Verwaltungsgericht
des
Kantons Zürich
4. Abteilung
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VB.2020.00538
Urteil
der 4. Kammer
vom 24. September 2020
Mitwirkend: Abteilungspräsidentin Tamara Nüssle (Vorsitz), Verwaltungsrichter Marco Donatsch, Verwaltungsrichter
Reto Häggi Furrer, Gerichtsschreiberin
Viviane Eggenberger.
In Sachen
A,
Beschwerdeführerin,
gegen
Stadtrat Bülach,
Beschwerdegegner,
betreffend
Stimmrechtsrekurs,
hat sich ergeben:
I.
Der Stadtrat Bülach beschloss am 1. Juli 2020, auf
der Schulanlage Lindenhof ein Schulprovisorium zu erstellen, genehmigte dafür
einen Kredit von Fr. 4'524'000.- und erklärte diese Ausgabe als gebunden
im Sinn von § 103 Abs. 1 des Gemeindegesetzes vom 20. April 2015
(GG, LS 131.1).
II.
A erhob hiergegen am 8. Juli 2020 Stimmrechtsrekurs
und beantragte einerseits ein aufsichtsrechtliches Einschreiten wegen fehlender
Rechtsmittelbelehrung und anderseits sinngemäss, der Beschluss vom 1. Juli
2020 sei aufzuheben, weil die Kreditgenehmigung in die Zuständigkeit des
Gemeinderats (Gemeindeparlament) der Stadt Bülach falle. Der Bezirksrat Bülach
wies den Stimmrechtsrekurs mit Beschluss vom 5. August 2020 ab
(Dispositiv-Ziff. I) und beschloss, keine aufsichtsrechtlichen Massnahmen
zu ergreifen (Dispositiv-Ziff. II).
III.
A erhob am 11. August 2020 Beschwerde beim
Verwaltungsgericht und beantragte, "dem Stimmrechtsrekurs […]
stattzugeben, so dass das Bülacher Parlament die Möglichkeit erhält, über
dieses Geschäft zu beschliessen". Der Bezirksrat Bülach verzichtete am
13. August 2020 auf Vernehmlassung; der Stadtrat Bülach schloss mit
Beschwerdeantwort vom 20. August 2020 auf Abweisung der Beschwerde.
Die Kammer erwägt:
1.
Das Verwaltungsgericht ist für Beschwerden gegen
erstinstanzliche Rekursentscheide eines Bezirksrats über einen
Stimmrechtsrekurs nach §§ 41 ff. des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom
24. Mai 1959 (VRG, LS 175.2) zuständig.
Die Beschwerdeführerin ist in der Stadt Bülach
stimmberechtigt. Sie macht geltend, beim Kreditbeschluss in der Höhe von
Fr. 4'524'000.- handle es sich nicht um eine gebundene Ausgabe, weshalb
der Gemeinderat darüber zu befinden habe und eine allfällige Kreditbewilligung
hernach dem fakultativen Referendum unterstände (Art. 18 Abs. 2
lit. d in Verbindung mit Art. 10 und Art. 11 Abs. 2
lit. d e contrario der Gemeindeordnung der Stadt Bülach vom 10. Juni 2001 [GO; www.buelach.ch/fileadmin/files/documents/Gesetzessammlung/Gemeindeordnung.pdf]).
Damit macht sie eine Verletzung ihrer politischen Rechte geltend und ist
sie gestützt auf § 49 in Verbindung mit § 21a Abs. 1 lit. a
VRG zur Beschwerde legitimiert.
Weil auch die weiteren Prozessvoraussetzungen erfüllt
sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
2.1 Streitgegenstand
bildet die Frage, ob der Kredit für einen zweigeschossigen Modulbau mit sechs
Klassenzimmern, einem Handarbeitszimmer sowie weiteren Räumen als gebundene
Ausgabe zu qualifizieren ist und die betreffende Genehmigung damit in die
Zuständigkeit des Beschwerdegegners fällt.
Ausgaben gelten gemäss § 103 Abs. 1 GG als gebunden,
wenn die Gemeinde durch einen Rechtssatz, durch einen Entscheid eines Gerichts
oder einer Aufsichtsbehörde oder durch einen früheren Beschluss der zuständigen
Organe oder Behörde zu ihrer Vornahme verpflichtet ist und ihr sachlich, zeitlich
und örtlich kein erheblicher Entscheidungsspielraum bleibt. Diese Regelung
entspricht im Wesentlichen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu gebundenen
Ausgaben (vgl. BGE 141 I 130 E. 4.1; BGr, 23. August 2017,
1C_17/2017, E. 4.2). Bei der Auslegung dieser kantonalrechtlichen
Bestimmung ist zu beachten, dass Art. 86 Abs. 2 lit. a der
Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005 (KV, LS 101) für
die Gemeinden ein obligatorisches Finanzreferendum vorsieht und damit die
Mitsprache der Stimmberechtigten bei Ausgabenbeschlüssen hoch gewichtet. Weil
die Qualifikation eines Kredits als gebundene Ausgabe zugleich die Mitwirkung
der Stimmberechtigten ausschliesst, drängt sich eine Zurückhaltung bei der
Annahme einer gebundenen Ausgabe auf (so im Ergebnis auch Markus Rüssli, in:
Tobias Jaag/Markus Rüssli/Vittorio Jenni [Hrsg.], Kommentar zum Zürcher Gemeindegesetz,
Zürich etc. 2017, § 103 GG N. 27).
2.2 Hier ist
der Beschwerdegegner gestützt auf Art. 19 der Bundesverfassung vom
18. April 1999 (SR 101), Art. 115 f. KV sowie das
Volksschulgesetz vom 7. Februar 2005 (LS 412.100) verpflichtet,
genügend Schulraum zur Verfügung zu stellen. Damit ist zwar das "Ob"
weitgehend durch Rechtssatz präjudiziert, hingegen besteht beim "Wie"
ein erheblicher Spielraum, insbesondere in sachlicher und örtlicher Hinsicht.
Praxisgemäss bilden die Kosten für die Erstellung von Neu-, Ersatz-,
Erweiterungs- und Ergänzungsbauten denn auch grundsätzlich neue Ausgaben
(Rüssli, § 103 GG N. 16; vgl. auch BGE 141 I 130 E. 4.2, 111 Ia 34
E. 4c).
2.3 Der Beschwerdegegner
macht allerdings geltend, es lägen besondere Umstände vor, welche keinen
erheblichen Spielraum mehr liessen. Einerseits sei der geplante Modulbau in
zeitlicher Hinsicht dringend, und anderseits komme einzig der geplante Standort
bei der Schulanlage Lindenhof infrage. Dieser Auffassung lässt sich nicht
folgen. Zunächst wird die zeitliche Dringlichkeit nur mit der Entwicklung der
Schülerzahlen begründet und nicht geltend gemacht, aufgrund einer
Rechtsänderung oder ähnlicher Umstände sei kurzfristig zusätzlicher Schulraum
notwendig. Dass steigende Schülerzahlen mehr Schulraum notwendig machen können,
liegt aber auf der Hand, weshalb die Schulbehörden gehalten sind, die
notwendigen Massnahmen rechtzeitig einzuleiten. Tun sie dies nicht, können sie
sich nachher nicht auf die zeitliche Dringlichkeit berufen, weil andernfalls
die demokratische Mitwirkung mit derartigem Vorgehen regelmässig ausgehebelt
werden könnte. Hier ergibt sich denn auch aus den Akten, dass der Bedarf nach
zusätzlichem Schulraum schon seit Längerem Gegenstand von Diskussionen und
demnach keine Überraschung ist. Es kommt hinzu, dass sich weder aus dem
Ausgangsbeschluss noch den Vorbringen des Beschwerdegegners ergibt, dass
bereits kurzfristig nicht mehr genügend Schulraum vorhanden sein soll.
Jedenfalls für das Schuljahr 2021/2022 ist noch genügend Schulraum vorhanden
und ergibt sich aus dem Ausgangsbeschluss nur, dass allenfalls nicht mehr
optimale Zuteilungen möglich sind; das begründet aber noch keine zeitliche
Dringlichkeit.
Auch die Auffassung von Beschwerdegegner und Vorinstanz,
es bestehe in sachlicher und örtlicher Hinsicht kein erheblicher Entscheidungsspielraum,
weil es sich um die einzige vernünftige Lösung handle, überzeugt nicht. Aus den
Ausführungen des Beschwerdegegners ergibt sich nämlich nur, dass dieser die nun
vorgesehene Lösung als die beste von verschiedenen möglichen Lösungen
betrachtet. Damit ist aber gerade nicht dargetan, dass der
streitgegenständliche Modulbau die einzige mögliche Lösung darstellt, sondern
ist mit der Beschwerdeführerin davon auszugehen, dass der zuständige
Gemeinderat auch eine andere Lösung beschliessen könnte. Beschwerdegegner und
Vorinstanz verkennen in diesem Zusammenhang, dass es nicht darum geht, ob die
vorgeschlagene auch die beste Lösung ist, sondern nur darum, ob keine anderen
ebenfalls geeigneten Lösungen denkbar sind. Dass hier auch andere geeignete,
aber möglicherweise weniger gute Lösungen infrage kämen, ergibt sich schon aus
dem Ausgangsbeschluss.
2.4 Wenn der
Beschwerdegegner schliesslich auf das Bundesgerichtsurteil zu einem Provisorium
für eine neue Kantonsschule in Uetikon am See verweist (BGr, 23. August
2017, 1C_17/2017), bleibt festzuhalten, dass in jenem Fall einerseits mit
§ 37 des Gesetzes über Controlling und Rechnungslegung vom 9. Januar
2006 (LS 611) eine andere, den Begriff der gebundenen Ausgaben weiter fassende
Regelung zur Anwendung kam und anderseits der Kantonsrat bereits beschlossen
hatte, am fraglichen Standort eine Kantonsschule zu errichten. Sodann ist zwar durchaus
denkbar, dass die Kosten für ein Provisorium zur vorübergehenden Bereitstellung
zusätzlichen Schulraums – etwa bis zur Fertigstellung eines neuen Schulhauses –
aufgrund der konkreten Umstände als gebundene Ausgabe qualifiziert werden
könnten. Hier geht es indes nicht nur um Bereitstellung von Schulraum zur
Überbrückung eines vorübergehenden Engpasses, sondern ist der fragliche
Modulbau für eine Lebensdauer von 20 Jahren ausgerichtet und wird er in
der langfristigen Schulraumplanung berücksichtigt. Damit präjudizierte dieser
Bau für Jahre die künftige Schulraumplanung bzw. den Bau zusätzlicher
Schulräume und schränkte damit den Entscheidungsspielraum des zuständigen
Organs ein.
3.
Nach dem Gesagten sind die Kosten für den
streitgegenständlichen Modulbau nicht als gebundene Ausgaben zu qualifizieren,
weshalb deren Genehmigung nicht in die Zuständigkeit des Beschwerdegegners,
sondern in diejenige des Gemeinderats fällt (Art. 18 Abs. 2
lit. f GO). Das führt zur Gutheissung der Beschwerde.
4.
In Stimmrechtssachen werden den Parteien nach § 65a
Abs. 2 in Verbindung mit § 13 Abs. 4 VRG in der Regel keine
Gerichtskosten auferlegt, weshalb diese auf die Gerichtkasse zu nehmen sind.
Demgemäss erkennt die
Kammer:
1. Die
Beschwerde wird gutgeheissen. Der Beschluss des Stadtrats Bülach vom
1. Juli 2020 sowie Dispositiv-Ziff. I des Beschlusses des Bezirksrats
Bülach vom 5. August 2020 werden aufgehoben.
2. Die
Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf
Fr. 2'000.--; die übrigen Kosten betragen:
Fr. 95.-- Zustellkosten,
Fr. 2'095.-- Total der Kosten.
3. Die
Gerichtskosten werden auf die Gerichtskasse genommen.
4. Gegen
dieses Urteil kann Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach
Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes erhoben werden. Die Beschwerde
ist binnen 30 Tagen ab Zustellung einzureichen beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14.
5. Mitteilung an …