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Geschäftsnummer: VB.2020.00479  
Entscheidart und -datum: Endentscheid vom 24.09.2020
Spruchkörper: 4. Abteilung/4. Kammer
Weiterzug: Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Rechtsgebiet: Bildung
Betreff:

Bewilligung einer Kinderkrippe - Sistierungsverfügung


[Sistierung eines Verfahrens um Bewilligung einer Kinderkrippe] Die angefochtene Sistierungsverfügung stellt einen Zwischenentscheid dar. Bei einem Rekurs bzw. einer Beschwerde gegen die Sistierung eines Verfahrens ist vom Erfordernis eines weiteren, nicht wiedergutzumachenden Nachteils abzusehen, wenn eine ungerechtfertigte Verfahrensverzögerung bzw. Rechtsverweigerung geltend gemacht wird (E. 2.1). Eine Verfahrenssistierung setzt triftige Gründe voraus und muss zweckmässig sein. Das Interesse an einer vorübergehenden Verfahrenseinstellung muss im konkreten Fall höher zu gewichten sein als das Gebot der Verfahrensbeschleunigung. Solche Gründe, welche die Interessen der Beschwerdeführenden an einer beförderlichen Verfahrensführung zu überwiegen vermöchten, macht die Beschwerdegegnerin nicht geltend (E. 2.2). Gutheissung.
 
Stichworte:
SISTIERUNG
VERFAHRENSVERZÖGERUNG
ZWISCHENENTSCHEID
Rechtsnormen:
Art. 93 BGG
Art. 93 Abs. 1 BGG
Publikationen:
- keine -
Gewichtung:
(1 von hoher / 5 von geringer Bedeutung)
Gewichtung: 4
 
 

Verwaltungsgericht

des Kantons Zürich

4. Abteilung

 

VB.2020.00479

 

 

 

Urteil

 

 

 

der 4. Kammer

 

 

vom 24. September 2020

 

 

Mitwirkend: Abteilungspräsidentin Tamara Nüssle (Vorsitz), Verwaltungsrichter Marco Donatsch, Verwaltungsrichter Reto Häggi Furrer, Gerichtsschreiber David Henseler.

 

 

In Sachen

 

 

1.    A

 

2.    B,

 

beide vertreten durch RA C,

Beschwerdeführende,

 

 

gegen

 

 

Gemeinde Geroldswil,
vertreten durch den Gemeinderat Geroldswil,

Beschwerdegegnerin,

 

 

betreffend Bewilligung einer Kinderkrippe − Sistierungsverfügung,


 

hat sich ergeben:

I.  

A. B betreibt in Geroldswil unter der Bezeichnung D mit jeweils befristeten Bewilligungen unter anderem eine Kinderkrippe. Mit Beschluss vom 6. Mai 2019 wies der Gemeinderat Geroldswil ein Gesuch von B um eine neue Betriebsbewilligung ab dem 1. Januar 2019 ab. Dieser Entscheid wurde mit Rekurs vom 11. Juni 2019 beim Bezirksrat Dietikon angefochten.

B. Am 6. November 2019 reichten B und ihr Sohn A beim Gemeinderat Geroldswil ein Gesuch um Erneuerung der Betriebsbewilligung für die Kinderkrippe ein. Mit Beschluss vom 10. Februar 2020 sistierte der Gemeinderat das Gesuchsverfahren bis zum "rechtskräftigen Abschluss des laufenden Rekursverfahrens".

II.  

Mit Rekurs vom 18. März 2020 liessen A und B beim Bezirksrat Dietikon die Aufhebung des Beschlusses vom 10. Februar 2020 und die Rückweisung an die Gemeinde zur weiteren Behandlung beantragen. Mit Beschluss vom 11. Juni 2020 trat der Bezirksrat auf den Rekurs nicht ein (Dispositiv-Ziff. I), auferlegte A und B die Rekurskosten von insgesamt Fr. 613.- je zur Hälfte (Dispositiv-Ziff. II) und sprach in Dispositiv-Ziff. III keine Parteientschädigungen zu.

III.  

A und B liessen dagegen am 13. Juli 2020 Beschwerde beim Verwaltungsgericht führen und beantragen, unter Entschädigungsfolge sei der angefochtene Beschluss aufzuheben und es sei "die Beschwerdegegnerin anzuweisen, das Verfahren in Bezug auf das Bewilligungsgesuch des Beschwerdeführers in einer beförderlichen Art und Weise fortzuführen"; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur weiteren Behandlung zurückzuweisen. Der Gemeinderat Geroldswil verzichtete am 30. Juli 2020 auf Beschwerdebeantwortung. Der Bezirksrat Dietikon schloss mit Vernehmlassung vom 31. August 2020 auf Abweisung der Beschwerde und stellte dem Verwaltungsgericht neben den Akten des bezirksrätlichen Verfahrens auch seinen Beschluss vom 19. August 2020 zu, womit der Rekurs vom 11. Juni 2019 im Sinn der Erwägungen abgewiesen wurde.

Die Kammer erwägt:

1.  

Für Beschwerden gegen erstinstanzliche Rekursentscheide eines Bezirksrats über Anordnungen eines Gemeinderats betreffend eine Krippenbewilligung ist das Verwaltungsgericht nach §§ 41 ff. des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG, LS 175.2) zuständig (vgl. VGr, 22. März 2017, VB.2016.00751, E. 1 Abs. 1).

Die Vorinstanz trat nicht auf den Rekurs vom 18. März 2020 ein, da sie die Voraussetzungen für die selbständige Anfechtung eines verfahrensleitenden Zwischenentscheids als nicht gegeben erachtete. Tritt eine Vorinstanz auf ein Rechtsmittel nicht ein, weil sie eine Prozessvoraussetzung als nicht erfüllt erachtet, ist die formell unterlegene Partei legitimiert, sich gegen den Nichteintretensentscheid zur Wehr zu setzen (vgl. Martin Bertschi, in: Alain Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. A., Zürich etc. 2014 [Kommentar VRG], Vorbemerkungen zu §§ 19–28a N. 58).

Weil auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.  

2.1 Unbestritten ist, dass es sich beim streitgegenständlichen Sistierungsbeschluss der Beschwerdegegnerin um einen verfahrensleitenden Zwischenentscheid handelt (vgl. Martin Bertschi, Kommentar VRG, § 19a N. 31). Die Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden richtet sich gemäss § 19a Abs. 2 VRG sinngemäss nach den Art. 91–93 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG). Gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde gegen – nicht die Zuständigkeit oder den Ausstand betreffende – selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide zulässig, wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können (lit. a) oder wenn die Gutheissung sofort einen Entscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beschwerdeverfahren ersparen würde (lit. b). Nach der bundes- und der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist bei einer Beschwerde bzw. einem Rekurs gegen die Sistierung eines Verfahrens vom Erfordernis eines weiteren, nicht wiedergutzumachenden Nachteils abzusehen, wenn eine ungerechtfertigte Verfahrensverzögerung bzw. Rechtsverweigerung geltend gemacht wird (BGE 135 III 127 E. 1.3; VGr, 22. Februar 2012, VB.2011.00751/752, E. 1.1; vgl. VGr, 25. September 2014, SB.2014.00067, E. 3.1 Abs. 3). Die Vorinstanz verkannte dies, indem sie nicht auf die von den Beschwerdeführenden in der Rekursschrift behauptete ungerechtfertigte Verfahrensverzögerung einging und lediglich prüfte, ob die Sistierung einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken bzw. ob bei einer Gutheissung des Rekurses sofort ein Endentscheid herbeigeführt werden könne. Nach dem Gesagten hätte sie jedoch auf den Rekurs der Beschwerdeführenden eintreten und diesen materiell behandeln müssen.

Vorliegend ist auf eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur materiellen Behandlung des Rekurses zu verzichten (§ 63 Abs. 1 und § 64 Abs. 1 VRG; vgl. Marco Donatsch, Kommentar VRG, § 63 N. 18 und § 64 N. 7).

2.2 Eine Verfahrenssistierung setzt triftige Gründe voraus und muss zweckmässig sein. Das Interesse an einer vorübergehenden Verfahrenseinstellung muss im konkreten Fall höher zu gewichten sein als das Gebot der Verfahrensbeschleunigung. Eine Sistierung kann sich demnach rechtfertigen, wenn die Anordnung vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängig ist oder von diesem wesentlich beeinflusst wird (Martin Bertschi/Kaspar Plüss, Kommentar VRG, Vorbemerkungen zu §§ 4–31 N. 38 ff. mit Hinweisen).

Solche Gründe, welche die Interessen der Beschwerdeführenden an einer beförderlichen Verfahrensführung zu überwiegen vermöchten, macht die Beschwerdegegnerin weder in ihrem Beschluss vom 10. Februar 2020 noch in ihrer Rekursvernehmlassung vom 4. Mai 2020 geltend. Vielmehr bringt sie darin vor, dass "die Sistierung des Bewilligungsverfahrens [A] und der Trägerschaft von D Zeit gibt, um das Gesuch [vom 6. November 2019] rechtskonform zu stellen (…) und allfällige notwendige Dokumente noch zu erbringen". Es handle sich bei der Verfahrenssistierung "nicht um eine ungerechtfertigte Verfahrensverzögerung", sondern "um einen Zeitaufschub zur Nachbesserung des eingereichten Gesuchs". Ausserdem führt sie an, dass die Sistierung "auch einer allfälligen Vereinfachung des Gesuchsverfahrens [diene], falls der Bezirksrat dem Rekurs im Vorverfahren stattgeben sollte. Damit würden sich für die [Beschwerdeführenden] weitere Möglichkeiten eröffnen". Dass der Ausgang des (sistierten) Gesuchsverfahrens vom Ausgang des Rekursverfahren abhängig wäre, welches der Bezirksrat mit Beschluss vom 19. August 2020 entschied oder von Letzterem wesentlich beeinflusst würde, wird von der Beschwerdegegnerin nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Es fehlte somit an triftigen Gründen für eine Sistierung des Gesuchsverfahrens.

3.  

Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen. Dispositiv-Ziff. I des Beschlusses des Bezirksrats Dietikon vom 11. Juni 2020 sowie der Beschluss der Beschwerdegegnerin vom 10. Februar 2020 sind aufzuheben.

4.  

Ausgangsgemäss sind die Kosten des Rekurs- und des Beschwerdeverfahrens der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen und hat diese den Beschwerdeführenden eine angemessene Parteientschädigung für das Rekurs- und das Beschwerdeverfahren zu bezahlen (§ 65a Abs. 2 in Verbindung mit § 13 Abs. 2 Satz 1 und § 17 Abs. 2 VRG). Die Dispositiv-Ziff. II und III des Bezirksratsbeschlusses vom 11. Juni 2020 sind entsprechend abzuändern.

5.  

Beim vorliegenden Urteil über einen Zwischenentscheid handelt es sich ebenfalls um einen Zwischenentscheid, der nur unter den Voraussetzungen gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG vor Bundesgericht anfechtbar ist (vgl. Bertschi, § 19a N. 32).

Demgemäss erkennt die Kammer:

1.    Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositiv-Ziff. I des Bezirksratsbeschlusses vom 11. Juni 2020 sowie der Beschluss der Beschwerdegegnerin vom 10. Februar 2020 werden aufgehoben.

       In Abänderung der Dispositiv-Ziff. II und III des Bezirksratsbeschlusses vom 11. Juni 2020 werden die Rekurskosten der Beschwerdegegnerin auferlegt und hat diese den Beschwerdeführenden für das Rekursverfahren eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 1'000.- zu bezahlen.

2.    Die Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf
Fr. 1'000.--;    die übrigen Kosten betragen:
Fr.      70.--     Zustellkosten,
Fr. 1'070.--     Total der Kosten.

3.    Die Gerichtskosten werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

4.    Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, den Beschwerdeführenden für das Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 500.- zu bezahlen.

5.    Gegen dieses Urteil kann im Sinn der Erwägungen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG erhoben werden. Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung an gerechnet, beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen.

6.    Mitteilung an …