abs. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GgV). Die blosse Veranlagung zu einem Leiden gilt nicht als Geburtsgebrechen. Der Zeitpunkt, in dem ein Geburtsgebrechen als solches erkannt wird, ist unerheblich (Art. 1 Abs. 1 GgV). Als medizinische Massnahmen, die für die Behandlung eines Geburtsgebrechens notwendig sind, gelten sämtliche Vorkehren, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind und den therapeutischen Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2 Abs. 3 GgV).

1.1.2    Bei den medizinischen Eingliederungsmassnahmen (Art. 12 und 13 IVG) gilt nach der Rechtsprechung die Invalidität in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem das festgestellte Gebrechen eine medizinische Behandlung oder ständige Kontrolle objektiv erstmals notwendig macht, was dann zutrifft, wenn die Behandlungs- oder Kontrollbedürftigkeit beginnt und keine Gegenindikation besteht. Diese Grundsätze gelten auch zur Bestimmung des Invaliditätseintritts bei Versicherten bis zur Vollendung des 20. Altersjahres, die an einem Geburtsgebrechen leiden (BGE 111 V 117 E. 1d mit Hinweisen).

1.1.3    Für die Annahme einer Leistungspflicht der Invalidenversicherung aufgrund von Art. 13 IVG genügt nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts in beweisrechtlicher Hinsicht, dass es ein Facharzt oder eine Fachärztin zumindest für wahrscheinlich hält, es liege ein im Anhang der GgV enthaltenes Gebrechen vor (BGE 100 V 104 E. 2 in fine).

1.2    Die IV-Stelle kann auf formell rechtskräftige Verfügungen, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Überprüfung gebildet haben, zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (Art. 53 Abs. 2 und 3 ATSG; BGE 141 V 405 E. 5.2, 138 V 147 E. 2.1; Urteil des Bundesgerichts 9C_819/2017 vom 13. Februar 2017 E. 2.2). Die Wiedererwägung im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG dient der Korrektur einer anfänglich unrichtigen Rechtsanwendung einschliesslich unrichtiger Feststellung im Sinne der Würdigung des Sachverhaltes (statt vieler: Urteil des Bundesgerichts 8C_121/2017 vom 5. Juli 2018 E. 8.2).

    Dabei braucht es sich nicht um eine formelle Verfügung (Art. 49 ATSG) zu handeln. Eröffnet die IV-Stelle etwa gestützt auf Art. 74ter lit. a der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) die Leistungszusprache im formlosen Verfahren auf dem Wege der blossen Mitteilung (Art. 51 ATSG), erwächst diese nach Ablauf einer bestimmten Frist ebenso in Rechtskraft, wobei für die Verwaltung eine Zeitspanne gilt, die der Rechtsmittelfrist bei formellen Verfügungen entspricht (vgl. Kieser ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N 8 zu Art. 51, mit Hinweis auf BGE 129 V 110).

    Die Wiedererwägung nach Art. 53 Abs. 2 ATSG setzt voraus, dass kein vernünftiger Zweifel an der Unrichtigkeit der Verfügung möglich, folglich nur dieser einzige Schluss denkbar ist. In diesem Sinne qualifiziert unrichtig ist eine Verfügung, wenn eine Leistung aufgrund falscher Rechtsregeln beziehungsweise ohne oder in unrichtiger Anwendung der massgeblichen Bestimmungen zugesprochen wurde (BGE 141 V 405 E. 5.2, 140 V 77 E. 3.1 mit Hinweis). Gleiches gilt bei einer klaren Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, insbesondere wenn die notwendigen fachärztlichen Abklärungen überhaupt nicht oder nicht mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt wurden (vgl. Art. 43 ATSG; BGE 141 V 405 E. 5.2; Urteil des Bundesgerichts 8C_717/2017 vom 2. August 2018 E. 3.2 mit Hinweisen). Soweit ermessensgeprägte Teile der Anspruchsprüfung vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage einschliesslich der Rechtspraxis im Zeitpunkt der rechtskräftigen Leistungszusprechung in vertretbarer Weise beurteilt worden sind, scheidet die Annahme zweifelloser Unrichtigkeit aus (BGE 141 V 405 E. 5.2 mit Hinweisen; vgl. statt vieler: Urteil des Bundesgerichts 9C_766/2016 vom 3. April 2017 E. 1.1.2 mit Hinweisen).

1.3    Die RAD stehen den IV-Stellen zur Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs zur Verfügung. Sie sind in ihrem medizinischen Sachentscheid im Einzelfall unabhängig (Art. 59 Abs. 2bis IVG). Nach Art. 49 IVV beurteilen die RAD die medizinischen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs. Die geeigneten Prüfmethoden können sie im Rahmen ihrer medizinischen Fachkompetenz und der allgemeinen fachlichen Weisungen des Bundesamtes frei wählen (Abs. 1). Die RAD können Versicherte bei Bedarf selber ärztlich untersuchen. Sie halten die Untersuchungsergebnisse schriftlich fest (Abs. 2; Urteil des Bundesgerichts 9C_406/2014 vom 31. Oktober 2014 E. 3.5 mit Hinweis auf BGE 135 V 254 E. 3.5).

    Die Funktion interner RAD-Berichte besteht darin, aus medizinischer Sicht – gewissermassen als Hilfestellung für die medizinischen Laien in Verwaltung und Gerichten, welche in der Folge über den Leistungsanspruch zu entscheiden haben – den medizinischen Sachverhalt zusammenzufassen und zu würdigen, wozu namentlich auch gehört, bei widersprüchlichen medizinischen Akten eine Wertung vorzunehmen und zu beurteilen, ob auf die eine oder die andere Ansicht abzustellen oder aber eine zusätzliche Untersuchung vorzunehmen sei. Sie würdigen die vorhandenen Befunde aus medizinischer Sicht (Urteil des Bundesgerichts 9C_406/2014 vom 31. Oktober 2014 E. 3.5 mit Hinweisen).

    Der Beweiswert von RAD-Berichten nach Art. 49 Abs. 2 IVV ist mit jenem externer medizinischer Sachverständigengutachten vergleichbar, sofern sie den praxisgemässen Anforderungen an ein ärztliches Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1) genügen und die Arztperson über die notwendigen fachlichen Qualifikationen verfügt (BGE 137 V 210 E. 1.2.1). Allerdings kann auf das Ergebnis versicherungsinterner ärztlicher Abklärungen – zu denen die RAD-Berichte gehören – nicht abgestellt werden, wenn auch nur geringe Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit bestehen (Urteil des Bundesgerichts 8C_197/2014 vom 3. Oktober 2014 E. 4.2 mit Hinweisen auf BGE 139 V 225 E. 5.2; 135 V 465 E. 4.4 und E. 4.7).

    

2.    

2.1    Die Beschwerdegegnerin begründete die angefochtene Verfügung (Urk. 2) damit, dass das A.___ mit Schreiben vom 30. August 2016 darüber informiert habe, dass sich der schwere FXIII-Mangel normalisiert habe. Es sei keine Mutation gefunden worden, die mit angeborenem Faktor-XIII-Mangel assoziiert sei. Die Faktor-XIII-Aktivität habe sich nach kurzzeitiger Substitution normalisiert und sei nicht wieder abgefallen. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sei damit von einem vorübergehend erworbenen Faktor-XIII-Mangel auszugehen; da für einen angeborenen Faktor-XIII-Mangel keine Anhaltspunkte bestünden, bestehe keine Grundlage für Leistungsansprüche nach dem Geburtsgebrechen Ziffer 324.

2.2    Die Eltern der Versicherten stellten sich auf den Standpunkt (Urk. 1), nachdem sich diese im Februar 2016 in der Notfallstation des A.___ mit Fieber, Erbrechen und Bauchschmerzen vorgestellt habe, sei der Verdacht auf eine akute Blinddarmentzündung gestellt worden und die stationäre Aufnahme zur laparoskopischen Appendektomie erfolgt. Am dritten postoperativen Tag seien progrediente Hämatome und eine Sickerblutung im Operationsbereich aufgetreten und die Gerinnungsabklärung habe einen schweren FXIII-Mangel gezeigt. Unter Substitution von FXIII habe die Blutung sistiert werden können und nach mehreren Substitutionen habe eine Stabilisierung und schlussendlich im Mai 2016 eine spontane Normalisierung der FXIII-Konzentrationen beobachtet werden können.

    Die postoperative Blutung und der FXIII-Mangel seien im Rahmen des Noonan- Syndroms und somit als angeborene Koagulopathie zu interpretieren. Ein durch eine der bekannten Mutationen im FXIII-Gen verursachter FXIII-Mangel könne nicht mit dem FXIII-Mangel im Rahmen des Noonan-Syndroms verglichen werden. Bei letzterem seien ganz andere angeborene pathophysiologische Mechanismen im Spiel. Es sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich ein behandlungsbedürftiger FXIII-Mangel respektive eine Blutungsneigung auch in zukünftigen Risikosituationen (chirurgische/zahnärztliche Eingriffe) entwickeln werde.


3.    

3.1    Im Bericht des A.___ vom 26. Februar 2016 (Urk. 6/21/2-4) über den stationären Aufenthalt vom 23. bis 26. Februar 2016 hielten die Ärzte fest, die Versicherte sei am 21. Februar 2016 aus dem stationären Aufenthalt nach laparoskopischer Appendektomie und Sickerblutung aus dem Operationsgebiet bei neuer Diagnose eines Faktor 13-Mangels entlassen worden. Zuhause sei es ihr zunächst gut gegangen, sie beklage nun aber wieder stärkere Bauchschmerzen (S. 1). Bei Eintritt seien ein stark erniedrigter Faktor 13 und ein erneutes Hämatom im rechten Unterbauch festgestellt worden. Nach der Gabe von Fibrogammin habe sich jeweils ein guter Anstieg des Faktor 13 gezeigt, der im Verlauf aber jeweils wieder schnell gesunken sei, so dass mehrere Fibrogammingaben notwendig gewesen seien.

    Klinisch hätten sich bei der Versicherten ein Kleinwuchs und einige Dysmorphiezeichen gezeigt, die auf ein Noonan-Syndrom hinweisen könnten. Daher sei ein genetisches Konsil erfolgt und klinisch stehe auch für die Genetiker die Verdachtsdiagnose einer Rasopathie im Vordergrund. Echokardiographisch sei ein Herzfehler schon vor einigen Jahren ausgeschlossen worden und eine erneute Echokardiographie sei aktuell nicht notwendig. Im Verlauf habe die Blutung sistiert werden können und intraabdominal sei der Faktor 13 stabil gewesen, so dass die Versicherte in die ambulante Weiterbetreuung durch die Hämatologen habe entlassen werden können (S. 2 f.).

3.2    Im Formularbericht zu Händen der Beschwerdegegnerin vom 8. April 2016 (Urk. 6/14/5-6) hielt PD Dr. B.___ als Diagnosen einen schweren FXIII-Mangel und ein unklares Dysmorphie-Syndrom fest (Ziff. 1.1). Es liege ein Geburtsgebrechen nach Ziffer 324 vor und die Versicherte benötige monatliche prophylaktische FXIII-Substitutionen und zusätzliche FXIII-Substitutionen bei Blutungen oder chirurgischen/zahnärztlichen Eingriffen und eventuell physiotherapeutische Untersuchungen respektive Behandlungen bei Gelenksblutungen (Ziff. 1.3, Ziff. 1.7). Bekanntlich sei das Risiko einer Hirnblutung bei FXIII-Mangel deutlich erhöht, weshalb eine monatliche prophylaktische FXIII-Substitution mittels Fibrogammin ab sofort indiziert sei (Ziff. 2.5).

3.3    Im Bericht des D.___ vom 29. August 2016 (Urk. 6/9/2-4) hielten die Ärzte folgende Diagnosen fest (S. 1):

- Noonan-Syndrom mit

- Nachweis der Mutation c.188A>G im PTPN11-Gen im heterozygoten Zustand

-Kleinwuchs

-Faktor-XllI-Mangel

-morphologische Auffälligkeiten

- Kongenitale Fazialisparese rechts

Bei Verdacht auf ein Noonan-Syndrom sei eine molekulargenetische Analyse der mit Noonan-Syndrom assoziierten Gene durchgeführt worden. Hierbei habe im PTPN11-Gen eine heterozygote Mutation gefunden werden können, die bereits als krankheitsverursachende Mutation bei Patienten mit Noonan-Syndrom/Rasopathien beschrieben worden sei. Die klinische Diagnose einer Erkrankung aus dem Formenkreis der Rasopathien habe dadurch molekulargenetisch bestätigt werden können (S. 1 f.).

Das Noonan-Syndrom und verwandte Krankheitsbilder seien durch verschiedene Defekte in verschiedenen Genen des sogenannten Ras-MAPK-Signalweges verursacht und würden somit auch als Rasopathien bezeichnet. Etwa die Hälfte der Patienten mit Noonan-Syndrom wiesen, wie die Versicherte, eine Mutation im PTPN11-Gen auf. Es bestehe eine gewisse Genotyp-Phänotyp-Korrelation zum jeweiligen Gen, aber auch zu bestimmten Mutationen innerhalb eines Gens. Dies bedeute, dass je nachdem welches Gen wie betroffen sei, das zu erwartende Symptomspektrum unterschiedlich sei. So fänden sich bei Mutationen im PTPN11-Gen etwa folgende Symptomfrequenzen: milder Kleinwuchs bei 74 %, Herzfehler bei 5080 %, globale Entwicklungsverzögerung oder Intelligenzminderung bei 29 %, meist milde Brustkorbanomalien bei 25 %, Innenohrschwerhörigkeit bei 21 %, Gerinnungsstörung (Blutungsneigung und vermehrtes Auftreten von blauen Flecken) bei 17 %, juvenile myelomonozytäre Leukämie bei 8 %. Neben den charakteristischen fazialen Auffälligkeiten wiesen Patienten mit einer PTPN11-Mutation häufiger eine relative Makrozephalie auf. Bei der Versicherten liege hingegen eine Mikrozephalie vor. Im Rahmen des Syndroms könne es weiterhin, wie auch bei der Versicherten, zu einer Gedeihstörung und einer muskulären Hypotonie kommen. Ferner träten eine Dysplasie des lymphatischen Gewebes, Augenanomalien und urogenitale Fehlbildungen auf (S. 2).

Im Verlauf sei folgendes Prozedere zu empfehlen: Gehörtestung, entwicklungspädiatrische Standortbestimmung, zerebrale Bildgebung zum Ausschluss einer möglichen Moya-Moya Erkrankung, regelmässige ophthalmologische Kontrolluntersuchungen, regelmässige Wachstumskontrollen, nephrologische Evaluierung, kieferorthopädische/zahnärztliche Kontrollen, wobei bei anstehenden operativen Eingriffen, unter anderem bei grösseren zahnärztlichen Behandlungen, zur Abklärung der Gerinnungssituation und präventiver Massnahmen um eine Rücksprache mit PD Dr. B.___ gebeten werde; dermatologische Evaluierung bei Bedarf, erhöhte Wachsamkeit und ausführliche Abklärungen bei klinischem Verdacht auf Malignität (S. 2 f.).

3.4    Am 30. August 2016 (Urk. 6/16) berichtete PD Dr. B.___, in der Zwischenzeit habe sich der FXIII normalisiert und molekulargenetisch sei die Verdachtsdiagnose Noonan-Syndrom bestätigt worden. Da Gerinnungsstörungen sehr häufig bei Patienten mit Noonan-Syndrom aufträten und sich, wie bei der Versicherten im Rahmen von chirurgischen Eingriffen mit Blutungen manifestieren könnten, sei diese trotz Normalisierung des FXIII weiterhin für das GG 324 angemeldet zu lassen. Engmaschige Kontrollen seien vor allem vor und nach chirurgischen Eingriffen bei der Beschwerdeführerin in Zukunft unerlässlich. Die Therapie mit Faktorsubstitution sei nur dann bei Bedarf und nicht mehr prophylaktisch vorgesehen.

3.5    Im Bericht des A.___ vom 5. Oktober 2016 (Urk. 6/9/5-6) über die am gleichen Tag durchgeführte Magnetresonanztomografie des Kopfs beschrieb die zuständige pädiatrische Neuroradiologin, der rechte Nervus facialis sei nur hauchdünn erkennbar im Sinne einer ausgeprägten, in erster Linie kongenitalen Hypoplasie. Es bestünden kein Nachweis für akute Veränderungen und kein Anhalt für eine Moya-Moya Erkrankung.

3.6    Der RAD Prof. Dr. C.___ hielt in seiner Aktenbeurteilung vom 23. Februar 2017 (Urk. 6/36 S. 3) fest, bei der Versicherten sei im Zusammenhang mit dem Noonan-Syndrom eine Mutation im PTPN11-Gen nachgewiesen worden. Dieses Gen sei auf dem langen Arm des Chromosoms Nr. 12 lokalisiert. Die bei angeborenem Faktor-XIII-Mangel üblichen Mutationen seien dagegen auf dem kurzen Arm des Chromosoms Nr. 6 lokalisiert. Im Arztbericht vom 30. August 2016 sei angegeben worden, dass der Mischversuch für einen Faktor-XIII-Mangel gesprochen habe sowie: «Anschliessend haben wir eine molekulargenetische Untersuchung durchführen lassen. Diese konnte weder eine Punktmutation noch kleine Deletionen oder Insertionen zeigen. Die Bestimmung des FXIII bei beiden Eltern hat normale Resultate gezeigt.» Im Zusammenhang mit PTPN11-Mutationen seien bisher keine Fallberichte über Faktor-XIII-Mangel publiziert worden und bisher seien in der Fachliteratur keine Fallberichte oder Fallserien von angeborenem Faktor-XIII-Mangel bei Patienten mit Noonan-Syndrom dokumentiert worden. Bei der Versicherten sei keine Mutation gefunden worden, die mit angeborenem Faktor-XIII-Mangel assoziiert sei. Nach kurzzeitiger Substitution habe sich die Faktor-XIII-Aktivität normalisiert und sei nicht wieder abgefallen. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sei damit von einem passageren erworbenen Faktor-XIII-Mangel auszugehen. Da für einen angeborenen Faktor-XIII-Mangel keine Anhaltspunkte bestünden, bestehe auch keine Grundlage für Leistungsansprüche nach Ziffer 324 GgV.


4.    

4.1    Die Beschwerdegegnerin anerkannte in ihrer Mitteilung vom 25. April 2016 (Urk. 6/15) das Geburtsgebrechen nach Ziffer 324 GgV: Angeborene Koagulopathien und Thrombozytopathien (Hämophilien und andere Defekte von Gerinnungsfaktoren). Die entsprechende Mitteilung blieb unangefochten und erwuchs somit in Rechtskraft. Ein wiedererwägungsweises Zurückkommen auf den rechtskräftigen Verwaltungsentscheid setzte damit gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG die zweifellose Unrichtigkeit voraus, in dem Sinne, dass kein vernünftiger Zweifel an der Unrichtigkeit des Entscheids möglich ist (vgl. E. 1.2 hiervor).

    Inwiefern eine solche qualifizierte Unrichtigkeit vorliegt, hat die Beschwerdegegnerin in ihrem Entscheid vom 28. April 2017 (Urk. 2) nicht dargetan.

    Im Zeitpunkt der Mitteilung vom 25. April 2016 (Urk. 6/15) lagen fachärztliche Berichte vor, welche das Vorliegen eines Geburtsgebrechens nach Ziffer 324 bejahten (vorstehend E. 3.1-3.2). Angesichts dessen, dass es aus beweisrechtlicher Sicht für die Annahme einer Leistungspflicht der Invalidenversicherung bereits genügt, dass das Vorliegen eines Geburtsgebrechens aus fachärztlicher Sicht für wahrscheinlich gehalten wird (vorstehend E. 1.1.3), ist die zweifellose Unrichtigkeit der Mitteilung zu verneinen.

    Im Übrigen begnügte sich die Beschwerdegegnerin unter dem Titel «Wiedererwägungsweise Aufhebung der Mitteilung vom 25. April 2016» mit einer Begründung entsprechend einer erstmaligen Leistungsbeurteilung. Es bleibt damit unklar, was die Beschwerdegegnerin in ihrem Entscheid geprüft hat. Dem Entscheid ermangelt es in dieser Hinsicht einer rechtsgenüglichen Begründung.

4.2    Laut Arztberichten (vorstehend E. 3.3-3.4) und Ausführungen der Versicherten (Urk. 1) normalisierte sich die Faktor-XIII-Konzentration im Mai 2016 spontan, und es entfiel die ursprünglich angeordnete monatliche Prophylaxe einer FXIII-Substitution mittels Fibrogammin. In der Folge wurden mehrere – insbesondere molekulargenetische – Untersuchungen durchgeführt. Diesbezüglich liegt eine medizinische Expertenstreitigkeit vor, bei der sich die Ärzte uneinig sind, ob im Zusammenhang mit einem bei der Versicherten diagnostizierten Noonan-Syndrom mit Nachweis von PTPN11-Mutationen mit Kleinwuchs, morphologischen Auffälligkeiten und einem Faktor-XIII-Mangel (Mangel an Blutgerinnungsfaktor), diese Blutgerinnungsstörung als angeborene Störung gelten und damit als Geburtsgebrechen gemäss Ziff. 324 GgV anerkannt werden kann.

    In diesem Zusammenhang wiesen die Genetiker des D.___ darauf hin, dass bei Mutationen im PTPN11-Gen bei 17 % der Betroffenen eine Gerinnungsstörung (Blutungsneigung und vermehrtes Auftreten von blauen Flecken) auftrete (vgl. E. 3.2 hiervor). Auch die behandelnde Hämatologin PD Dr. B.___ hielt fest, dass die Gerinnungsstörung oft bei Patienten mit Noonan-Syndrom auftrete, was sich wie bei der Beschwerdeführerin im Rahmen von chirurgischen Eingriffen mit Blutungen manifestiere und deshalb engmaschige Kontrollen vor allem vor und nach chirurgischen Eingriffen unerlässlich seien (vgl. E. 3.4).

    Demgegenüber vertrat der RAD-Pädiater Prof. Dr. C.___ die Auffassung, die im Zusammenhang mit dem Noonan-Syndrom nachgewiesene Mutation im PTPN11-Gen sei auf dem langen Arm des Chromosoms Nr. 12 lokalisiert worden. Die bei angeborenem Faktor-XIII-Mangel üblichen Mutationen seien dagegen auf dem kurzen Arm des Chromosomen Nr. 6 lokalisiert und im Zusammenhang mit PTPN11-Mutationen seien bisher keine Fallberichte über Faktor-XIII-Mangel publiziert und in der Fachliteratur keine Fallberichte oder Fallserien von angeborenem Faktor-XIII-Mangel bei Patienten mit Noonan-Syndrom dokumentiert worden. Da bei der Versicherten keine Mutation gefunden worden sei, die mit einem angeborenem Faktor-XIII-Mangel zu assoziieren sei, und nach kurzzeitiger Substitution sich die Faktor-XIII-Aktivität normalisiert habe und nicht wieder abgefallen sei, sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einem passageren erworbenen Faktor-XIII-Mangel auszugehen (vgl. E. 3.5 hiervor).

    Mithin ergeben sich aus den nunmehr vorliegenden fachärztlichen Berichten neue Erkenntnisse in Bezug auf die Frage, ob es sich bei der Blutgerinnungsstörung um eine angeborene oder erworbene Störung handelt. Da diese Unterscheidung für die Beurteilung der Leistungspflicht für ein Geburtsgebrechen entscheidend ist, liegen aufgrund dessen neue Beweismittel vor, welche eine prozessuale Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) als angezeigt erscheinen lassen könnten.

4.3    Die medizinische Stellungnahme des RAD erscheint für den Rechtsanwender grundsätzlich plausibel. Ins Gewicht fällt aber auch, dass mit Bezug auf die vorliegende Fragestellung einer genetisch bedingten Blutgerinnungsstörung durch Fachärzte für Genetik und Hämatologie spezifizierte Berichte vorliegen, die Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit des RAD-Berichts nicht unbegründet erscheinen lassen. Damit kann auf die RAD-Stellungnahme nicht abgestellt werden (zum Beweiswert vgl. E. 1.3 hiervor). Die Fragestellung nach einem angeborenen Faktor-XIII-Mangel bei der Beschwerdeführerin lässt sich auch nicht zuverlässig anhand der übrigen Facharztberichte beantworten. Die medizinische Fragestellung, ob weiterhin von einem Geburtsgebrechen auszugehen ist, ist daher mittels medizinischem Sachverständigengutachten zu klären.

    Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben und zur entsprechenden medizinischen Abklärung mit anschliessender rechtsgenüglich begründeter Neuverfügung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

5.

5.1    Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung zur weiteren Abklärung und neuen Verfügung gilt rechtsprechungsgemäss für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch einer allfälligen Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen (BGE 141 V 281 E. 11.1, 137 V 210 E. 7.1, 137 V 57 E. 2.2).

5.2    Die Kosten des Verfahrens (Art. 69 Abs. 1bis IVG) sind auf Fr. 800.-- festzusetzen und entsprechend dessen Ausgang der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen.




Das Gericht erkennt:

1.    Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass die angefochtene Verfügung vom 28. April 2017 aufgehoben und die Sache an die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, zurückgewiesen wird, damit diese, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen neu verfüge.

2.    Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. Rechnung und Einzahlungsschein werden der Kostenpflichtigen nach Eintritt der Rechtskraft zugestellt.

3.    Zustellung gegen Empfangsschein an:

- Y.___ und Z.___

- Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle

- Bundesamt für Sozialversicherungen

sowie an:

- Gerichtskasse (im Dispositiv nach Eintritt der Rechtskraft)

4.    Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 82 ff. in Verbindung mit Art. 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht, BGG). Die Frist steht während folgender Zeiten still: vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern, vom 15. Juli bis und mit 15. August sowie vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar (Art. 46 BGG).

    Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, zuzustellen.

    Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; der angefochtene Entscheid sowie die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat (Art. 42 BGG).



Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich


Der VorsitzendeDer Gerichtsschreiber




GräubNef