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VB.2021.00339
Urteil
der 2. Kammer
vom 20. Oktober 2021
Mitwirkend: Abteilungspräsident Andreas Frei (Vorsitz), Verwaltungsrichterin Silvia Hunziker, Verwaltungsrichterin Viviane Sobotich, Gerichtsschreiberin Jsabelle Mayer.
In Sachen
A, vertreten durch RA MLaw B, Beschwerdeführerin,
gegen
Migrationsamt des Kantons Zürich, Beschwerdegegner,
betreffend Wegweisung, hat sich ergeben: I. A, geboren 1991, britische Staatsangehörige, reiste am 1. Februar 2021 von Deutschland herkommend in die Schweiz ein. Am 10. Februar 2021 wurde sie von der Stadtpolizei Zürich verhaftet, nachdem sie einem verdeckten Fahnder sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt anbot. Einen Pass konnte A nur in Kopie vorweisen. Mit Strafbefehl vom 12. Februar 2021 der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl wurde sie wegen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung im Sinn von Art. 115 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 und 2 des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dezember 2005 (AIG) sowie des rechtswidrigen Aufenthalts im Sinn von Art. 115 Abs. 1 lit. b AIG schuldig gesprochen und mit einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à Fr. 40.- bestraft, wovon 2 Tagessätze durch Haft erstanden sind. Dagegen hat A Einsprache erhoben, welche nach wie vor rechtshängig ist. Mit Verfügung vom 13. Februar 2021 wies das Migrationsamt A aus der Schweiz sowie aus dem Schengen-Raum weg und ordnete an, dass diese das schweizerische Staatsgebiet sowie den Schengen-Raum bis 15. Februar 2021 zu verlassen habe. II. Einen hiergegen erhobenen Rekurs wies die Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion mit Entscheid vom 3. Mai 2021 ab und setzte der Rekurrentin eine Frist von zwei Tagen (nach Eröffnung des Rekursentscheids) zum Verlassen der Schweiz. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und eines unentgeltlichen Rechtsbeistands wies es ab. III. Mit Beschwerde vom 12. Mai 2021 beantragte A (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) dem Verwaltungsgericht, der Rekursentscheid sei aufzuheben; eventualiter sei der Rekursentscheid insoweit aufzuheben als sie verpflichtet werde, den Schengen-Raum zu verlassen. Weiter sei der Beschwerdegegner zu verpflichten, ihr für das vorinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.- zu bezahlen; eventualiter sei ihr Rechtsanwalt B für das vorinstanzliche Verfahren als unentgeltlicher Rechtsbeistand beizugeben und dieser in Höhe der eingereichten Honorarnote zu entschädigen. Ausserdem sei die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wiederherzustellen. Schliesslich ersuchte sie auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Prozessführung und unentgeltlichen Rechtsbeistand. Ferner seien die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdegegner aufzuerlegen und ihr für das Verfahren eine Parteientschädigung zuzusprechen. Dabei reichte sie dem Verwaltungsgericht eine Kopie eines am 23. Februar 2021 vom Landesamt für Einwanderung Berlin (Deutschland) ausgestellten Aufenthaltstitels gestützt auf Art. 18 Abs. 4 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (2019/C 384 I/01), gültig bis 22. Februar 2031, ein. Mit Präsidialverfügung vom 14. Mai 2021 stellte der Abteilungspräsident des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wieder her. Sowohl die Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion als auch das Migrationsamt verzichteten auf Vernehmlassung. Die Kammer erwägt: 1. Mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht können Rechtsverletzungen und die unrichtige oder ungenügende Feststellung des Sachverhalts gerügt werden, nicht aber die Unangemessenheit des angefochtenen Entscheids (§ 20 Abs. 1 in Verbindung mit § 50 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 [VRG]). 2. Die Beschwerde gegen eine Verfügung nach Art. 64 Abs. 1 lit. a und b AIG – wie die vorliegende – hat keine aufschiebende Wirkung (Art. 64 Abs. 3 Satz 2 AIG). Die Beschwerdeinstanz entscheidet innerhalb von zehn Tagen über deren Wiederherstellung (Satz 3). Mit Präsidialverfügung vom 14. Mai 2021 wurde die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wiederhergestellt. Damit wird das Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung spätestens mit vorliegendem Entscheid gegenstandslos. 3. 3.1 Zur Beschwerde an das Verwaltungsgericht ist berechtigt, wer durch den angefochtenen Entscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat ( .nbsp;21 Abs. 1 in Verbindung mit § 49 VRG). Vorausgesetzt wird, dass der Betroffene durch den angefochtenen Entscheid materiell beschwert ist, indem er über eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt und einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids ziehen kann (vgl. BGE 137 II 30 E. 2.2.2; Martin Bertschi, in: Alain Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. A., Zürich etc. 2014 [Kommentar VRG], § 21 N. 10 ff.). 3.2 Die Beschwerdeführerin hat die Schweiz einige Stunden nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft am 12. Februar 2021 Richtung Deutschland verlassen und ist – wie schon vor ihrer Einreise in die Schweiz – in Berlin (Deutschland) wohnhaft. Damit ist das Verfahren betreffend ihre Wegweisung aus der Schweiz grundsätzlich gegenstandslos geworden (vgl. VGr, 6. Oktober 2016, VB.2016.00401, E. 2.2 [nicht auf www.vgr.zh.ch veröffentlicht]). Die Beschwerdeführerin führt aus, sie weise gleichwohl ein Rechtsschutzinteresse an der Beurteilung der Wegweisung an der Schweiz auf: So werde mit der Wegweisung gemäss Art. 67 Abs. 1 lit. a AIG zwingend ein Einreiseverbot verbunden sein, von welchem nur ausnahmsweise und ohne Rechtsanspruch aus humanitären oder anderen wichtigen Gründen abgesehen werden könne (Art. 67 Abs. 5 AIG). Damit sei ihr ein hinreichendes aktuelles und praktisches Rechtsschutzinteresse an der Beschwerde zuzuerkennen. Da die Vorinstanzen einen Anwendungsfall von Art. 64d Abs. 2 lit. a AIG annahmen, zöge eine solche Wegweisung gemäss Art. 67 Abs. 1 lit. a AIG grundsätzlich immer die Erteilung eines Einreiseverbots nach sich (siehe Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich [Weisungen AIG] des Staatssekretariats für Migration [SEM], Bern [Oktober] 2013 [aktualisiert am 1. Januar 2021], Ziff. 8.10.1). Bisher verhängte das SEM – soweit ersichtlich – kein Einreiseverbot gegen die Beschwerdeführerin und hätte es ihr hierzu vorgängig das rechtliche Gehör zu gewähren (siehe Marc Spescha in: derselbe, Kommentar Migrationsrecht, 5. A., Zürich 2019, Art. 67 AIG N. 2). Da ein gegen die Beschwerdeführerin verhängtes Einreiseverbot nicht auszuschliessen ist, ist das Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin an der Beurteilung der Wegweisung zu bejahen. 3.3 Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Wegweisung aus dem Schengen-Raum, und damit auch aus Deutschland, wo sie seit Längerem wohnhaft ist, richtet, besteht ein aktuelles und praktisches Interesse an der Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten. 4. 4.1 Die zuständigen Behörden erlassen eine ordentliche Wegweisungsverfügung u.a., wenn eine Ausländerin oder ein Ausländer eine erforderliche Bewilligung nicht besitzt (Art. 64 Abs. 1 lit. a AIG) oder die Einreisevoraussetzungen (Art. 5 AIG) nicht oder nicht mehr erfüllt (Art. 64 Abs. 1 lit. b AIG). 4.2 4.2.1 Das Migrationsamt begründete die Wegweisungsverfügung damit, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Verhalten in der Schweiz gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstossen habe, indem sie durch die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl wegen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung und rechtswidrigen Aufenthalts mit 60 Tagessätzen bestraft worden sei. Dementsprechend erfülle sie die Einreisevoraussetzungen gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. c AIG und Art. 6 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex [SGK]; ABl. L 77 vom 23.03.2016, S. 1; vgl. auch Notenaustausch vom 4. Mai 2016 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen [Schengener Grenzkodex], SR 0.362.380.067) nicht mehr. Sie werde daher gestützt auf Art. 64 Abs. 1 lit. a und b AIG und Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2008/115 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (EU-Rückführungsrichtlinie, ABl. L 348/98 vom 24. Dezember 2008) aus der Schweiz und aus dem Schengen-Raum weggewiesen. 4.2.2 Die Vorinstanz schützte die Wegweisungsverfügung des Migrationsamts, da unabhängig davon, ob sich die Beschwerdeführerin als Staatsangehörige Grossbritanniens innerhalb der visumsfreien 90 Tage rechtmässig in der Schweiz aufgehalten habe, sie mit der Ausübung einer unbewilligten selbständigen Erwerbstätigkeit gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit verstossen habe. Anlässlich der polizeilichen Befragung habe die Beschwerdeführerin den ihr vorgehaltenen Sachverhalt zugegeben. Ein strafbares Verhalten könne unabhängig von einer Verurteilung durch ein Gericht zum Widerruf der Bewilligung oder einer anderen Verfügung führen, sofern es unbestritten sei und aufgrund der Akten keine Zweifel vorlägen, dass es der betroffenen Person zur Last zu legen sei. Dass die Beschwerdeführerin gegen den Strafentscheid ein Rechtsmittel ergriffen habe, sei daher unbeachtlich. Der Einwand der Beschwerdeführerin, eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Gesundheit liege aufgrund der nicht besonderen Schwere ihres Verhaltens nicht vor, überzeuge nicht. Ein Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung liege gemäss Art. 77a Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) vor, wenn gesetzliche Vorschriften oder behördliche Verfügungen missachtet würden. Auf eine Gefährdung sei gemäss Art. 77a Abs. 2 VZAE zu schliessen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Aufenthalt der betroffenen Person in der Schweiz mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einem Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung führe. Mit ihrer unbewilligten Tätigkeit habe die Beschwerdeführerin gegen Art. 115 Abs. 1 lit. c AIG in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 und 2 AIG sowie gegen das Prostitutionsverbot von § 5 der Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie vom 24. August 2020, inkl. Änderung vom 8. Dezember 2020 (V Covid-19; LS 818.18) verstossen. Da die Beschwerdeführerin bereits im Juli und Dezember 2020 sexuelle Dienstleistungen angeboten habe, könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass sie bei einem weiteren Aufenthalt erneut gegen diese Vorschriften verstosse. Das Migrationsamt sei daher zu Recht zum Schluss gekommen, die Beschwerdeführerin würde die Einreisevoraussetzungen nicht mehr erfüllen. Damit sei die Grundlage für die Wegweisung aus der Schweiz mit einer kurzen Ausreisefrist sowie – weil die Beschwerdeführerin offensichtlich nicht über einen gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland oder einem anderen Schengen-Staat verfüge – aus dem Schengen-Raum gegeben. 5. 5.1 Die Beschwerdeführerin ist seit dem 23. Februar 2021 im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels für Deutschland und damit für den Schengen-Raum. Wohl wurde der Aufenthaltstitel damit erst kurz nach Erlass der Wegweisungsverfügung ausgestellt. Dies lässt aber nicht den Umkehrschluss zu, dass sich die Beschwerdeführerin vor dem Ausstellen des Aufenthaltstitels illegal in Deutschland, ihrem Wohnsitzstaat, aufgehalten hätte: Nach dem Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union per 1. Februar 2020 galt für britische Staatsbürger eine Übergangsfrist bis 31. Dezember 2020. In dieser Zeit kamen die britischen Staatsbürger weiterhin in den Genuss der Freizügigkeitsrechte und änderte sich an ihrem Aufenthaltsrecht in Deutschland nichts. Um den Aufenthaltsstatus zu sichern, mussten sich Britinnen und Briten bis 30. Juni 2021 um ein neues Aufenthaltsdokument zu bemühen. Einzige Bedingung für das neue Aufenthaltsdokument war der bisherige und fortbestehende Wohnsitz britischer Staatsangehöriger in Deutschland (vgl. dazu Deutsches Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Informationen für britische Staatsangehörige und deren Familienangehörige zum Aufenthaltsrecht nach dem Austrittsabkommen, Dezember 2020, abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/verfassung/brexit-informationen-aufenthaltsrecht.html;jsessionid=EE99BDAFAF847F11B0C37101792AA3EB.1_cid295). Damit war die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 8 Abs. 3 der Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumserteilung (VEV) in Verbindung mit Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Aussengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2019/592 (ABl. L 103 I vom 12.4.2019, S. 1) grundsätzlich berechtigt, visumsfrei für den kurzfristigen Aufenthalt von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen in den Schengen-Raum einzureisen. Damit lag kein rechtswidriger Aufenthalt vor. 5.2 Die Einreise zum kurzfristigen Aufenthalt (geplanter Aufenthalt von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, wobei der Zeitraum von 180 Tagen, der jedem Tag des Aufenthalts vorangeht, berücksichtigt wird) steht für Drittstaatsangehörige unter dem Vorbehalt, dass sie keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellen (Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK [in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 VEV]). In der Literatur wird die Ansicht vertreten, es rechtfertige sich, Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK weit auszulegen und den Behörden einen weiten Entscheidungsspielraum zukommen zu lassen (Martina Caroni et al., Migrationsrecht, 4. A., Bern 2018, S. 154; Philipp Egli/Tobias D. Meyer in: Martina Caroni/Thomas Gächter/Daniela Thurnherr [Hrsg.], Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG], Bern 2010, Art. 5 AuG N. 46). Die öffentliche Ordnung sei im Wesentlichen dann gefährdet, wenn konkrete Anzeichen dafür bestünden, dass der Drittstaatsangehörige gegen die Rechtsordnung eines Vertragsstaats verstossen werde. Unter dem Titel der öffentlichen Ordnung dürften auch geringfügige Rechtsverletzungen (Übertretungen und Ordnungswidrigkeiten) bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden, vermöchten aber für sich allein eine Einreiseverweigerung nicht zu rechtfertigen. Eine solche dürfte grundsätzlich nur dann angemessen und verhältnismässig sein, wenn erhebliche und/oder wiederholte Rechtsverstösse im Raum stünden (Egli/Meyer, Art. 5 AuG N. 48). Indessen sei eine strafrechtliche Anklage oder rechtskräftige Verurteilung nicht notwendig (Caroni et al., S. 154). Dementsprechend erachtete es etwa das Appellationsgericht Basel-Stadt als für das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausreichend, dass die Betroffenen einerseits Spenden für Flutopfer sammeln wollten, mit denen sie dann ihren eigenen Unterhalt bestritten hätten und somit die offensichtlich konkrete Gefahr des Spendenbetrugs vorlag. Andererseits lag auch die konkrete Gefahr von Taschendiebstählen vor (Urteil vom 20. Mai 2015, VD.2015.61, E. 2.3.2). Weiter wird eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinn von Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK angenommen, wenn die drittstaatsangehörige Person nicht bereit ist, das Hoheitsgebiet des Schengen-Raums fristgerecht wieder zu verlassen (BVGr, 12. April 2021, F-2165/2020, E. 4.3 mit Hinweisen). In einem am 12. Dezember 2019 ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Rs. C-380/18, setzte sich dieser eingehend mit der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK bzw. dem Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung auseinander. Gestützt auf den Wortlaut und den Kontext setze Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK nicht voraus, dass das Verhalten des betreffenden Ausländers eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre (EuGH, Rs. C-380/18, Rz. 34 f.). Vielmehr sei Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK dahingehend auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Praxis nicht entgegenstehe, nach der die zuständigen Behörden eine Rückkehrentscheidung gegenüber einem nicht visumspflichtigen Drittstaatsangehörigen, der sich für einen kurzen Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten befindet, erlassen könnten, weil dieser wegen Verdachts der Begehung einer Straftat als Gefahr für die öffentliche Ordnung angesehen werde, sofern diese Praxis nur dann zur Anwendung komme, wenn diese Straftat zum einen angesichts ihrer Art und der drohenden Strafe eine hinreichende Schwere aufweise, um die sofortige Beendigung des Aufenthalts dieses Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu rechtfertigen, und zum andern die zuständigen Behörden über übereinstimmende, objektive und eindeutige Indizien verfügen, die ihren Verdacht stützten (EuGH, Rs. C-380/18, Rz. 51). Dabei verwies der EuGH insbesondere darauf, dass die innerstaatliche Praxis dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz entsprechen müsse und nicht darüber hinausgehen dürfe, was zum Schutz der öffentlichen Ordnung erforderlich sei (EuGH, Rs. C-380/18, Rz. 47). Das Bundesgericht machte sich diese Erwägungen des EuGH zu eigen in Bezug auf die Auslegung von Art. 24 Ziff. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (SIS-II-Verordnung, ABl. L 381, 28.12.2006, S. 4). Art. 24 Ziff. 2 SIS-II-Verordnung sei gleich wie Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK auszulegen. Dabei bestehe für die Schweiz kein Anlass, von der zitierten Rechtsprechung des EuGH abzuweichen (BGr, 10. März 2021, 6B_1178/2019, E. 4.5). Das Bundesgericht erwog, dass an die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind (BGr, 10. März 2021, 6B_1178/2019, E. 4.7.2 und E. 4.8). Eine Verurteilung zu einer "schweren" Straftat werde nicht vorausgesetzt, sondern es genüge, wenn die betroffene Person wegen einer oder mehrerer, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung tangierender Straftaten verurteilt worden sei, die einzeln betrachtet oder in ihrer Gesamtheit von einer gewissen Schwere seien, unter Ausschluss von blossen Bagatelldelikten. Entscheidend sei nicht das Strafmass, sondern in erster Linie die Art und Häufigkeit der Straftaten, die konkreten Tatumstände sowie das übrige Verhalten der betroffenen Person (BGr, 10. März 2021, 6B_1178/2019, E. 4.7.4 und E. 4.8). 5.3 Gegenstand des Strafbefehls vom 12. Februar 2021 war nebst dem rechtswidrigen Aufenthalt die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung. Diese Verstösse können nach Art. 115 Abs. 1 lit. b und c AIG eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe nach sich ziehen. Die Beschwerdeführerin wurde mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à Fr. 40.- bestraft, wobei die Strafe nicht rechtskräftig ist. Angesichts der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin sich gar nicht illegal in der Schweiz aufgehalten hat (siehe E. 5.1) und der mutmasslichen Ausreiseverpflichtung sofort Folge leistete und sie bis zu ihrer Verhaftung am 10. Februar 2021 lediglich während maximal fünf Tagen sexuelle Dienstleistungen anbot (siehe Antwort 90 des polizeilichen Befragungsprotokolls vom 11. Februar 2021, wonach sie das Inserat am 5. oder 6. Februar 2021 aktivierte), liegt keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinn der oben dargelegten Rechtsprechung (siehe E. 5.2) vor. Die Übertretung von § 5 der V Covid-19 (Prostitutionsverbot) stellt ebenfalls keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im beschriebenen Sinn dar. Ob das Verhalten der Beschwerdeführerin allenfalls eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellte, wurde in den vorinstanzlichen Verfahren nicht thematisiert, weshalb darauf nicht einzugehen ist. Auch handelte es sich bei der Beschwerdeführerin nicht um eine "Wiederholungstäterin", führt sie doch zu Recht aus, im Juli 2020 und November/anfangs Dezember 2020 könne sie noch gar nicht gegen § 5 der V Covid-19 verstossen haben, da die Verordnung erst am 10. Dezember 2020 in Kraft getreten sei. Ferner stand sie bis am 31. Dezember 2020 im Genuss der Freiheiten des Freizügigkeitsabkommens (FZA), weshalb sie bis zu diesem Zeitpunkt zur Einreise und Erbringung von Dienstleistungen in der Schweiz befugt war. Dies führt zur vollumfänglichen Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung der Wegweisungsverfügung. 6. Ausgangsgemäss sind die Kosten des Rekurs- und des Beschwerdeverfahrens dem unterliegenden Beschwerdegegner aufzuerlegen (§ 65a Abs. 2 in Verbindung mit § 13 Abs. 2 VRG). Damit werden die von der Beschwerdeführerin für das Rekurs- und Beschwerdeverfahren gestellten Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gegenstandslos. Zudem ist der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren und das Rekursverfahren eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen (§ 17 Abs. 2 VRG). Die Beschwerdeführerin beantragte für das Rekursverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-. Die beantragte Parteientschädigung geht indessen über das geltend gemachte Honorar für das Rekursverfahren von Fr. 1'758.67 hinaus. Zu entschädigen ist indessen nur der notwendige Verfahrensaufwand bzw. bildet dieser den maximalen Betrag, der einer Partei im Rahmen der Parteientschädigung zugesprochen werden kann (Kaspar Plüss, Kommentar VRG, § 17 N. 67). Nachdem kein weiterer, über die Honorarnote hinausgehender Aufwand ersichtlich ist, rechtfertigt es sich, der Beschwerdeführerin für das Rekursverfahren eine gegenüber dem verlangten Honorar aufgerundeten Betrag von Fr. 1'760.- zuzusprechen. Für das Beschwerdeverfahren erscheint zudem eine Parteientschädigung von Fr. 2'010.- als angemessen. Da die zugesprochenen Parteientschädigungen das von Rechtsanwalt B geltend gemachte Honorar (inkl. Mehrwertsteuer) für das Rekurs- und das Beschwerdeverfahren gering übertreffen, erweisen sich auch die Gesuche um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands als gegenstandslos. 7. Der vorliegende Entscheid betreffend Wegweisung kann lediglich mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde gemäss Art. 113 ff. des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG) wegen der Verletzung verfassungsmässiger Rechte beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG). Demgemäss erkennt die Kammer: 1. Die Gesuche um Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands für das Rekurs- und das Beschwerdeverfahren werden als gegenstandslos geworden abgeschrieben. 2. Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung des Migrationsamts vom 13. Februar 2021 und der Entscheid der Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion vom 3. Mai 2021 werden aufgehoben. 3. Die Kosten des Rekursverfahrens werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 4. Der Beschwerdegegner wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin für das Rekursverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'760.- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 5. Die
Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf 6. Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 7. Der Beschwerdegegner wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'010.- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 8. Gegen dieses Urteil kann subsidiäre Verfassungsbeschwerde nach Art. 113 ff. des Bundesgerichtsgesetzes erhoben werden. Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung an gerechnet, beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. 9. Mitteilung an … |